Was wird man sagen über unsere Tage?

Zum Tod von Stefan Amzoll

  • Jürgen Schebera
  • Lesedauer: 3 Min.

Der »Radio DDR-Musikklub« war seine Erfindung: ein ab 1979 über viele Jahre monatlich ausgestrahltes, für den deutschen Rundfunk neues Format, gewidmet der Musik des 20. Jahrhunderts. Eine Gesprächsrunde von Kennern diskutierte im Studio das jeweilige Thema - Komponisten, bemerkenswerte Konzerte oder Bühnenproduktionen, aktuelle neue Werke oder musikalische Höhepunkte aus den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts, dies alles akustisch begleitet durch entsprechende Musik vom Band.

Die »Weichenstellung« zum Rundfunkmann erfolgte für Stefan Amzoll 1977, als er beim Sender Radio DDR II als Redakteur Musik zu arbeiten begann. 1943 in Westpreußen geboren, war er in der DDR aufgewachsen, hatte eine Lehre als Werkzeugmacher absolviert, darauf folgte der Besuch der Arbeiter- und Bauernfakultät in Freiberg und ab 1968 das Studium der Musik- und Theaterwissenschaft an der Berliner Humboldt-Universität (wo er auch 20 Jahre später mit seiner Arbeit »Musik im Rundfunk der Weimarer Republik« promoviert wurde).

Sehr bald nach Amzolls Einstellung wurde klar, dass die besondere Liebe des neuen Musikredakteurs der zeitgenössischen Musik galt. Er gestaltete Komponistenporträts führender DDR-Musiker wie Georg Katzer, Friedrich Goldmann oder Reiner Bredemeyer; immer häufiger auch rückte ein Ü-Wagen des Senders zu Live-Übertragungen aus, wenn deren Werke im Konzertsaal erklangen. Und: Er war stets offen für Programmvorschläge. Als ich ihm etwa 1988 eine Sendung zum 90. Geburtstag Hanns Eislers offerierte, sagte er sofort zu. Um wenige Tage später anzurufen und mitzuteilen: »Das müssen wir viel größer machen, Eislers großartiger Musik entsprechend!« Am Ende entstand dann eine siebenteilige, jeweils einstündige Sendereihe Hanns Eisler: Stationen.

Dann fiel die Mauer, Stefan hatte keine Illusionen, was seinen Sender betraf. Dieser wurde im Mai 1990 abgeschaltet. Ich erinnere noch den letzten Musikklub vom 17. Dezember 1989 aus dem Großen Sendesaal in der Nalepastraße, wo das RundfunkSinfonieorchester Berlin diesmal die Gesprächsrunde live begleitete, zum Thema »Was wird man sagen über unsere Tage?«. Stefan hatte mich gebeten, die exklusive Runde zu moderieren, mit Stephan Hermlin, Kurt Sanderling und Professor Kurt Pätzold. Er selbst war, wie er mir sagte, zu bewegt, um das Mikrofon selbst in die Hand zu nehmen.

Als »Gala« von Amzolls Tätigkeit bei Radio DDR II folgte dann am 18. Januar 1990 ein von ihm konzipierter vierstündiger (!) Funkabend, Titel: Kontrapunkte der 20er Jahre in Musik und Literatur vor 1933. Musik von Eisler, Hindemith, Krenek und Weill wechselte sich ab mit seltenen Schellackaufnahmen aus den Bereichen Kabarett, Schlager und Song sowie O-Tönen diverser Akteure der »goldenen« Zwanziger. Dazu das Gespann Amzoll/Schebera im Gespräch und als Kommentatoren. Ich sehe noch, nach Schluss der Sendung, den Tonmeister zu uns in den Mikroraum kommen, ich höre noch seine Worte: »Herr Amzoll, solchen Rundfunk wird es nie wieder geben!«

Nur sehr wenige Mitarbeiter des Senders wurden im Juni 1990 in die neue Anstalt Deutschlandsender Kultur übernommen (dafür umso mehr vom gleichfalls abgeschalteten West-Berliner Frontsender Rias), darunter anfangs auch Amzoll. Dann aber erschien im Spätsommer 1991 ein so genannter Rundfunkbeauftragter der neuen Bundesländer, der Bayer Rudolf Mühlfenzl, auf der Bühne, dessen Vorgabe darin bestand, eine weitere rigorose Personal-»Säuberung« vorzunehmen. Eines seiner Opfer hieß Ende 1991 Stefan Amzoll.

Ich bewundere bis heute, wie sich Stefan durch das abrupte Ende seiner Rundfunkkarriere nicht entmutigen ließ. Nunmehr freischaffend, begann er mit umfangreicher publizistischer Arbeit, schrieb Rezensionen - auch die Leser des »nd« kennen längst seinen Namen -, Essays und Aufsätze zur zeitgenössischen Musik. Und: Im eigenen kleinen Studio entstanden auch wieder Features und Hörspiele, die von diversen Sendern dank ihrer Qualität und Originalität gern übernommen wurden. Eine Rückkehr zu den alten Zeiten bedeutete schließlich die Entwicklung des Formats »Atelier neuer Musik« für den Deutschlandfunk Köln.

Bis zuletzt arbeitend, ist Stefan Amzoll am 23. Oktober nach längerer schwerer Krankheit in seiner neuen uckermärkischen Heimat verstorben.

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