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Widerspruch, Konflikt - und Utopie
Paul Werner Wagner und der nd-Filmclub im Berliner »Toni«: Eine Erfolgsgeschichte
Ein Bewahrer, ein Vermittler, ein Beförderer - von Wissen und Herzensbildung: Paul Werner Wagner, Vorsitzender der Friedrich-Wolf-Gesellschaft e.V.. Mit dem 1948 geborenen Kultur- und Literaturwissenschaftler sprach Hans-Dieter Schütt.
nd: Nachdem Sie sich im nd-Filmclub bereits 2019 dem Dokumentarfilm zuwandten, setzen Sie das im nächsten Jahr fort. Dokumentarfilm zieht?
Ja. Viele Filme und ihre Schöpfer verdienen es, im Kino wieder präsentiert zu werden. Wer in der DDR wesentliche Lebenserfahrungen machte, kann sich durch Filme in Vergleich bringen - zu anderen Erfahrungen, zum ganz anders gestrickten Heute. Dokumentarfilme kann man in besonderer Weise für die politisch-historische Bildung aller Generationen nutzen.
Termine
29.1., 18 Uhr, Kino Toni, Antonplatz 1, 13086 Berlin, nd-Filmclub: »Aschermittwoch« (1989), 20’; »Paule in Concert« (1984), 32’; »Gruß aus Ahlsdorf« (1981), 40’. Zu Gast: Lew Hoffmann.
26.2., 18 Uhr, Kino Toni, nd-Filmclub: »Großer trauernder Mann« (1993), 29’; »Im Labyrinth. Die Welt des Bildhauers Wieland Förster« (2005). Zu Gast: Eduard Schreiber.
25.3., 18 Uhr, Kino Toni, nd-Filmclub: »flüstern & schreien« (1988), 120’. Zu Gast: Jochen Wisotzki.
29.4., 18 Uhr, Kino Toni, nd-Filmclub: »WML - Steiger oder Maler« (1976), 21’; »Das Bergwerk - Franz Fühmann« (1998), 85’. Zu Gast: Karlheinz Mund.
27.5., 18 Uhr, Kino Toni, nd-Filmclub: »An einem Februarvormittag« (1981), 7’; »Der dicke Lipinski« (1984), 15’; »Es war einmal ein Mittwoch« (1988), 19’; »Freitag, der 13.« (1989), 20’; »Hermann Henselmann« (1986), 18’. Zu Gast: Gunther Scholz
Buchtipp
Paul Werner Wagner/ Hans-Dieter Schütt: »Lebens Traum und Lebens Lauf - Zeitgenossen aus Ost und West im Gespräch«
Herausgegeben von der Friedrich-Ebert-Stiftung
Das Buch enthält Begegnungen unter anderem mit Friedrich Dieckmann, Tissy Bruns, Peter Maffay, Armin Mueller-Stahl, Michael Verhoeven, Antje Vollmer.
Quintus-Verlag, ca. 200 S., br., ca. 16 €. Erscheint im Januar.
Auch für ein westdeutsches Publikum?
Unbedingt! Filme sind eine Chance, sich mit einer Fremde vertraut zu machen, die doch zur gesamtdeutschen Geschichte gehört. Dieses Kulturangebot wird angenommen, davon konnte ich mich überzeugen - bei den von mir kuratierten und moderierten Filmwochen in Nürnberg, Münster und Heidelberg oder bei den bereits sechsmaligen DEFA-Filmtagen in Bochum. Westpublikum war oft erstaunt, was für sehenswerte Filme in der DDR entstanden.
Oft heißt es, und die Mundwinkel gehen nach unten: Staatskunst.
DEFA-Filme als Staatskunst zu betrachten, folgt leider einem noch immer gängigen ideologischen Abwertungs-Ehrgeiz. Klar, es gab linientreue Auftragsproduktionen, die heute nur noch Archivwert besitzen. Aber sehen wir den Begriff doch offensiv: Staats-Kunst als ein kräftiges Mühen, dem Staat Kunst gewissermaßen einzuverleiben.
Was einzuverleiben?
Das Gute, Wahre, Schöne. Es als Maßstab zu verteidigen.
Es wurde verteidigt!
Und ob. Mit Courage, Mut, List. Ich nenne nur einige der großen Verstorbenen der DEFA-Regiekunst: Konrad Wolf, Frank Beyer, Egon Günther, Gerhard Klein, Heiner Carow, Slatan Dudow.
Verschenkten Sie Filme zu Weihnachten?
