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Raus auf die Straße, rein in den Betrieb
Mitte Dezember wird auf einer Tagung in Berlin die »Bewegungslinke« als Arbeitsgemeinschaft der Linkspartei gegründet. Rhonda Koch und Raul Zelik erklären, warum
Das Netzwerk Bewegungslinke soll eine Bundesarbeitsgemeinschaft (BAG) der Linkspartei werden. In der LINKEN gibt es bereits eine Menge Plattformen und Bundesarbeitsgemeinschaften. Warum noch eine weitere?
Raul Zelik: Für uns stellte sich die Frage, ob wir eine Strömung innerhalb der LINKEN sein wollen. Wir haben uns für die Form der BAG entschieden, weil wir offen sein wollen für Leute außerhalb der Partei - und weil sich Strömungen oft sehr schnell in Karrierenetzwerke verwandeln.
Aber wir finden es gleichzeitig eben auch sehr wichtig, bestimmte Positionen stark zu machen: Zum einen eine verbindende Form der Klassenpolitik, die gewerkschaftliche, feministische, ökologische und antirassistische Ansätze nicht gegeneinander ausspielt, sondern aktiv zusammenbringt. Zum anderen brauchen wir aber auch eine andere politische Kultur. Weniger Hierarchie, mehr Selbstorganisierung, mehr Aktivismus der Mitglieder. Es geht um eine grundlegende Veränderung der politischen Kultur der Partei, denn sie muss sich unserer Ansicht nach viel stärker an der Seite von Bewegungen in soziale Kämpfe einmischen.
Rhonda Koch ist Studentin. Sie engagiert sich in der Klimaschutzbewegung und im LINKE-Studierendenverband Die LINKE.SDS. Raul Zelik ist Schriftsteller, Sachbuchautor und Übersetzer sowie Mitglied des Bundesvorstandes der Linkspartei.
Beide sind an der Vorbereitung der Gründung der Bewegungslinken als LINKE-Arbeitsgemeinschaft beteiligt, die am Wochenende in Berlin stattfindet. Jana Frielinghaus sprach mit beiden über die Ziele der Initiative.
Das wäre also deutlich mehr als eine gewerkschafts- und bewegungsnahe Strömung?
Rhonda Koch: Ja. Die Idee ist auch, einen Ort zu schaffen, wo sich LINKE-Kreisverbände und lokale Gruppen, die bereits sehr gute Gewerkschafts- und Bewegungsarbeit leisten, austauschen können, wo sie ihre Erfahrungen analysieren und ihre Aktivitäten weiterentwickeln und besser koordinieren können.
Sie wollen, so steht es auf der Webseite der Bewegungslinken, Erneuerungsbewegung für die LINKE sein. Was kritisieren Sie an der Partei?
Zelik: Dass sie die Bedeutung von Parlamenten überschätzt und mit Alltagskämpfen zu wenig zu tun hat. Spielräume für Veränderungen entstehen ja nicht in erster Linie durch parlamentarische Arbeit und Regierungsmehrheiten, sondern durch gesellschaftliche Konflikte und Organisierung, die überhaupt erst den Druck für Reformen erzeugen. Die LINKE muss viel stärker in Bewegungen verankert sein. Wir meinen aber nicht, dass wir schon die Erneuerungsbewegung wären, sondern dass wir gemeinsam an der Erneuerung arbeiten müssen. Wir wissen, dass schon ganz viele andere Leute genau in die Richtung arbeiten, die wir uns wünschen. Gerade im Osten gibt es ja Erfahrungen, die sehr wichtig und an die man anknüpfen muss. Wir behaupten auch nicht, dass wir Patentrezepte hätten. Aber politische Macht für die Linkspartei und die gesellschaftliche Linke entsteht nur von unten durch Organisierung und durch Bewusstseinsprozesse. Dadurch entstehen auch die Spielräume, die man braucht, um in einer Regierung eigene Ziele zu verwirklichen.
