Protest gegen Nazis in Neumünster

Antifa-Bündnis macht mobil gegen Tattoo-Studio in der »Holstengalerie«

  • Dieter Hanisch
  • Lesedauer: 4 Min.

Am Sonnabend findet in Neumünster eine Kundgebung unter dem Motto »Kein Fame für Famous« statt. Anfang der Woche überreichte ein Antifa-Bündnis, das die aktuelle Kampagne ins Leben gerufen hat, dem 1. Stadtrat Carsten Hillgruber ein »Braunbuch«. Das enthält recherchierte Hintergründe, verbunden mit der Aufforderung, in der Verwaltungsspitze des Rathauses möge man sich ernsthafte Schritte überlegen, bestimmten Läden und Geschäften die Stirn zu bieten, die womöglich in der Unauffälligkeit der Mitte der Gesellschaft Geldwaschanlagen betreiben.

Das Bündnis, dem auch Gewerkschaftsvertreter angehören, verweist dabei insbesondere auf ein im Frühsommer des Vorjahres im Shopping-Center »Holstengalerie« eröffnetes Tattoo-Studio, das den Namen »Famous Tattoo & Lifestyle Store« trägt - was auch den Namen der Kampagne erklärt. Befand sich der Laden seit 2018 ein Jahr lang noch in einer Seitenstraße der Innenstadt, ist er in der Shopping-Mall nunmehr in 1a-Lage im Herzen der Stadt.

Als zentrale Figur rund um den Tattoo-Laden gilt der frühere NPD-Landesvorsitzende Peter Borchert, der seinerzeit im seit 2014 geschlossenen Neumünsteraner Neonazi-Treffpunkt »Club 88« ein und aus ging. Der 46-Jährige besaß aber auch Verbindungen zur rechtsextremen Gruppierung »Combat 18« Pinneberg. Deren damalige Protagonisten gerieten aktuell im Zuge der Ermittlungen wegen der Erschießung des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke wieder ins Visier der Generalbundesanwaltschaft.

Borcherts Vita steckt voller verbüßter Haftstrafen wegen gefährlicher Kapitalverbrechen, darunter ein Tötungsdelikt als Jugendlicher, Körperverletzungen und Konflikte mit dem Waffengesetz. Borchert verkehrt mit »Famous«-Verantwortlichen, wie Fotos aus dem »Braunbuch« zeigen, und ist auch immer wieder im Laden anzutreffen. An der Vorgängeradresse ging er sogar ans Ladentelefon. Offiziell taucht er allerdings im Zusammenhang mit dem Laden nicht auf. Beobachter hegen daher den Verdacht, dass andere »Strohmänner« für ihn als »Famous«-Betreiber agieren.

Einer davon könnte laut Antifa-Recherchen Matthias S. sein, der aus dem Lager der Hells Angels zu den Bandidos im Norden gewechselt ist. 2017 wurde er vom Amtsgericht Itzehoe für einen Messerangriff auf ein Hells Angels-Mitglied verurteilt. Er sagte dazu im Prozess, er habe sich aus dem Rockermilieu verabschiedet. Diese Version gab er auch gegenüber dem »Holstengalerie«-Management an. Fotos und Screenshots aus dem »Braunbuch« zeigen ihn aber auch nach dem Gerichtsauftritt im Bandidos-Umfeld. Dabei gibt es aktuell sogar einen Hinweis auf seine und Borcherts Beteiligung an einem Rocker-Event aus dem Vormonat.

Borchert, der mit adrettem Sakko stets bei den Zeugenanhörungen des laufenden Parlamentarischen Untersuchungsausschusses zur Aufklärung von Polizeiarbeit im Zusammenhang mit Rockerkriminalität als Zuschauer im Kieler Landtag auftaucht, wird von der Landespolizei im offiziellen Sprachjargon als Person, die der Organisierten Kriminalität zuzuordnen ist, betrachtet.

Die Organisatoren der Kampagne wollen nun am Sonnabendnachmittag um 15 Uhr mit einer Kundgebung vor der »Holstengalerie« auf diese einschlägigen personellen Verquickungen des Tattoo-Studios aufmerksam machen, die so ganz der Unternehmens-Ethik der ECE-Einkaufszentren-Kette der Hamburger Otto-Group zu widersprechen scheint, zu der die »Holstengalerie« gehört. Die »Holstengalerie«-Leiterin Mailin Huljus, die die Anmietung des Tattoo-Studios im Vorjahr - einer von rund 90 Shops - bisher vehement verteidigt hat, hat angesichts des auch ihr vorgelegten »Braunbuchs« mitgeteilt, die dort vorgebrachten Inhalte lasse man nun rechtlich prüfen.

Hört man sich um, so ist manchem »Holstengalerie«-Kunden aufgrund der Recherchen mulmig zumute. Wegbleibende Kundschaft ist jedenfalls ein ökonomischer Alarmfaktor für die Mall und die dort eingemieteten Shops. Die Tattoo-Studio-Beschäftigten, Freunde und Familienangehörige widersprechen den Vorwürfen und bezeichnen sich als friedfertig und weltoffen, unterstreichen ihre Gastfreundlichkeit und berichten über die Zufriedenheit von Kunden. Sie machen aber auch deutlich, dass sie nicht über ihr Privatleben sprechen wollen, das könne sich jeder nämlich so gestalten, wie er wolle.

Vom Tattoo-Studio in der »Holstengalerie« gibt es laut Kampagnenträger auch personelle Überschneidungen mit dem »Tattoo-Studio Notorious Ink« und dem Szenelokal »The Edge« in Neumünster. Die Bandidos in der Stadt wurden mit ihrem Chapter 2010 nach einer Reihe von bewaffneten Auseinandersetzungen verboten, was 2012 auch das Oberverwaltungsgericht Schleswig bestätigte. Bisherige Mitglieder tauchen seitdem aber immer wieder mit Kutten anderer Bandidos-Chapter auf oder fanden und finden Unterschlupf in Unterstützer-Klubs, die sich rund um Neumünster angesiedelt haben, die sich »Contras« oder »Mexicanos« nennen, als Bandidos »Northgate« firmieren und wiederum Verbindungslinien in die Neonaziszene aufweisen.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.