Italiens Parlament dampft sich ein

Fünf-Sterne-Bewegung setzt zentrales Wahlkampfversprechen durch

  • Wolf H. Wagner, Florenz
  • Lesedauer: 3 Min.

Mit einer deutlichen Mehrheit hat das italienische Parlament eine Reduzierung der Zahl der Abgeordneten und Senatoren beschlossen. 553 Abgeordnete stimmten dem Vorhaben am Dienstag zu, es gab lediglich zwei Enthaltungen und nur 14 Gegenstimmen.

Damit werden künftig statt der 630 nur noch 400 Mandatsträger im Abgeordnetenhaus sitzen, anstelle der 315 Senatoren lediglich 200 das Oberhaus besetzen. Für den Gesetzentwurf stimmten die Abgeordneten der Regierungskoalition aus Fünf-Sterne-Bewegung (M5S) und Demokratischer Partei (PD) sowie die von Forza Italia (FI), Lega und der rechtsextremen Fratelli d’Italia (FdI). Auch die von den Demokraten abgespaltene Gruppe Italia viva des früheren Ministerpräsidenten Matteo Renzi entschied sich für das neue Gesetz. Dagegen votierten die Vertreter der gemischten Gruppen, der autonomen Vertretungen sowie weiterer kleinerer Parteien.

Das Gesetz zur Selbstschrumpfung des Abgeordnetenhauses war eine Grundbedingung der Koalition aus M5S und PD, es gehörte zu den langfristig gehegten Plänen der »Grillini«, die die »alte Politikerkaste« abschaffen wollten. Die Regierung verspricht sich mit der Umsetzung eine jährliche Einsparung von 100 Millionen Euro.

Die Anhänger der Sterne feierten denn auch auf dem Platz vor dem Abgeordnetenhaus den Ausgang der Abstimmung. »Weniger Parlamentarier, mehr Kindergartenplätze« war auf einem Transparent zu lesen. Ob das Kalkül aufgeht, wird sich erweisen müssen. Zwar werden nun die Gehälter von 345 Parlamentariern eingespart. Doch wer die hiesige Praxis kennt, weiß, wie schnell sich Verwaltungskosten aufbauschen und die frei werdenden Gelder in anderen Kanälen versickern könnten.

Premier Giuseppe Conte erwartet von der Parlamentsreform vor allem eine effektivere Arbeit. »Wir versprechen uns eine größere Nähe der Abgeordneten zur Bevölkerung und eine direkte Umsetzung der Normen, die unsere Gesellschaft bestimmen«, erklärte Conte in einem Gespräch mit dem designierten Präsidenten des Europäischen Rats, Charles Michel.

Vor allem für kleinere Parteien und Splittergruppen könnte die Reduzierung der Abgeordnetenzahl zum Problem werden. So verwunderte es nicht, dass die Abgeordneten von Pìu Europa (+E) und anderen der sogenannten gemischten Gruppe gegen den Beschluss votierten. Denn bislang reichten 96 006 Wählerstimmen aus, um einem Abgeordneten ein Mandat zu geben, künftig werden sich 151 210 Wähler für einen Deputierten entscheiden müssen. Betroffen vom neuen System könnte auch Renzis Absplitterung Italia viva sein, deren Umfragewerte gegenwärtig bei 3,5 Prozent stagnieren.

Aufgrund dieses Effekts fordern Kritiker nun eine Fortsetzung der Reform: Wahlkreise und das Wahlsystem müssen generell erneuert werden - ein Vorhaben, das seit mindestens einem Jahrzehnt durch die italienische Politik geistert. Die aktuelle Regierung hatte versprochen, bis Dezember ein neues Wahlgesetz vorzustellen.

Mit 945 Abgeordneten und Senatoren hat Italien derzeit die zweithöchste Zahl an Parlamentariern. Die meisten Parlamentarier - insgesamt 1400 - sitzen im britischen Parlament. Der Bundestag zählt derzeit 709 Abgeordnete. Hier war eine angestrebte Verkleinerung des Parlaments im April an der Uneinigkeit der Parteien gescheitert.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.