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Provokation als politisches Stilmittel
Nach drei Jahren im Abgeordnetenhaus weiß die AfD-Fraktion die ihr gebotene Bühne zu nutzen
Seit dem Wochenende ist es offiziell: Der Berliner Landesverband der AfD bläst seinen ursprünglich für den 9. und 10. November angesetzten Landesparteitag ab. Zwar haben die Rechtsextremen nach monatelanger Suche mittlerweile Räumlichkeiten gefunden, allerdings müsse die Veranstaltung auf den 25. und 26. Januar verlegt werden, wie ein Sprecher am Samstag mitteilte.
Die Partei hatte seit Monaten geeignete Räumlichkeiten gesucht und dafür nach eigenen Angaben rund 100 Anfragen gestellt, darunter auch im benachbarten Brandenburg. Laut AfD gab es nur Absagen sowohl von privaten als auch von öffentlichen Institutionen. Auf dem Parteitag soll der Vorstand um Parteichef Georg Pazderski neu gewählt werden.
Die Schwierigkeiten bei der Raumsuche dürfen jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die AfD mittlerweile zu einem festen Bestandteil des parlamentarischen Geschehens geworden ist. Mit 22 Abgeordneten ist sie die zweitstärkste Oppositionspartei hinter der CDU. Verglichen mit anderen AfD-Landtagsfraktionen kann sie bisher mit personeller Stabilität aufwarten. Nach mittlerweile drei Jahren Parlamentszugehörigkeit weiß sie, die ihr gebotene Bühne zu nutzen.
Anträge oder Gesetzesentwürfe sind jedoch häufig von der AfD-Bundestagsfraktion übernommen und tragen selten die Handschrift eines Fraktionsmitgliedes der Landes-AfD. Wenn überhaupt, machen die Landesabgeordneten mit inszenierten Provokationen von sich reden. Sei es außerhalb des Parlaments, wie in dem etwa dreiminütigen Videoclip, in dem sich Georg Pazderski zusammen mit dem AfD-Bundestagsabgeordneten Peter Felser im Görlitzer Park filmen ließ und bei dem, allen Persönlichkeitsrechten zum Trotz, ausnahmslos schwarze Parkbesucher*innen unverpixelt gezeigt werden und nahe gelegt wird, dass es sich hierbei um Drogenverkäufer*innen handelt.
Aber auch innerhalb des Abgeordnetenhauses suchen die Rechten den Eklat. Zuletzt schaffte es der AfD-Abgeordnete Frank Scholtysek während der Plenarsitzung Ende August in die Medien. Zu Beginn der Debatte über Klimaschutzmaßnahmen hielt er ein Plakat hoch, das wie ein Ortseingangsschild gestaltet war und auf dem stand: »Umerziehungslager Berlin - entmotorisierte Zone«. Diese Aktion reichte aus, um Aufmerksamkeit zu erzielen und die tatsächlich verhandelten Inhalte medial in den Hintergrund zu drängen.
»Der AfD geht es im Kern darum, die Parlamente für den Kampf um die Eroberung kultureller Deutungshoheit und gegen die Errungenschaften einer vielfältigen Gesellschaft zu nutzen«, sagt Simon Brost von der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus in Berlin. Dementsprechend folgt die Partei in jeder Parlamentssitzung einem Muster aus aggressiver Polemik und Schuldzuweisungen. Demnach soll Berlin unter dem rot-rot-grünen Senat wahlweise in einen »sozialistischen Abenteuerspielplatz« oder ein »Umerziehungslager« des »links-grünen Moralistenblocks« verwandelt werden, wie Scholtysek meint.
So wird den Regierungsparteien nicht nur Autofeindlichkeit unterstellt, auch für die »Bildungsmisere« in den Berliner Schulen sind sie laut dem parlamentarischen Geschäftsführer der AfD-Fraktion, Frank-Christian Hansel, verantwortlich. Schließlich lasse der Senat »lieber Broschüren über sexuelle Abnormitäten« verteilen, als guten Unterricht zu organisieren. Der bildungspolitische Sprecher der AfD, Stefan Franz Kerker, fordert daher ein »Ende der Kuschelpädagogik«.
Mit Aussagen wie diesen richten sich die AfD-Vertreter in selbstbetriebenen Medienportalen vor allem an die eigene Anhängerschaft. Dabei geht es darum zu zeigen, dass die AfD außerhalb eines vermeintlichen »Altparteienkartells« steht und sich deshalb auch nicht an die etablierten parlamentarischen Spielregeln halten müsse.
Obgleich die AfD-Fraktion im Abgeordnetenhaus als moderat gilt, bedient sie sich der ganzen Bandbreite (neu-)rechter Ideologien und Inszenierungspraxen. Inhaltliche Schnittmengen mit der konservativen CDU und die Distanzierung des aktuellen Vorstandes von Björn Höcke können darüber nicht hinwegtäuschen. Letztlich geht es beim Flügelstreit der AfD immer auch um die persönlichen Machtinteressen. Und mit dem Fraktionsmitglied Thorsten Weiß wartet in der zweiten Reihe ein junger Vertreter des faschistischen »Flügels« nur darauf, die Weichen neu zu stellen.
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