Diese politische Basisarbeit scheint in Ostdeutschland gerade wegzubrechen, weil der Nachwuchs fehlt.
Zelik: Im Osten gab es lange eine Arbeitsteilung. Die Älteren haben oft ziemlich gute Arbeit vor Ort gemacht: Hartz-IV-Frühstück, Unterstützung von Geflüchteten, soziale Treffpunkte. Die Jüngeren dagegen wurden in die Parlamente delegiert und haben sich da als Berufspolitiker selbstständig gemacht. Wenn die Älteren nicht mehr in der Lage sind, diese aus meiner Sicht so wichtige Basisarbeit in Dörfern, Städten und Nachbarschaften aufrechtzuerhalten, bricht sie weg, und das ist vielerorts schon passiert.
Die Bewegungslinke wurde im April 2018 gegründet. Das wirkte damals wie eine Reaktion von Teilen des linken Parteiflügels auf Forderungen von Sahra Wagenknecht und anderen nach einer Begrenzung der Zuwanderung, nach Grenzkontrollen. Ist der Eindruck richtig?
Koch: Ja und nein. Ich glaube, es gibt in der LINKEN schon sehr viel länger Differenzen in der Frage, was verbindende Klassenpolitik in der Praxis bedeutet. Wir haben seit längerem darüber nachgedacht, wie man zum Beispiel klassenorientierte Klimapolitik machen kann, die sowohl prekär Arbeitende und Abgehängte als auch das studentische Milieu anspricht. Uns hat gestört, dass diese Debatte oft extrem abstrakt geführt wurde, und dass viele, die sich daran beteiligten, nicht wirklich eine Ahnung davon hatten, wie in bestimmten Milieus über die Klimafrage oder über Migration gedacht wird. Das kannst du nur herausfinden, wenn du deinen Arsch aus dem Plenarsaal raus bewegst und zum Beispiel Teil der Klimaschutzbewegung wirst. Dann erfährst du auch, dass viele Vorurteile gegenüber »Fridays for Future« überhaupt nicht stimmen.
Also zum Beispiel, dass die Bewegung eine sehr bürgerliche ist?
Koch: Genau. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass sowohl Studierende und Schüler*innen als auch betriebliche Aktivist*innen die zentrale Frage stellen: Wer bezahlt für die Bewältigung der Klimakrise? Da stellt sich heraus, dass eine große Offenheit besteht für progressive Klimapolitik, dass unterschiedliche Milieus, die in der Debatte in der LINKEN häufig gegeneinander gestellt werden, sich darin einig sind, dass die Beschäftigten nicht ihre letzten Pfennige für eine CO2-Steuer ausgeben sollen.
Als Studierendenverband Die LINKE.SDS haben wir in der Klimabewegung viel Arbeit geleistet, und wir sind Teil von ihr. Wir wollen, dass sie in ihrem sozialen Anspruch wächst. Wir probieren ganz praktisch, gewerkschaftlich Aktive und Klimaschützer zusammenzubringen. Das ist viel Arbeit. Die letzten drei Monate hab ich damit verbracht, Gewerkschafter anzuschreiben, betrieblich Aktive zu treffen, zum Beispiel Auszubildende von der IG-Metall-Jugend. Gerade die Gespräche mit ihnen haben mir gezeigt, dass es den behaupteten Widerspruch zwischen »urbanem« und betrieblichem Milieu so gar nicht gibt.
Es gibt in der Debatte das ökonomische Argument, es gebe nur eine bestimmte Menge an Wohnungen und Sozialleistungen zu verteilen. Kommen mehr Leute dazu, bleibt für jeden einzelnen weniger übrig.
Zelik: Kapitalismus ist ein Weltsystem. Transnationale Wertschöpfungsketten, Klimaerwärmung, globales Artensterben und ein Weltmarkt, der Hunderte Millionen Menschen »überflüssig« gemacht hat.
