Im VIP-Raum nach dem achten Pils

Vielen Vereinsbossen fehlt das Wissen, dass sie nichts wissen, findet Christoph Ruf . Bestes Beispiel: Bayern München

Sein letztes Spiel als Bayern-Präsident hat Uli Hoeneß richtig genossen. 4:0 gegen Borussia Dortmund, also gegen den wohl einzigen Verein, der die gefühlt 187. Meisterschaft der Bayern am Ende dieser Spielzeit vielleicht hätte gefährden können. Die Heimspiele davor gewannen die Münchner 5:0, 6:0, 4:1, 5:1, 2:1, das Triumphgeheul von Thomas Müller (»Immer wieder herrlich, wenn die nach München kommen«), ließ sich also durchaus nachvollziehen.

Doch auch wenn man kein Bayern-Fan ist, wirft dieses Spiel interessante Erkenntnisse ab. Zum Beispiel die, dass in der Bundesliga oft ausgerechnet bei der Besetzung der allerwichtigsten Position im Verein nicht sorgfältig genug gearbeitet wird. Hansi Flick, dessen erstes Bundesligaspiel als Bayern-Chefcoach der Sieg gegen den BVB war, wird nun für seine taktischen Umstellungen gefeiert. Seine Spieler störten früher, um in Ballbesitz zu gelangen und schnell vor des Gegners Tor zu kommen.

Das ist, bei allem Respekt vor Hansi Flick, allerdings auch vollkommen logisch, wenn man eine Mannschaft mit der Kombinationsstärke und Abschlusssicherheit hat wie die Bayern.

Einem Team, das auf Dominanz und Ballbesitz geeicht ist, in Kovac einen Coach vorzusetzen, der für Gegenpressing und Konterfußball steht, war von vornherein fahrlässig. Kovac ist einer der besten Trainer der Liga, aber wie die allermeisten seiner Kollegen passt er zur eingeübten Spielweise mancher Mannschaften gut, zu anderen schlecht.

Zu den Bayern passte er genauso wenig wie in der vergangenen Saison Defensivfreund Tayfun Korkut zum VfB Stuttgart oder Domenico Tedesco zu Schalke. Auch die beiden sind Trainer mit viel Sachverstand. Mit ihrem Verständnis von Fußball konnten sie aber an den jeweiligen Standorten nur scheitern.

Schuld tragen dabei nicht die, die verpflichtet werden, sondern diejenigen, die sie verpflichten. Bei den Bayern kommt noch ein erschwerender Faktor hinzu. Hoeneß versteht es nach wie vor, ein Spiel zu lesen und die Qualität einzelner Spieler realistisch einzuschätzen. Da er allerdings in fernen Jahrzehnten sozialisiert wurde, glaubt er, dass sehr gute Spieler automatisch eine sehr gute Mannschaft ergeben, wenn Charisma und Ansprache des Trainers stimmen. Doch das ist eben nicht (mehr) alles.

Bei vielen anderen Vereinen von der Kreisliga C bis hoch zur Bundesliga ist das Problem viel simpler: An ihrer Spitze stehen Funktionäre, die meinen, sie verstünden etwas von Fußball, weil sie alle zwei Wochen auf der Ehrentribüne herumlungern. Das kann der Präsident sein, der Aufsichtsratsvorsitzende, der Sponsor - im schlimmsten Fall sind es alle gleichzeitig. Was ihnen fehlt, ist das Wissen, dass sie nichts wissen. Und die Bereitschaft, es sich erklären zu lassen. Anstatt den Trainer einmal neugierig (und nicht vorwurfsvoll) zu fragen, warum er Spieler A und nicht Spieler B aufgestellt habe, werden sie nervös, wenn in den Internetforen, die ihnen in Krisenzeiten zur stündliche Lektüre werden, lesen, dass Spieler B hätte spielen müssen und der Trainer eben eine Pfeife sei. Wenn das noch ein paar Geschäftspartner im VIP-Raum nach dem achten Gratis-Pils auch so sehen, sieht es ganz schlecht aus für den Trainer.

Diese Erfahrung musste übrigens auch schon Flick machen, der von 2000 bis 2005 bei der TSG Hoffenheim die Basis für die heutige Erfolgsgeschichte legte. Flick hatte sich über Jahre eine junge, technisch überragende Mannschaft zusammengebaut und seine Maxime so formuliert: »Auch jemand, der nicht weiß, in welcher Trikotfarbe wir spielen, soll an der Spielweise erkennen, wer Hoffenheim ist.« Das erkannte auch jeder - bis auf einen. Dietmar Hopp, der damals noch viel mehr als heute das Maß aller Dinge bei seinem Verein war und möglichst schnell mit seinem 3000-Einwohner-Dorf in die Bundesliga wollte, verlor irgendwann die Geduld, schmiss Flick raus und holte mit Lorenz-Günther Köstner einen Nachfolger, der für das genaue Gegenteil dessen stand, was Flick aufgebaut hatte. Nämlich für Mauerfußball, lange Bälle und abgehalfterte Ex-Profis. Natürlich bereute Hopp den Flick-Rausschmiss Monate später auch öffentlich.

Doch während es grundsätzlich ein Zeichen von Stärke ist, wenn Menschen Fehler eingestehen, gilt bei beratungsresistenten Vereinsfunktionären ein Sinnspruch aus der Zeit, in der sich ihre Gedankenwelt zum Weltbild festigte: Wer nicht hören will, muss fühlen.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -