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Wie es so ist, mit einem linken Ministerpräsidenten?
Fünf Jahre lang konnten die Thüringer herausfinden, wie es so ist, mit einem linken Ministerpräsidenten. Mit welcher Stimmung sehen sie der Landtagswahl an diesem Sonntag entgegen?
Die CDU hat in Thüringen 24 Jahre lang regiert, bis 2014, seitdem konnten die Thüringer nun fünf Jahre lang herausfinden, wie es so ist, mit einem linken Ministerpräsidenten. Mit welcher Stimmung sehen sie der Landtagswahl an diesem Sonntag entgegen? Wir haben ganz unterschiedliche Menschen nach ihrer persönlichen Bilanz von Rot-Rot-Grün gefragt.
Henning Pietzsch, 57, Historiker, Geschichtswerkstatt Jena
Ministerpräsident Ramelow war der erste hochrangige Politiker der Partei Die Linke, der 2014 das direkte Gespräch mit Initiativen und Vereinen zur Aufarbeitung der SED-Diktatur in Thüringen suchte. Viele unserer inhaltlichen Vorschläge wurden im Koalitionsvertrag aufgegriffen. Eine spürbare Verbesserung der notwendigen finanziellen Ausstattung unserer Arbeit konnte jedoch auch unter seiner Regierung nicht erreicht werden. Dennoch, das Verdienst der Landesregierung und von Herrn Ramelow persönlich ist es, dass das Thema Aufarbeitung der SED-Diktatur neben dem CDU-Projekt zur Aufarbeitung der Geschichte der CDU-Blockpartei in der DDR auch in der Linkspartei öffentlich an Bedeutung gewonnen hat. Viele Gespräche, Veranstaltungen und Projekte wurden ermöglicht. Allerdings bleibt es aus meiner Sicht eine strukturelle Schwäche in Thüringen, dass die Kompetenz, Professionalität und das Engagement von bürgerschaftlich engagierten Gruppen und Vereinen noch zu wenig genutzt wird. Eine universitäre Aufarbeitung ist zwar schick und wünschenswert. Ohne die Einbindung der Zivilgesellschaft bleibt dies jedoch ein akademischer Zirkelschluss, der wenig bis gar nicht in die Zivilgesellschaft hineinwirkt.
Monique Förster, 59, Galeristin,
Beruflich bedingt blicke ich eher auf den Kulturbereich. Hier fällt die Bilanz nicht durchweg positiv aus. Ich teile die Einschätzung von Michael Flohr, der in seiner 2018 erschienenen Analyse »Kulturpolitik in Thüringen« ein stark eingeschränktes kulturpolitisches Interesse und Engagement der Regierungsfraktionen konstatierte. Die Kulturpolitiker haben - im Grunde in allen Landtagsfraktionen - eine schwache Stellung. Das ursprünglich im Koalitionsvertrag von Rot-Rot-Grün vereinbarte Kulturfördergesetz kursiert inzwischen als Kulturgesetz. Die Kultur als Pflichtaufgabe, einst im Wahlprogramm der Linken, steht nicht mehr unverrückbar auf der Agenda. Feststellen kann man aber, dass sich die Kulturausgaben gegenüber den vorangegangenen Wahlperioden mit 37,7 Prozent erheblich erhöht haben. Tarifanpassungen im Theater- und Museumsbereich wurden nachgeholt. Projektfinanzierte Kultureinrichtungen erhalten durch mehrjährige Förderdauer größere Planungssicherheit. Die Lage der Freien Kulturszene, die Arbeitsbedingungen der Künstlerinnen und Künstler jedoch, als letzte in der Finanzierungskette, sind unverändert prekär.
Michael Rudolph, 42, Vorsitzender des DGB Hessen-Thüringen
Jahrelang wurde in Thüringen Standortpolitik auf dem Rücken der Beschäftigten betrieben: Niedriglöhne und prekäre Beschäftigung waren an der Tagesordnung. Die rot-rot-grüne Landesregierung hat hier nicht nur verbal, sondern auch mit konkreten Maßnahmen gegengesteuert. Wirtschaftsförderung ist nun an die Erhöhung der Löhne oder an Tarifverträge gebunden, die Vergabe öffentlicher Aufträge wird an repräsentative Tarifverträge geknüpft, mit dem Kindertag gibt es einen zusätzlichen Feiertag. Vor allem das neue Vergabegesetz kann sich sehen lassen: Wo es für Beschäftigte keinen Tarifvertrag gibt, gilt nun bei Landesaufträgen ein Vergabe-Mindestlohn von 11,42 Euro brutto pro Stunde. Weniger erfolgreich war das Dreierbündnis beim wirtschaftlichen Strukturwandel: Die ökologische Wende in der Automobil- und Energieindustrie muss dringend besser sozial flankiert werden. Hier muss gezielt in Innovationen und Weiterbildung investiert werden, um die Arbeitsplätze in diesen Industriebereichen zukunftssicher zu machen und Beschäftigte zu schützen.
Silvia Windolph, 59, Worbis/Eichsfeld, arbeitslos
Ich bin seit Langem arbeitslos, und für mich hat sich in den letzten fünf Jahren einiges geändert: Denn ich hatte einen Job. Ich habe im Kalimuseum Bischofferode Führungen gemacht, Leute empfangen, das Gebäude sauber gehalten. Zwar nur drei Jahre und nur für 1,50 Euro die Stunde, aber es war schön. Man kommt mit Menschen zusammen und sitzt nicht zu Hause und verblödet. Ich hätte das gern weitergemacht, aber ich durfte nicht, vom Amt aus. Die Hartz-IV-Gesetze sind ja von der Bundesregierung. Aber mit der Thüringer Mischung Rot-Rot-Grün bin ich sehr zufrieden. Die haben nicht über jedes Detail gestritten, sondern sich auf das Wichtige konzentriert. Kostenlose Kitajahre - das ist doch schon was. Freilich können die nicht mit einem Schlag alles ausbessern, was die vorigen Regierungen versäumt haben. Die CDU, die jetzt am lautesten nach mehr Lehrern und Polizisten schreit, die hat doch hier vorher die Stellen abgebaut! Da könnte ich aus dem Hemde hüpfen.
Anne Tittor, 39, Soziologin, Friedrich-Schiller-Universität Jena
Ich lebe seit drei Jahren in Jena, und was mir hier gefällt, ist das offene gesellschaftliche Klima in ganz unterschiedlichen Bereichen. Viele Leute in meinem Umfeld sehen darin auch einen klaren Kontrast zu CDU-Zeiten in Thüringen. So hat die Landesregierung beispielsweise die dezentrale Unterbringung von Geflüchteten dezidiert gefördert oder die Menschen, die in Idomeni gestrandet waren, nach Thüringen eingeladen. Letzteres ist Symbolpolitik, aber es kommt auch auf solche Gesten an. Auch in der so wichtigen Klimafrage fördert die Landesregierung die gesellschaftliche Debatte. Im Paradiespark in Jena gab es in diesem Jahr mehrere Monate einen Klimapavillon, in dem offen über den Klimawandel und eine dezentrale Energiewende diskutiert wurde. Insgesamt hat mich überrascht, wie geräuschlos, pragmatisch und effektiv die Koalition mit einer Stimme Mehrheit Politik gemacht hat. Für mich persönlich hat sich nicht so wahnsinnig viel verändert. Politisch angegangen werden sollte endlich mal die Frage der Entfristung von Arbeitsverträgen an den Hochschulen. Da gibt es unter den Universitätsmitarbeiter*innen eine gewisse Enttäuschung. Denn es ist an diesem Punkt, wie bei allen anderen Regierungen vorher, entgegen aller Ankündigungen nicht viel geschehen.
Carmen Ufert, 55, Prokuristin im Stahlhandel, Saalfeld
Gefühlt hat sich mit Rot-Rot-Grün ganz wenig geändert. Das hat mich überrascht, aber auch erleichtert. Ich hätte gedacht, dass sich zum Beispiel die Stimmung im Betrieb gegenüber dem Unternehmen irgendwie ändert. Ich verfolge die Landespolitik nicht im Detail, aber wo dringend etwas passieren müsste, ist auf dem Wohnungsmarkt. In Erfurt finden Familien mit Kindern keine passende Wohnung, auch nicht am Stadtrand, und selbst Leute mit gutem Einkommen wie ich haben es schwer. Hier hätte ich von einer »roten Regierung« mehr Initiative erwartet, aber in vier, fünf Jahren ist vielleicht auch nicht mehr zu schaffen. Für mich ist von Thüringen in dieser Zeit vor allem bundespolitisch zu wenig zu hören gewesen. Ich erwarte von einer Regierung, dass sie hier die Interessen des Landes stark vertritt: Steuern, Breitband, Energiewende, Wald, da traue ich der CDU einfach mehr zu.
Sandro Witt, 38, Vorsitzender der Beratungsstelle gegen Rechtsextremismus »Mobit« und 2. Vorsitzender des DGB Hessen-Thüringen
Durch Rot-Rot-Grün wurden das Thema Rechtsextremismus und die Notwendigkeit, dagegen vorzugehen, endlich stärker wahrgenommen als in den Jahren zuvor. Die Koalition hat nicht nur das Landesprogramm für Demokratie und Weltoffenheit überarbeitet und geschärft. Dass führende Politiker einer Landesregierung nun Proteste vor Ort unterstützen, Ansprechpartner sind und mit den Engagierten Gesicht zeigen, ist enorm wichtig für die Anerkennung der Arbeit der Zivilgesellschaft im Kampf gegen rechts. Dieses Engagement von Rot-Rot-Grün hat sich auch auf die Arbeit verschiedener Behörden im Land ausgewirkt. So hat die Sicht von Organisationen wie der Beratungsstelle »Mobit« auf die Neonazi-Szene und darauf, wie man wirksam gegen sie vorgehen kann, inzwischen sogar einen festen Platz in der Ausbildung der Polizei. Dieser Weg muss kontinuierlich weitergegangen werden. Wir brauchen noch viel mehr Expertise und Sensibilisierung in Politik, Verwaltung und Polizei. Eine Maßnahme würde ich immer noch sehr begrüßen: die Abschaffung des Verfassungsschutzes.
