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Reset Europe, go left - unter diesem Motto findet am Wochenende der Kongress der Europäischen Linkspartei statt
Gregor Gysi will nicht mehr. Bereits im Juli hatte der Präsident der Partei der Europäischen Linken mitgeteilt, dass er sich auf dem 6. Kongress der EL, der am Wochenende im spanischen Málaga stattfindet, nicht wieder zur Wahl stellen werde. »Nach drei Jahren als Präsident möchte ich den Wechsel auf die nächste Generation ermöglichen«, erklärte Gysi. Der LINKE-Politiker war der vierte Vorsitzende des vor 15 Jahren mit großen Ambitionen aus der Taufe gehobenen Bündnisses aus europäischen linken und linksgrünen Parteien - nach dem Italiener Fausto Bertinotti, dem Deutschen Lothar Bisky und dem Franzosen Pierre Laurent.
»Wir müssen unser Profil schärfen, ohne unsere Pluralität und Breite aufzugeben«, hatte Gysi aus den Europawahlen einen Monat zuvor gefolgert. Von ihren 52 Sitzen in der vergangenen Legislatur büßten die Europa-Linken 11 ein und kommen im neuen EU-Parlament nur noch auf 41 Mandate - die kleinste Fraktion in der europäischen Volksvertretung. »Die Parteien führen einen rein nationalen Wahlkampf«, bemängelte Gysi gegenüber »nd«. Es habe keinen wirklichen europäischen Akteur gegeben.
Ein Eingeständnis des Scheiterns sieht Gysi in seinem Rückzug von der EL-Spitze aber nicht; »persönlich war ich eher erfolgreich«, sagt er. Dazu gehört sicher zuerst, dass er die Europapartei zusammengehalten hat. Selbstverständlich war das nicht, gilt die bunt zusammengesetzte Europäische Linke doch gelinde gesagt als kompliziert. Die vermutlich dramatischste Krise hatte die EL im vergangenen Jahr durchlebt, als die französische Parti de Gauche (PG) forderte, die griechische SYRIZA auszuschließen. Der damalige SYRIZA-Premier Alexis Tsipras, der auch für die Europäische Linke bei der EU-Wahl 2014 als Spitzenkandidat angetreten war, habe letztlich eine Austeritätspolitik betrieben und die Interessen von EU und Internationalem Währungsfonds bedient. In der EL-Führung fiel das Begehren allerdings durch; die PG zog ihrerseits die Konsequenzen und kehrte den Linkseuropäern den Rücken. Und mit ihr auch die starke La France Insoumise von Jean-Luc Mélenchon, die bei den französischem Präsidentschaftswahlen 2017 immerhin 19,58 Prozent geholt hatte.
Dass die PG ihren Vorstoß auch damit begründete, dass die EL »in ihren Reihen nicht gleichzeitig Befürworter und Gegner eines solchen Europas« haben könne, zeigt plakativ deren Heterogenität. Anders als beispielsweise in der konservativen Europäischen Volkspartei oder der Sozialdemokratischen Partei Europas finden sich unter den derzeit 40 Mitglieds-, Partner- und Beobachterparteien verschiedenste Positionen, die mitunter kaum unter einen Hut zu bringen sind. Das Spektrum reicht von Parteien, die die EU grundsätzlich ablehnen über Kräfte, die zumindest die vertraglichen Grundlagen der Gemeinschaft radikal demokratisieren wollen, bis hin zu Gruppierungen, die auch mit Veränderungen in kleinen Schritten leben können. Die Frage, ob die EU reformierbar ist oder nicht, sei jedoch letztlich eine abstrakte, meint Heinz Bierbaum, der im politischen Sekretariat der EL sitzt und die Internationale Kommission der LINKEN leitet, gegenüber »nd«. »Entscheidend sind vielmehr die politischen Prozesse, die in Gang zu setzen sind, um die EU und damit Europa zu verändern.«
Solche Prozesse will die EL nun einleiten. Der mit Reset Europe überschriebene Parteitag nimmt Bezug auf die Digitalsprache, in der Reset für das Rücksetzen auf Anfang steht. Dass damit sowohl EU-Europa als auch die EL selbst gemeint sein könnte, ist ein geschickter Schachzug der Organisatoren. Angesichts der Krise, in der sich die Europäische Linke derzeit befindet, stellten sich zwei zentrale Aufgaben, meint Bierbaum: »Sie muss ihr politisches Profil deutlich verbessern, um somit wieder sichtbar zu werden. Und sie muss die Kooperation mit den linken Kräften in Europa stärken.«
Die politische Deklaration, die in Málaga beraten werden soll, enthält dazu einige bemerkenswerte Ansätze. Mit Verweis auf Initiativen gegen die verfehlte Klimapolitik und den fortgesetzten Austeritätskurs stellt die sozial-ökologische Transformation ganz oben auf die Agenda. Konkret geht es der EL unter anderem darum, Behörden, Beschäftigte, Arbeitnehmer- und Bürgerverbände in die Lage zu versetzen, die wirtschaftliche Ausrichtungen in den Staaten und Unternehmen zu kontrollieren. »Längerfristig ist es unser Ziel, dass die wirtschaftlichen Schlüsselbereiche, wie der Energiesektor, in gesellschaftliches Eigentum überführt werden«, heißt es. »Das bedeutet, dass das Volk und seine gewählten Vertreterinnen und Vertreter die Wirtschaft leiten.« Diese Passagen dürften mehr Staub aufwirbeln als die Forderungen nach Gleichberechtigung aller Menschen, Abrüstung, einer neuen Industrie- und Agrarpolitik oder der forcierten Demokratisierung der Gesellschaften, die zum Standardprogramm linker Parteien gehören.
Durchaus selbstkritisch setzt sich die Europäische Linke in dem Grundsatzpapier mit ihrer eigenen Entwicklung auseinander. In den Zeiten der sozialen und politischen Umbrüche sei es ihr bislang nicht gelungen, »die zunehmende Kritik an der neoliberalen Politik in Europa erfolgreich für eine glaubwürdige politische Alternative zu nutzen«. Und: »Die Linke trat nicht ausreichend geschlossen auf.« Wie die angesichts dessen verlangte Vertiefung der internationalen Beziehungen erfolgen soll, bleibt in der Deklaration offen. Zumindest sollen die jährlichen europäischen Foren der linken und progressiven Kräfte, die bereits dreimal Parteien, Bewegungen und Initiativen zusammenführten, ausgebaut werden. Das wird dann unter einer EL-Spitze, die künftig aus einer Frau und einem Mann bestehen soll, erfolgen. Ein Ergebnis des Málaga-Kongresses scheint indes bereits festzustehen: Mélenchons La France Insoumise will wieder in den Status einer Beobachterpartei der Europäischen Linken.
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