»Sinnbildlich für die Abschiebehaftpolitik«

Kundgebung und Großdemonstration am 31. August in Büren und Paderborn gegen Abschiebehaft

  • Dennis Pesch
  • Lesedauer: 3 Min.

Mitten im Wald, acht Kilometer entfernt von der eigentlichen Stadt Büren, steht der größte Abschiebeknast der Bundesrepublik. Bis Mai 2015 handelte es sich um eine Justizvollzugsanstalt. Weil der Europäische Gerichtshof im Jahr 2014 entschied, dass die Unterbringung von Abschiebehäftlingen in einer JVA nicht zulässig ist, verwandelte die damalige nordrhein-westfälische Landesregierung aus SPD und Grünen die JVA in einen reinen Abschiebeknast. Für den Aufenthalt müssen die Geflüchteten selbst bezahlen, wenn sie das Geld haben. Ansonsten werden sie Kostenschuldner gegenüber der Bundesrepublik. Wer wieder einreist, kriegt also erst mal eine Rechnung präsentiert.

Gleich zwei Jahrestage bieten den Anlass am kommenden Sonnabend in Büren und danach in Paderborn gegen die Praxis der Abschiebehaft zu demonstrieren. Einerseits, das sagt der Name der Kampagne »100 Jahre Abschiebehaft - 100 Jahre unschuldig in Haft« schon und andererseits das 25-jährige Bestehen des Abschiebegefängnisses in Büren. Ab 11 Uhr soll es vor dem Abschiebegefängnis eine Kundgebung geben, um 15 Uhr eine Großdemonstration durch Paderborn. Mit Shuttle-Bussen werden die Demonstranten vor das Abschiebegefängnis gefahren, weil es sonst keine Möglichkeit gibt, den Protest zum Ort zu tragen.

Der Sprecher der Kampagne ist Frank Gockel. Er sitzt im Verein »Hilfe für Menschen in Abschiebehaft Büren«, betreut Geflüchtete, die im Abschiebeknast landen. »Büren ist sinnbildlich für die Abschiebehaftpolitik«, sagt Gockel. In Abschiebehaft und besonders in Büren gab es Suizide, Selbstverletzungen, Fünf-Punkt-Fixierungen und Isolationshaft. Das haben gefangene Geflüchtete Gockel in Gesprächen berichtet. Den letzten bekannten Suizid gab es im Juni 2018.

Bei der Fesselung beispielsweise wird in die Zelle ein Holzrahmen rein getragen und im Fußboden verankert. Darauf liegt eine Matratze, woran die Geflüchteten nackt mit Händen, Füßen und einem Brustband fest geschnallt werden: »Wir haben mit einem Gefangenen gesprochen, der zwei Tage am Stück so fixiert war. Angeblich war er suizidal. Dann gehört er aber nicht in Abschiebehaft, sondern in ein Krankenhaus«, betont Gockel. Besonders bei Suizid und Selbstverletzungen ist es für den Verein »Hilfe für Menschen in Abschiebehaft Büren« schwierig nachzuvollziehen, was sich in der Haftanstalt zuträgt. Zu kurz sind die Gespräche.

Die Antirassistische Initiative Berlin dokumentiert seit 26 Jahren bundesweit Suizide, Selbstverletzungen, Gewalt durch den Staat gegen Geflüchtete und Tod durch unterlassene Hilfeleistungen bei Geflüchteten, die in Gefangenschaft geraten sind. Von 1993 bis Ende 2018 haben sich demnach mindestens 288 Menschen angesichts der drohenden Abschiebung das Leben genommen oder sind beim Versuch, vor der Abschiebung zu fliehen, gestorben. Bei 83 von 288 Geflüchteten hat das die Initiative dokumentiert. In Büren hat es bislang zwei bekannte Suizide gegeben, der letzte im Juni 2018.

Besonders häufig gibt es dort Selbstverletzungen. Die Initiative hat 3015 Fälle dokumentiert, die aus Angst vor der Abschiebung oder aus Protest gegen die drohende Abschiebung geschahen. Es gab Risiko-Hunger- und Durststreiks oder Versuche, sich umzubringen. 837 betroffene Menschen befanden sich demnach in Abschiebehaft. Elke Schmidt von der Antirassistischen Initiative Berlin sagte, dass die Selbstverletzungen viele Gründe haben können: »Das können Suizid, Protest oder die psychische Situation sein. Mit hoher Wahrscheinlichkeit hätten sich viele Menschen das nicht angetan und überlebt, wenn sie nicht in Gefangenschaft geraten wären.« Viele Geflüchtete sähen in den Selbstverletzungen auch eine Möglichkeit, aus der Abschiebehaft raus zu kommen.

Eine weitere Möglichkeit wäre theoretisch auch ein Gerichtsverfahren. Das Problem ist, dass ein Widerspruch gegen die Abschiebehaft keine aufschiebende Wirkung hat. In Büren gibt es auch eine einmalige Rechtsberatung für die Geflüchteten. »Was bringt das, wenn der Anwalt sagt, dass das nicht rechtmäßig ist, aber keine Beschwerde einreicht, weil es nur eine Rechtsberatung ist«, fragt Gockel. Deshalb zieht er mit dem Verein oft selbst vor Gericht: »Obwohl wir juristische Laien sind, gewinnen wir trotzdem viele Fälle. Ich habe selbst eine Quote von 50,4 Prozent«, berichtet er.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.