Abrechnung und Angebote

Generaldebatte im Bundestag: Opposition holt zum Rundumschlag aus und die Kanzlerin will weitermachen

Angela Merkel, so war zuletzt häufiger zu lesen, zeige in ihrer auslaufenden Kanzlerschaft Interesse eigentlich nur noch, wenn es auf Auslandsreise gehe. Innenpolitische Führung? Eher Fehlanzeige. Tatsächlich schien die Kanzlerin ihre Amtszeit ziemlich lustlos austrudeln lassen zu wollen, Spekulationen über eine vorzeitige Ablösung durch Annegret Kramp-Karrenbauer machten immer mal die Runde.

Am Schluss ihrer Rede in der traditionellen Generaldebatte während der Haushaltswoche im Bundestag jedoch macht die Kanzlerin am Mittwoch deutlich, dass es für die Große Koalition noch viel zu erledigen gibt - mit ihr als Kanzlerin: »Und so sage ich Ihnen, liebe Kollegen und Kolleginnen«, richtet sich Merkel ans Plenum und wohl besonders an die zum Teil koalitionsmüde SPD, »haben Sie hoffentlich gemerkt, wir haben viel zu tun, wir haben sehr viel angefangen, aber vieles muss noch weitergemacht werden. Deshalb finde ich, wir sollten die Legislaturperiode lang weiterarbeiten, - meine persönliche Meinung - ich bin dabei. Herzlichen Dank, schön, wenn Sie’s auch sind.« Applaus der Regierungsfraktionen.

Mehr Verantwortung, mehr Europa - und mehr Rüstung

In den knapp 40 Minuten zuvor haben Abgeordnete und Zuschauer in jedem Fall auch gemerkt, dass das Merkel zugeschriebene gesteigerte Auslandsinteresse tatsächlich auch weite Teile ihrer Rede bestimmte: NATO, Rüstungsprojekte, Auslandseinsätze, EU-Erweiterung, Iran-Abkommen, Syrien, Libyen, Sahelzone, China, Hongkong ... Immer wieder plädiert Merkel dafür, dass Europa mehr Verantwortung in der Welt und Deutschland mehr Verantwortung in Europa übernehmen müsse. Sie sichert zu, das NATO-Ziel einzuhalten, zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts fürs Militär auszugeben. Sie setzt klar auf Multilateralismus, betont die Notwendigkeit politischer Lösungen - und spricht sich für mehr Rüstungslieferungen an afrikanische Staaten aus. Sie fordert eine gemeinsame Haltung Europas gegenüber China ein und animiert zu einem »Systemwettbewerb ohne Abschottung«.

Das alles, so leitet Merkel zum innenpolitischen Teil über, könne Europa nur leisten, wenn es wirtschaftlich stark sei. Und das hänge auch von Deutschland ab. Wo es, wie ein anschließender Parforceritt durch umgesetzte und kommende Segnungen der Großen Koalition verdeutlichen sollte, doch gut laufe.

Gerade aus konjunktureller Sicht ist da FDP-Fraktionschef Christian Lindner anderer Meinung und wirft der Bundesregierung vor, sich nicht um »wirklich wichtige Fragen« zu kümmern: »die Situation der Wirtschaft«. Auch die Bildungspolitik sieht Lindner vernachlässigt, vom außenpolitischen Teil hätte er sich erwartet, dass Merkel »große Linien aufzeige«, den Berliner Mietendeckel hält er für eine Art Teufelszeug und er springt den protestierenden Bauern bei - und sorgt in diesem Zusammenhang für Amüsement im Plenum, als er beklagt, dass im Bundestag »ganz viele über die Lebenswirklichkeit von Menschen« redeten, »die sie in Wahrheit gar nicht kennen«. Ein krachendes Eigentor, kommt man doch nicht umhin, an Lindner selbst zu denken. Stichwort Mietendeckel genügt.

Werben für ein Danach

»Er ist kraftlos, er ist tatenlos, er ist verantwortungslos.« Für die Linkspartei geht Ko-Fraktionschef Dietmar Bartsch nicht nur mit dem neuen Haushalt hart ins Gericht, der der Herausforderung nicht ansatzweise gerecht werde, dass es »in den nächsten zehn Jahren einen Investitionsbedarf von 450 Milliarden Euro« gebe. Im internationalen Vergleich hinke Deutschland bei den Investitionen weiter zurück. Statt die Legislaturperiode weiterzuarbeiten, wie es Angela Merkel angekündigt hatte, fordert Bartsch das Ende der Großen Koalition ein. »Eigentlich dürfte man die zweite Hälfte Ihrer Spielzeit gar nicht mehr anpfeifen. Spielabbruch und neue Mannschaften wären das beste, weil Sie sich nicht mehr mit den Herausforderungen in Deutschland und Europa beschäftigen.«

Koalition erhöht erneut Militärausgaben
Etat des Verteidigungsministeriums ist zweitgrößter Einzelposten im Bundeshaushalt / Koalition will 2020 wieder schwarze Null erreichen

Stattdessen präge »Selbstbeschäftigung« die Große Koalition. Auch den Streit zwischen Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) und Außenminister Heiko Maas (SPD) über einen »irrwitzigen Syrieneinsatz«, das Gebaren des Verkehrsministers Andreas Scheuer (CSU) bei der Pkw-Maut und den monatelangen Streit um die Grundrente, die am Ende für »eine klaffende Wunde« ein »zu kleines Pflaster« sei, führt Bartsch als Belege für das Scheitern der GroKo an. Und er platziert in all der Kritik an zu hohen Rüstungsausgaben, dem »Klimapäckchen« oder einem zu niedrigen Mindestlohn, auch ein Angebot. Vielleicht schon für den Fall, dass der geforderte »Spielabbruch« kommt. Ausdrücklich begrüßte er, dass die SPD das Thema Kindergrundsicherung aufgreife. »Wir als LINKE werden uns niemals damit abfinden, dass Kindern Chancengleichheit genommen wird. Eine Kindergrundsicherung, das könnte ein zentrales Projekt einer Mitte-links-Regierung nach der nächsten Bundestagswahl werden«, erklärt Bartsch. Applaus bei der LINKEN, Zurückhaltung bei den möglichen und nötigen Koalitionspartnern SPD und Grüne.

Für letztere wäre Rot-Rot-Grün derzeit angesichts eigener hoher Umfragewerte nur eine Option zum Mitregieren. Und so macht Anton Hofreiter, der für die Grünen vor allem die Klimapolitik der Bundesregierung kritisiert, wie auch fehlende Investitionen, am Ende seiner Rede ebenfalls eine Art Angebot, allerdings nicht explizit an ein Mitte-links-Bündnis. Er sei davon überzeugt, dass »dieses Land wieder zu einem Land des Aufbruchs, des politischen Neubeginns, der Modernisierung werden kann«, so Hofreiter. »Wir wollen auf alle zugehen, die bereit sind, für diese Veränderungen nach vorne.«

Es hängt an der SPD

Ob Angela Merkel und die Große Koalition bis zum Ende weitermachen dürfen oder es schon bald an der Zeit ist, über neue Machtoptionen zu diskutieren, hängt derzeit dabei allein an den Sozialdemokraten, die sich bei der Vorsitzendenwahl durchaus für das koalitionskritische Duo und auf ihrem Parteitag für ein GroKo-Ende entscheiden könnten.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
- Anzeige -

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.