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Und jetzt auch noch der Klimawandel
Welthungerhilfe-Index 2019: In einigen Regionen gibt es wieder Rückschritte bei der Ernährung der Bevölkerung
Der Süden Simbabwes leidet derzeit unter einer extremen Dürre. Während der Wirbelsturm Idai im März mit seinen Verwüstungen im Norden des Landes, in Mosambik und Malawi spektakuläre Bilder für die Kameras lieferte, findet die sich jetzt abzeichnende Katastrophe fernab der Weltöffentlichkeit statt. Da die Regenzeit nahezu komplett ausgefallen ist, gab es im Süden Simbabwes praktisch keine Ernte - die Landbevölkerung lebt von den spärlichen Vorräten und Gelegenheitsarbeiten. In vielen Familien dämpft Tee mit Zucker das Hungergefühl und ersetzt eine ganze Mahlzeit. Gleichzeitig steckt das Land in einer tiefen Wirtschaftskrise mit fehlenden Jobs und einer Hyperinflation. Die UNO warnte schon im August vor einer bevorstehenden Hungersnot und rief die Geberstaaten und Institutionen dazu auf, rund 300 Millionen Euro lockerzumachen.
Es ist ein besonders krasses Beispiel, doch eben auch typisch für Entwicklungen bei der Ernährungssituation im Globalen Süden: »Der Klimawandel macht die Fortschritte zunichte, die wir in den letzten Jahrzehnten global erzielt haben«, sagt die Präsidentin der Deutschen Welthungerhilfe, Marlehn Thieme. Nach stetigem Rückgang ist die Zahl der Hungernden in den vergangenen drei Jahren wieder angestiegen - auf 821,6 Millionen im Jahr 2018. 2015 waren es noch rund 44 Millionen weniger mit 785 Millionen. Im Jahr 2000 lag die Zahl bei 947,2 Millionen. Laut der Welthungerhilfe-Chefin litten aktuell zwei Milliarden Menschen an Mangelernährung.
Die private Hilfsorganisation mit Sitz in Bonn erstellt jedes Jahr einen Index, der ein umfassenderes Bild der globalen Situation zeichnet, da er für die einzelnen Länder Daten verschiedener UN-Organisationen zu Unterernährung, Auszehrung bei Kindern und Kindersterblichkeit auswertet. Laut dem am Dienstag anlässlich des Welternährungstages vorgelegten »Welthunger-Index 2019« gab es seit dem Jahr 2000 deutliche Verbesserungen insbesondere in Süd- und Südostasien und in Afrika südlich der Sahara. Am stärksten konnten Angola, Ruanda, Laos und Äthiopien Hunger und Unterernährung reduzieren.
Doch es gibt auch vier Länder, in denen es heute mehr Hungernde gibt als damals: Jemen, Libanon, Venezuela und die Zentralafrikanische Republik. Letztere ist übrigens das einzige Land, das laut dem Index aktuell noch in die schlimmste Kategorie »gravierend« fällt. »Sehr ernst« ist demnach die Lage in Tschad, Madagaskar, Jemen und Sambia, »ernst« in weiteren 42 Staaten. Klaus von Grebmer, wissenschaftlicher Berater bei der Erstellung des Zahlenwerks, weist zudem darauf hin, dass mehrere Länder, für die die Datenlage unzureichend ist, »Anlass zu Besorgnis geben«, darunter die DR Kongo, Syrien und Papua-Neuguinea. Auch gebe es Länder mit einer eher guten Durchschnittsnote, wo es aber in einzelnen Regionen ganz anders aussieht.
Angesichts der immer noch gewaltigen Zahlen und der besorgniserregenden jüngsten Entwicklung scheint das Erreichen des »Zero-Hunger«-Ziels der Staatengemeinschaft utopisch zu sein. Laut den UN-Entwicklungszielen (SDGs) soll der Hunger in der Welt bis zum Jahr 2030 besiegt sein. Von Grebmer weist darauf hin, dass, selbst wenn die Reduzierung im gleichen Tempo wie bisher voranschreitet, es 45 Länder nicht schaffen werden, ihre Bevölkerung ausreichend zu ernähren.
Von Grebmer sieht drei Hauptursachen für Hunger: schlechte Regierungsführung, bewaffnete Konflikte und Umweltaspekte. Letztere werden mit dem Klimawandel offenbar immer wichtiger. So hat sich seit den 1990er Jahren die Zahl der Extremwetterereignisse wie Dürren, Stürme, Überflutungen und Brände verdoppelt, sagt Marlehn Thieme und beschreibt die Folgen: »Was für uns oft nur eine Meldung in den Nachrichten ist, bedeutet für die Menschen im Süden eine Katastrophe, denn ihre Lebens- und Existenzgrundlagen werden zerstört.« Wenn die Ernte vernichtet wird, schrumpft zudem die Nahrungsmittelproduktion, und die Preise steigen.
Laut der Welthungerhilfe-Chefin sind gerade Grundnahrungsmittel betroffen: Bei Mais und Weizen schwinden bereits die Erträge. Reis, für die Hälfte der Weltbevölkerung das wichtigste Nahrungsmittel, sei »hochempfindlich gegenüber Schwankungen bei Temperaturen, Salzgehalt und Bewässerung«. Auch führe der Klimawandel dazu, dass sich die Qualität der Pflanzen verschlechtert. Die Folge: »Die wenigen Mahlzeiten werden weniger nahrhaft.«
Thieme weist auch darauf hin, dass der Klimawandel besonders diejenigen trifft, die am wenigsten zu ihm beitragen. Nicht nur das: »Jene Länder und Regionen, die am stärksten vom Klimawandel und Hunger betroffen sind, verfügen über die geringsten Ressourcen, diese Probleme zu bewältigen.«
Nötig seien Frühwarnsysteme, Vorsorge- und Anpassungsmaßnahmen, auf die auch die Welthungerhilfe bei ihrer Arbeit setzt, um die Widerstandsfähigkeit der örtlichen Bevölkerung zu erhöhen. Dazu gehören unter anderem dürreresistentes Saatgut, die Einführung von energiesparenden Öfen und der Schutz von Flussbetten und Bewässerungsanlagen.
Auch die Bundesregierung müsse mehr Mittel für Anpassungsmaßnahmen bereitstellen, wie Marlehn Thieme auf »nd«-Nachfrage sagt. Und diese Gelder müssten zusätzlich zur offiziellen Entwicklungszusammenarbeit bereitgestellt werden. Darüber hinaus müsse die Regierung den Klimaschutzverpflichtungen aus dem Pariser Weltklimaabkommen »dringend nachkommen«. Schließlich bedeute das 2030-Ziel nicht nur, dass es zuhause erfüllt wird, sondern eben in aller Welt.
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