Natürlich kämpfen Linke auch immer innerhalb von Staaten für soziale und demokratische Errungenschaften. Aber sie müssen gleichzeitig jeden Versuch zurückweisen, Solidarität national zu beschränken. Das wichtigste Merkmal von Linken war immer, dass ihre Solidarität eben keine Grenzen kennt. Und ich glaube nicht, dass die Sozialkürzungen der letzten 30 Jahre irgendetwas damit zu tun gehabt hätten, dass mehr Leute in Deutschland gelebt hätten.
Zur Bewegungslinken gehören auch Bundestagsabgeordnete. Welchen Stellenwert messen Sie bei aller Basisorientierung dem »parlamentarischen Arm« der künftigen BAG bei?
Zelik: Abgeordnete können Recherche leisten, die Rolle von Whistleblowern spielen, Sprachrohr sozialer Kämpfe sein. Und natürlich können sie eine ganz wichtige Rolle spielen, um institutionelle Erfolge festzuschreiben. Wenn der Berliner Mietendeckel jetzt wirklich kommen sollte, dann, weil die LINKE, das in der Landesregierung und im Abgeordnetenhaus durchgesetzt hat. Wer Gegenmacht gegen das Kapital aufbauen will, muss auf unterschiedlichen Baustellen arbeiten. Und selbstverständlich müssen sich die Anstrengungen ergänzen.
Der Akademikeranteil ist gerade in der Linkspartei sehr hoch. Besteht da nicht die Gefahr, Leute auszugrenzen, die eine gewisse Vorbildung nicht haben?
Koch: Wenn man konkret miteinander arbeitet, dann lernt man im täglichen Dialog, eine gemeinsame Sprache zu entwickeln. Und verschiedene Sozialisationen erlauben ja auch eine Arbeitsteilung wie zum Beispiel in der »Kotti und Co.«-Bewegung gegen Mietenwahnsinn in Berlin. Da sind so viele verschiedene Fähigkeiten gefragt. Andererseits haben ja mittlerweile mehr als 50 Prozent der Leute in Deutschland einen höheren Bildungsabschluss. Und es ist ja nicht so, dass Akademiker nicht zur Arbeiterklasse beziehungsweise zu den abhängig Beschäftigten gehören.
Wie ist der Koordinierungskreis der Bewegungslinken zusammengesetzt?
Koch: Wir bemühen uns um eine immer stärkere Diversität, und die hat sich durchaus schon entwickelt. Es sind Leute dabei, die für die Partei arbeiten, aber auch solche wie Raul und ich, die ehrenamtlich aktiv sind. Und wir haben darauf geachtet, dass Menschen aus möglichst vielen Regionen dabei sind.
Auf dem Gründungstreffen soll es insbesondere um die Themen Mietenpolitik und Klimapolitik gehen. Welche konkreten Vorhaben gibt es?
Koch: Wir wollen das Thema Klimaschutz mit den im kommenden Jahr bundesweit anstehenden Tarifauseinandersetzungen im öffentlichen Nahverkehr verbinden. Dabei geht es darum, dass viel mehr Personal nötig ist, um einerseits gute Arbeitsbedingungen zu haben und andererseits den Ausbau des ÖPNV voranzutreiben, um immer mehr Individualverkehr überflüssig zu machen.
Aber wir wollen natürlich auch bei der Vernetzung der Kreisverbandsarbeit der LINKEN vorankommen. Die wollen wir stärker für den Aufbau von lokalen Solidaritätsbündnissen nutzen, die für den Ausbau des lokalen ÖPNV eintreten. Da gibt es schon interessante Verknüpfungen in den Basisgruppen. Bei unserem Treffen wollen wir auch Modellprojekte entwickeln und überlegen, wie man einander überregional mit der Weitergabe von Erfahrungen unterstützen und Aktivitäten koordinieren kann.
Zelik: Ich würde sagen, es geht darum, Türen zu öffnen. Die gesellschaftliche Linke wird mehr Erfolg haben, wenn sie Bewegungen und Partei nicht getrennte Sphären betrachtet, sondern als komplementär zueinander.
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