Ja, Filme der DEFA, des DDR-Fernsehens und auch DVDs aus der Zeit des guten alten sowjetischen Films. Um sie aufzubereiten, hat Icestorm, ein Medienunternehmen, das die exklusive Auswertungsgenehmigung des Progress- Filmverleihs für die Filme der DEFA-Stiftung besitzt, Bahnbrechendes geleistet.
Woher kommt Ihre Leidenschaft für den Film?
Vielleicht daher, dass ich in unmittelbarer Nähe der Filmfabrik Wolfen geboren und aufgewachsen bin. Außerdem: In meiner siebenjährigen Bewährung in der Produktion ...
... nach Haft wegen eines Freiheitsversuches, sprich: Republikflucht.
Ja. ... arbeitete ich im VEB Filmfabrik Wolfen, war an der Herstellung von Emulsionen und Farbkomponenten beteiligt - beides sind wichtige Bestandteile, damit aus Material Film werden kann. Seltsam, aus welchen Mosaiksteinchen sich Leben und Vorlieben bauen.
Gab auch das Fernsehen Impulse?
Auch.1957 kaufte mein Vater einen Fernsehapparat »Forum«. Von da an sah ich regelmäßig Filme. Kurz nach Schulschluss um 13.30 Uhr gab es täglich die »Testsendung«. Es liefen Streifen der DEFA und Filme anderer sozialistischer Länder. Jeden Montagabend 20 Uhr wurden alte Filme gezeigt, und dann gab es noch die beliebte »Rumpelkammer«.
Mit Willi Schwabe, dem sonor tönenden Schauspieler des Berliner Ensembles.
Ja, in felliger Hausjacke und mit Nachtlaterne durchstöberte er einen alten Requisitenfundus nach Anlass-Stücken für Ufa-Filmausschnitte. Belebend nostalgisch! Auch das gehörte zum Leben.
Bitte ein Kurzplädoyer auf den DEFA-Film!
Große Teile des DEFA-Werks gehören zum guten deutschen Kulturerbe. Es gibt künstlerisch wertvolle Filme, wahrhaftige Zeitdokumente und anschauliche Zeugnisse der Existenz- und Arbeitswelten der DDR. Dieses Erbe möchte ich - auch im Gespräch mit den Filmschöpfern - im Bewusstsein halten.
Weil Anknüpfungspunkte nötig sind, die aufzeigen: Von der DDR bleibt mehr als das, wofür man sich schämen muss?
Gelebt wurden doch nicht die einseitigen, ignoranten Einteilungsmuster Täter, Opfer, Mitläufer. Wird diese enge Betrachtungsnorm gesetzt, dann verletzt das Menschen - und die Wahrheit. Auch Filme erzählen, dass Leben Vielfarbigkeit ist und nicht nur Tendenz.
Noch einmal zu den Dokfilmen, die Sie 2020 im Kino »Toni« zeigen ...
Es sind ungeschönte Bilder vom Alltag. Da offenbaren sich Widerspruch und Konflikt - zugleich ist da aber immer der Überschuss einer Utopie.
Ein Gefühl von Zuhause beim Betrachten?
Man kann sich auch in dem zu Hause fühlen, was einem nicht gelang, woran man aber mitträumte und -trug.
Nennen Sie einen DEFA-Film, der Sie stärker begleitet hat als andere.
Im Grunde verbietet sich das. Es sind zu viele. Ohne Not muss man nicht ungerecht werden.
Doch.
Dann nenne ich »Die Abenteuer des Werner Holt« von Joachim Kunert. Als ich den Film zum ersten Mal sah, war ich genauso alt wie die Filmgestalten: diese von der Nazi-Ideologie verführten Jugendlichen. Ins Empfinden drängt sich die eigene Familiengeschichte: Großvater und zwei Onkel im KZ und Hinrichtung einer Tante. Einer der stärksten antifaschistischen Filme im Osten.
Verordneter Antifaschismus?
Besser als ein Faschismus, dem Verordnungen nichts anhaben. Antifaschistische Haltungen lassen sich nicht verordnen, klar, aber soziale Strukturen, kultureller Boden und Bildungsprämissen für humanistische Bindungskräfte lassen sich sehr wohl etablieren. Aber wo Freiheit ungezügelt sein darf, lauert eben nahezu gesetzmäßig die Verwilderung.
Über 700 Filmgespräche haben Sie kuratiert und moderiert. Sie wirken auf der Bühne einfühlsam und stets gefühlsbereit.
Ich wirke? Ich bin es. Gefühlsbereit: schönes Wort. Als Zuschauer habe ich Filme seit jeher nicht nur gesehen - ich habe innerlich mitgefiebert, bin eingetaucht. Ich kann mit meiner Erfahrung aus realen Welten eindringen in die Welt der Kunst, das macht mich reicher.
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