Wie »Kamil-Mode« sich zur Wehr setzte

Ein neuer Dokumentarfilm zeigt die Verdrängung des Berliner Kleingewerbes - und den Widerstand dagegen

  • Claudia Krieg
  • Lesedauer: 3 Min.

»Wir müssen Solidarität zeigen, da wo wir sind. Jeder Zweite bekommt hier Kündigungen, aber wo sind die Politiker, die uns helfen, unsere Existenz zu verteidigen?«, fragt Hassan Qadri, Betreiber des ehemaligen Kreuzberger Kleidungsgeschäfts Kamil-Moden, zu Beginn des Films »Kamil Mode - wie wollt ihr leben?«.

Am Beispiel von »Kamil-Mode« am Kottbusser Damm 9 beschreibt die Dokumentation die Verdrängung von Kleingewerbe in Berlin. Nach 16 Jahren - als Teil des fast vergessenen Textilwirtschaftskosmos, der Nord-Neukölln und der angrenzende Teil Kreuzbergs einmal war - erhielt Qadri zum 31. Dezember 2018 die Kündigung für seinen Laden. Da hatte er bereits zwei Mieterhöhungen hinter sich und zahlt für 61 Quadratmeter 1200 Euro. Dass sein Laden gut lief, interessierte den Eigentümer allerdings nicht: Er geht auf keinerlei Gesprächsangebote ein und bleibt bei der Kündigung.

Aber Qadri ist nicht gegangen. Zusammen mit seiner Familie hält er den Laden quasi besetzt, auch nachdem er Anfang Januar 2019 die umgehende Räumungsklage im Auftrag seines Vermieters erhält. Die Dokumentarfilmerin Gertrud Schulte Westenberg hat bereits den Film »Mietrebellen« (2014) über die erstarkende Berliner Mieter*innen-Bewegung zwischen 2011 und 2013 zusammen mit Matthias Coers gedreht. In ihrem neuen Film zeigt sie ein Lehrstück gegen scheinbar unaufhaltbare Verdrängungsprozesse. Denn die Familie Qadri tut sich zusammen: mit aktiven Nachbar*innen von der OraNostra, einem Bündnis aus Kleingewerbetreibenden, Handwerksbetrieben, Kultur- und Gesundheitseinrichtungen im Oranienstraßen-Kiez. Sie bittet Bezirkspolitiker*innen um Hilfe, die eine Resolution zur Rettung des Ladens anstrengen, erhält Unterstützungsgesuche von mietenpolitischen Initiativen und anderen Betroffenen. Am Ende scheint ganz Kreuzberg von dem kleinen Laden zu wissen. Mit geduldiger Kamera folgt Schulte Westenberg den Protagonist*innen auf ihren Wegen durch Berlin, zum Haus des Vermieters, zu vielen Aktionen und Kundgebungen, schließlich zum Berliner Landgericht. Aus verschiedenen Perspektiven beleuchtet sie den Kampf einer Familie um ihre Existenz und die Hilfe aus der Nachbarschaft. »Vorher hatte ich mich nicht mit dem Gewerbemietrecht beschäftigt. Die Auswirkungen der Gentrifizierung auf eher kleine Läden hat ja noch eine andere Dimension als auf die Mieter. Beim Gewerbe geht es teilweise um die Vernichtung von Existenzen. Was das bedeutet, hat man bei der Familie Qadri gesehen«, sagt die Filmemacherin.

Die Belastung während dieses Kampfes ist hoch: »Die Angst macht mich wahnsinnig, ich schlafe schlecht. Es ist eine Quälerei«, sagt Hassan Qadri einmal - und steht doch bei der nächsten Kundgebung wieder ganz vorne. Es habe sie, so Schulte Westenberg, sehr berührt, »zu erleben, wie warmherzig und familiär Joanna und Hassan Qadri zu vielen Kunden oder Leuten, die vorbei kamen, und auch zu uns Filmemachern waren«.

»Man könnte heulen, wenn man all die Geschichten so hört«, sagt eine Passantin bei einer kleinen Kundgebung und wünscht viel Erfolg. Auch sie hat mutig das Mikrofon ergriffen - für manche ein erster Schritt, um den Widerstand zu organisieren, in jedem weiteren Laden, jeder weiteren Kneipe, jeder weiteren kleinen Bäckerei, die gehen soll und die Kieze damit um einen Ort des sozialen, lebenswerten und bezahlbaren Lebens in dieser Stadt ärmer sein lassen würden.

Der Film »Kamil Mode - wie wollt ihr leben?« feiert am Mittwoch, 2. Oktober, um 20 Uhr im Moviemento Kino am Kottbusser Damm in Berlin-Kreuzberg Premiere. Eine Preview-Veranstaltung findet im Rahmen des Festivals »Berlin bleibt« statt: am Montag um 18 Uhr in der Spielstätte von Hebbel am Ufer (HAU), am Halleschen Ufer 60.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

Vielen Dank!