Stadt unter

Eine neue Broschüre beschreibt das Ausmaß der Auswirkungen des Klimawandels auf den Meeresspiegel – und die Küstenmetropolen in aller Welt.

  • Ingrid Wenzl
  • Lesedauer: 4 Min.

Venedig wurde diesen November gleich dreimal von schweren Überschwemmungen heimgesucht. Das Wasser erreichte dabei Pegelstände von über 1,5 Metern und drang auch in den Markusdom ein. Zwar sind Hochwasser zum Novembervollmond nicht ungewöhnlich für die Stadt an der Adria. Doch das Ausmaß der diesjährigen Überflutung gab einen Vorgeschmack auf das, was auf viele Küstenstädte weltweit im Laufe dieses Jahrhunderts zukommen könnte, wenn die Menschheit nicht drastisch ihre Treibhausgasemissionen verringert. Denn derartige Phänomene werden nach Meinung von Expert*innen durch den im Zuge des Klimawandels immer schneller steigenden Meeresspiegel verstärkt. Diesem galt auch bei der aktuellen Konferenz in Madrid besonderes Augenmerk.

»Die Belastung der Küstenschutzbauwerke erhöht sich, Seegang und Wellen nagen an den Küsten, die Erosion nimmt zu. Darauf müssen wir uns als Gesellschaft vorbereiten und anpassen«, erklärt Torsten Schlurmann, Professor für Wasserbau und Küsteningenieurwesen an der Leibniz Universität Hannover und Mitverfasser der Broschüre »Zukunft der Meeresspiegel«, die das Deutsche Klima-Konsortium (DKK) und das Konsortium Deutsche Meeresforschung (KDM) diese Woche veröffentlicht haben. Mit dem steigenden Meeresspiegel dringt das Salzwasser in das Grundwasser ein, das Trinkwasser wird ungenießbar und die Böden versalzen. »Die Hälfte der Menschheit lebt in Städten, die weniger als 100 Kilometer von der Küste entfernt sind. Die Großstädte am Meer wachsen, der Küstenraum wird intensiv genutzt - deshalb ist auch der Meeresspiegelanstieg für die Weltgemeinschaft eine so bedrohliche Folge des Klimawandels«, warnen die Autor*innen der Publikation.

Ihnen zufolge ist der Meeresspiegel im letzten Jahrhundert um rund 15 Zentimeter gestiegen, in den letzten 25 Jahren allein um 7,5 Zentimeter. Dabei handelt es sich jedoch nur um einen globalen Mittelwert, regional gibt es große Unterschiede: So steigt der Ozean im östlichen Pazifik rund viermal so stark wie im globalen Mittel, besonders gefährdet sind die pazifische Inselgruppe Mikronesien aber auch die US-amerikanischen Metropolen Miami und New York am Atlantik.

Die Gründe für die regionalen Unterschiede liegen in erster Linie in den dynamischen Prozessen im Ozean und am Festland. Eine Schlüsselrolle spielen dabei die Meeresströmungen, die Wassermassen unterschiedlicher Temperatur und Dichte auf dem ganzen Globus verteilen. Mit der Erwärmung der Weltmeere und dem verstärkten Süßwassereintrag durch das Abschmelzen des grönländischen und antarktischen Eises ändern sich diese.

»Dies geschieht auf beiden Halbkugeln. Damit strömt das Wasser in die Tropen und die mittleren Breiten«, so der Vorstandsvorsitzende des DKK, Mojib Latif. Das Schwinden des Festlandeises an den Polen hat regional noch eine eher paradoxe Wirkung: Dadurch heben sich beispielsweise die Landmassen Grönlands, sodass dort der Meeresspiegel fällt. In Skandinavien dauert derselbe Prozess als Spätfolge der letzten Eiszeit noch heute an, während sich das Festland Norddeutschlands im Gegenzug absenkt.

Auch die exzessive Entnahme des Grundwassers für die Trinkwasserversorgung asiatischer Megacitys wie Jakarta, Ho-Chi-Minh-Stadt oder Bangkok sowie für die umliegende Landwirtschaft lässt große Küstenregionen absinken. Rund 40 Prozent der indonesischen Hauptstadt liegen bereits unter dem Meeresspiegel, so dass die dortige Regierung im August verlautbaren ließ, ihren Sitz nach Borneo zu verlegen. Die Millionenstadt Tokio ist laut der Publikation von DKK und KDM durch die jahrzehntelange Grundwasserentnahme bereits um ganze vier Meter abgesackt.

Um zuverlässige Prognosen für die Zukunft treffen zu können, schauen die Klimawissenschaftler und Ozeanographen auch in die Vergangenheit. Dabei rekonstruieren sie die jeweilige Höhe des Meeresspiegels anhand geologischer, biologischer oder archäologischer Funde wie früherer Korallenriffe. Sowohl im mittleren Pliozän vor drei Millionen Jahren, als auch in der letzten Zwischeneiszeit vor 125 000 Jahren, als Temperaturen und Kohlendioxidgehalt in der Atmosphäre mit der Situation heute vergleichbar waren, lag der Meeresspiegel laut Erkenntnissen der an der Broschüre beteiligten Wissenschaftler*innen mehr als sechs Meter höher als heute.

Bei Einhaltung des Zwei-Grad-Ziels rechnen die Forscher*innen bis Ende dieses Jahrhunderts mit einem Anstieg des globalen mittleren Meeresspiegels um weitere 30 bis 60 Zentimeter. Sollten die Emissionen so bleiben wie bisher, wären es schon 60 bis 110 Zentimeter. »Für viele Küstenstriche wäre ein Anstieg von einem Meter katastrophal«, warnt Latif. »Etwa für Länder wie Bangladesch, wo Millionen von Menschen leben! Dabei müssen diese Länder nicht komplett überflutet werden, es reicht schon, dass landwirtschaftliche Flächen unbrauchbar werden.«

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