Frank Hengelhaupt, 39, Ingenieur für Umwelttechnik, Jena
Es ist ja immer so: Mit jeder neuen Regierung wird etwas umstrukturiert. Ich arbeite im öffentlichen Dienst, unsere Einrichtung hatte vielleicht 250 Beschäftigte. Und daraus wurde nun durch Zusammenlegung ein riesengroßes Amt mit ungefähr 750 Leuten. Das hat »weiter oben« bestimmt irgendwo Sinn, aber »unten« erschließt sich einem die Sinnhaftigkeit nicht immer komplett. Dadurch wurden auch Standorte verlagert, und es hätte sein können, dass ich plötzlich über eine Stunde zur Arbeit fahren muss. Zum Glück ist es so nicht gekommen, wäre echt blöd gewesen - zumal ich ein kleines Kind habe. Deshalb finde ich die zwei beitragsfreien Kindergartenjahre und den neuen Kinderfeiertag toll. Hauptsache, die hängen nicht gleich wieder einen verkaufsoffenen Sonntag dran, dann hätten die Leute im Einzelhandel nichts davon. Die müssen ja Samstag schon ran, Bezahlung ist Mist - den Sonntag können die sich wirklich ans Knie nageln. Mit einer linken Regierung verbinde ich die Hoffnung, dass der öffentliche Sektor gestärkt wird und nicht weiter Private mit öffentlichen Gütern Geld verdienen, statt der Allgemeinheit zu dienen. Zum Beispiel der Nahverkehr: Der neue Verbund ist ein guter Ansatz. Nahverkehr sollte ’nen Fuffziger kosten und nicht drei Euro.
Ich bin echt kein CDU-Anhänger, ich hab’s auch nicht so mit dem Christlichen. Deshalb finde ich im Wahlprogramm der Linken gut, dass die den Gottesbezug aus der Präambel der Landesverfassung streichen wollen. Das hätte natürlich keine harten Auswirkungen, aber gefällt mir trotzdem.
Clarsen Ratz, 51, selbstständig, Mitorganisator der Kerzenproteste gegen eine linke Regierungsbeteiligung 2014 und 2019, Weimar
Die Linkspartei, die die Antifa unterstützt, ist nichts anderes als die AfD, nur links. Deshalb habe ich wie schon vor fünf Jahren auch vor dieser Wahl wieder zu Demonstrationen aufgerufen. Vieles, was Rot-Rot-Grün in den vergangenen fünf Jahren getan hat, hat meine Aussagen bestätigt. Die Diskussionen um Obergrenzen für Mieten oder auch die glücklicherweise gescheiterten Pläne für eine Gebietsreform zeigen doch, dass, wo die Linken regieren, Freiheiten beschnitten werden sollen. Die Koalition hat nichts weniger versucht, als Thüringen so weit zu zentralisieren, bis die alten DDR-Bezirke Suhl, Erfurt und Gera wieder entstanden wären! Die Linkspartei hat sich aus meiner Sicht noch immer nicht ausreichend ihrer Verantwortung für SED-Unrecht gestellt. Wie sonst könnte es unter ihren Landtagsabgeordneten zwei frühere inoffizielle Mitarbeiter der DDR-Sicherheitsbehörden geben? Die haben die Täter noch immer in ihren Reihen.
Konstantin Behrends, 27, studiert Übersetzen, ist aktiv bei der FAU Jena
Für unsere Tochter gibt es jetzt zwei freie Kita-Jahre, und der Kindertag wurde zum Feiertag erklärt. Das sind natürlich tolle Sachen. Auf der anderen Seite habe ich aus der sozialen Bewegung heraus einige negative Erfahrungen gemacht. Ich bin Mitglied der Basisgewerkschaft FAU. Auch unter Rot-Rot-Grün hat das Innenministerium die FAU in Antworten auf zwei Kleine Anfragen der AfD als linksextremistisch eingestuft: Mehrere Veranstaltungen der Gewerkschaft sind darin aufgeführt - dabei haben wir nur Kundgebungen abgehalten, zum Beispiel zu den Forderungen studentischer Hilfskräfte nach Einbeziehung in den Tarifvertrag. Zumindest einen studentischen Tarifvertrag hatte die Linkspartei übrigens selbst in Aussicht gestellt. Es gibt bis heute keinen. Die Linkspartei wollte als Lehre aus dem NSU auch den Verfassungsschutz abschaffen. Hat sie natürlich auch nicht. Gegenüber Protesten gegen große Nazidemos in Jena zwischen 2015 und 2017 ist die Polizei so aggressiv aufgetreten wie noch nie. Da fragt man sich schon, warum so was unter einer antifaschistischen Regierung passiert. Letztlich ist es wie unter jeder Regierung: Der Staat herrscht und hält selbstorganisierte soziale Bewegungen klein - und manchmal gibt es kleine Zugeständnisse.
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