• Politik
  • Gedenkstätte Bergen-Belsen

Schüler bezweifeln Zahl von KZ-Opfern

Zunehmend provokante Fragen in der Gedenkstätte Bergen-Belsen

  • Hagen Jung
  • Lesedauer: 3 Min.

Das jüdische Mädchen Anne Frank ist zweifellos das bekannteste Opfer des Grauens im Konzentrationslager Bergen-Belsen, das die Nazidiktatur etwa 60 Kilometer südlich von Niedersachsens Hauptstadt Hannover eingerichtet hatten. Die 15-jährige jüdische Schülerin, deren Tagebuch weltweit Beachtung fand und nach wie vor findet, starb in jenem Lager an Fleckfieber. Durch Seuchen und Unterernährung verloren über 50 000 Menschen ihr Leben in dem KZ. Tagesfahrten dort hin sollen Schulklassen die Folgen der Nazi-Barbarei vor Augen führen. In den vergangenen Jahren haben sich am Ort des Terrors die Reaktionen der jungen Menschen verändert. Nicht selten bezweifeln sie die Zahl der Todesopfer.

Zunehmend stellen Besucher in Bergen-Belsen »provokante« Fragen, zitiert die »Hannoversche Allgemeine Zeitung« den Geschäftsführer der Stiftung Niedersächsische Gedenkstätten, Jens-Christian Wagner. Bei den Äußerungen junger Leute sei seit mehreren Jahren eine Verschiebung der »Grenzen des Sagbaren« nach rechts festzustellen, bedauert der Historiker. Jüngst sei eine Schulklasse vor Ort gewesen, aus deren Reihen derart kritische und provokante Fragen gestellt waren, dass sogar die sie begleitende Lehrerin irritiert gewesen sei. Vermutet wird, dass ein Lehrer, Mitglied der AfD, die Schülerinnen und Schüler vor ihrer Fahrt nach Bergen-Belsen zu der Provokationen »angestachelt« hat.

Die Zeiten, in denen junge Menschen zumeist erschüttert und schweigsam vor den Massengräbern und am Grabmal für Anne Frank sowie deren Schwester Margot verharrten, scheinen vorüber zu sein. Auch früher habe es durchaus provokante Fragen an die Betreuer der Gedenkstätte gegeben, ließ ihr Geschäftsführer die Zeitung wissen, aber nicht im aktuellen Ausmaß. Wagner führt dies auch auf ein »Erstarken« der AfD zurück.

Ausgerechnet jene Rechtspopulisten hatten Anfang 2019 darauf gedrängt, durch jemanden aus ihrer Landtagsfraktion im Stiftungsrat der Gedenkstätten vertreten zu sein. Verbände von Holocaust- und anderen Nazi-Opfern erhoben dagegen mit Erfolg ihre Stimmen. Das Parlament fand einen Weg, die AfD aus dem Gremium herauszuhalten. Die Rechtspartei klagte, unterlag jedoch vor dem Staatsgerichtshof. Sie fand keinen Eingang in eine Gemeinschaft, die sich der Erinnerung an die Verbrechen der Hitler-Regimes widmet, wie sie auch im Konzentrationslager Bergen-Belsen geschahen.

Ingesamt 120 000 Kinder, Frauen und Männer waren dort im Laufe mehrerer Jahre unter schrecklichen Bedingungen zusammengepfercht. Als britische Soldaten das Lager am 15. April 1945 besetzten, fanden sie rund 60 000 Gefangene vor. Von ihnen starben rund 14 000 noch nach der Befreiung, vor ihnen hatten ungefähr 36 000 der Gequälten im KZ den Tod gefunden. Ein britischer Militärarzt berichtete vom Eintreffen in Bergen-Belsen: »An zahlreichen Stellen waren die Leichen zu Stapeln aufgeschichtet.

Überall im Lager lagen verwesende menschliche Körper. Die Bracken waren überfüllt mit Gefangenen in allen Stadien der Auszehrung«. Gepeinigt worden waren diese Menschen unter anderem von als besonders grausam geltenden SS-Schergen. So zum Beispiel von der berüchtigten, erst 22-jährigen Aufseherin Irma Grese. Sie hatte ihr schreckliches »Handwerk« vor der Versetzung nach Bergen-Belsen im Vernichtungslager Birkenau gelernt, wo sie ihre Opfer gern mit der Reitpeitsche misshandelte und insgeheim »die Hyäne von Auschwitz« genannt wurde.

Ebenfalls in Auschwitz durch besondere Brutalität aufgefallen war auch der letzte Lagerleiter in Bergen-Belsen, Josef Kramer. Er, Grese und zehn weitere Wachleute jenes Konzentrationslagers, darunter zwei Frauen, wurden von einem britischen Militärgericht zum Tode verurteilt. Albert Pierrepoint, »prominenter« Scharfrichter Großbritanniens, vollzog die Hinrichtungen am Galgen im Zuchthaus Hameln.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.