Raus aus der Sozialpartnerschaft

Linke Gewerkschafter wollen sich bei einer Strategiekonferenz in Frankfurt am Main organisieren

Als Gewerkschafter hat man es nicht leicht, als linker Gewerkschafter hat man es noch schwerer. Denn dann kommt zuweilen Frustration über die eigene Führung hinzu - etwa wenn der DGB-Vorsitzende Reiner Hoffmann wieder einmal im Namen der Gewerkschaften die Fortführung der Großen Koalition oder an der Seite der Wirtschaftslobby eine staatliche Investitionsoffensive fordert. Statt um den Personalnotstand in Krankenhäusern, Schulen und Kitas sei es in der gemeinsamen Erklärung des Deutschen Gewerkschaftsbundes und des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI) vom November nämlich vor allem um »Milliardenpakete für die Rettung der Profite« gegangen, beklagt Angelika Teweleit, Sprecherin der Initiative »Vernetzung für kämpferische Gewerkschaften« (VKG) gegenüber »nd«. Ein Kurswechsel sei nötig. Erstmalig lädt der gewerkschaftsübergreifende Zusammenschluss für Ende Januar zu einer »Strategiekonferenz für kämpferische Gewerkschaften« nach Frankfurt am Main, um zu beraten, wie man die gewerkschaftliche Agenda nach links verschieben kann.

Die gemeinsame Erklärung von BDI und DGB ist für die Konferenzinitiatorin Sinnbild einer falschen Politik. »Die Gewerkschaftsführungen setzen wie die Bundesregierung auf Sozialpartnerschaft und beschwören gemeinsame Interessen mit den Unternehmern zum Schutz des Standorts Deutschland.« Statt Gegenwehr zu mobilisieren, ließen sie sich einbinden, so Teweleit. Mit Sorge schaut die Gewerkschaftslinke daher jetzt auf die beginnende Rezession. Denn dann, so die Befürchtung, werden Gewerkschaftsspitzen bei der kleinsten Drohung zu Zugeständnissen bereit sein.

Ob Arbeitsdruck oder Niedriglöhne, Klimawende oder Digitalisierung - die Themen des Strategiewochenendes sind die von DGB-Kongressen, aber die Antworten sollen anders sein. Stichwort Automobilkrise: Während die IG Metall angesichts von Sparprogrammen und Kündigungen einen »sozialverträglichen« ökologischen Umbau anmahnt, finden es linke Gewerkschafter sinnvoller, den Kampf um den Erhalt von Arbeitsplätzen mit dem Kampf für Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich zu verknüpfen. Die als Tarifforderung in Mode gekommene Wahlmöglichkeit zwischen zusätzlichen Lohnprozenten und freien Tagen ist vielen zu defensiv.

Sind die Gewerkschaften nicht willens oder nur zu durchsetzungsschwach? Die Mitgliederzahlen sinken, Betriebe flüchten aus der Tarifbindung. Teweleit, die seit Jahren in einer kritischen ver.di-Gruppe aktiv ist, sieht in einem Ende der sozialpartnerschaftlichen Ausrichtung der Gewerkschaftspolitik die Lösung: »Immer wenn Gewerkschaften kämpfen, zeigt sich, dass viele Leute eintreten.« Tatsächlich gab es in den letzten Jahren einen beachtlichen Aufbruch in Bereichen, die zuvor nicht als »Bataillone der Arbeiterklasse« gesehen wurden, etwa im Sozial- und Erziehungsdienst, im Sicherheitsgewerbe, in Krankenhäusern, dem Einzelhandel oder bei Amazon. Ver.di habe hier das Potenzial bei Weitem nicht ausgeschöpft, sagt Teweleit.

Dass es so ist, wie es ist, zeugt aber eben auch von der Schwäche der Linken innerhalb der Gewerkschaften. Die alle zwei Jahre stattfindenden »Streikkonferenzen« der Rosa-Luxemburg-Stiftung haben sich zur größten Zusammenkunft von Gewerkschaftslinken in der Bundesrepublik gemausert. Doch die Initiatoren der Frankfurter Konferenz, die von rund 20 Gewerkschaftsgruppen unterstützt wird, vermissen eine engere Koordinierung über diese Treffen hinaus. »Kämpferische Kollegen und Betriebsgruppen müssen sich vernetzen und organisieren«, fordert VKG-Sprecherin Teweleit. Für den ersten Aufschlag rechnet sie mit etwa 150 Teilnehmern.

Der Anspruch ist hoch: Über den Erfahrungsaustausch hinaus will man konkret diskutieren, wie Strategien etwa für eine selbstbewusste Arbeitszeitkampagne aussehen können. Anknüpfungspunkte könnten die anstehenden Tarifrunden für mehr als zehn Millionen Beschäftigte in der Metall- und Elektroindus-trie, im öffentlichen Dienst oder Nahverkehr sein. Erfolge wie auf dem ver.di-Bundeskongress 2019 machen Linken in den Gewerkschaften Mut. Dort stimmten die Delegierten entgegen der Empfehlung der Antragskommission dafür, dass »eine breite Debatte« über die 30-Stunden-Woche bei vollem Lohn- und Personalausgleich angestoßen werden soll. Doch nun muss das Papier mit Leben gefüllt werden. Wie - für solche Beratungen will die Frankfurter Konferenz Raum bieten.

Transparenzhinweis I: »nd« unterstützt die Strategiekonferenz am 25./26. Januar in Frankfurt im Rahmen einer Medienpartnerschaft. Infos: www.vernetzung.org/veranstaltungen/

Transparenzhinweis II: In einer früheren Fassung des Artikels konnte der Eindruck entstehen, als habe ver.di die Forderung nach Einführung der 30-Stunden-Woche beschlossen. Dies wurde nachträglich korrigiert.

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