- Politik
- Ministerpräsident in Thüringen
»Ein Pakt mit der faschistischen AfD«
Bundesweites Entsetzen nach Wahl von Thomas Kemmerich zum thüringischen Ministerpräsidenten / Demonstrationen in mehreren Städten angekündigt
Die Wahl von Thomas Kemmerich (FDP) zum thüringischen Ministerpräsidenten mit Stimmen der AfD sorgt für Entsetzen. Bundesweit klingeln angesichts des Dammbruchs bei vielen Antifaschisten die Alarmglocken. Erste Demonstrationen waren für Mittwoch unter anderem in Erfurt, Jena, Weimar, Berlin, Köln und Leipzig angekündigt. Bereits am Nachmittag versammelten sich spontan rund 100 Menschen vor dem thüringischen Landtag. »1930 - erster Minister der NSDAP; 2020 - erster Ministerpräsident mit Stimmen der AfD«, stand auf dem Schild eines Demonstranten.
Die Bewertung der thüringischen Ministerpräsidentenwahl ist bei vielen Kritikern eindeutig: »Die konservativen und neoliberalen Kräfte haben einen Pakt mit der faschistischen AfD geschlossen« erklärte die Jenaer Ortsgruppe der bundesweiten antifaschistischen Kampagne »Nationalismus ist keine Alternative« (NIKA) am Mittwoch. »Der neue Ministerpräsident ist auf Gnaden der AfD im Amt«, hieß es weiter. Man rufe alle Antifaschisten zum Protest gegen den »neuen Braun-Schwarz-Gelben Schulterschluss« auf.
Ulriker Sommer von der bundesweiten NIKA-Kampagne erklärte gegenüber »nd«: »Was wir jetzt gerade beobachten, mag Antifaschist*innen nicht verwundern, denn die Faschisierung beobachten wir schon lange, weisen darauf hin, kämpfen dagegen.« Dass FDP und CDU auf Landesebene mit den Faschisten paktierten, könne nur bedeuten, zu zeigen, dass man nicht einfach nur zusehe. »Thüringen war das erste Bundesland in dem die NSDAP Regierungsbeteiligung bekam«, so Sommer. Die Folgen kenne man. »Wir lassen uns nicht von den Beschwörungen auf die Demokratie einlullen, wenn angeblich liberale Politiker den Faschisten feierlich die Hand schütteln.« Man wolle auf der Straße ein deutliches Zeichen setzen. »Wer Steigbügelhalter für den Neuen Faschismus sein will, muss mit uns rechnen.«
Auch die bundesweite linksradikale Organisation »Interventionistische Linke« (IL) machte deutlich, was sie von der Wahl Kemmerichs hält. »CDU und FDP in Thüringen Hand in Hand mit Faschisten - so sieht sie aus, die bürgerliche Mitte«, erklärte die Gruppe. Und ergänzte: »Kein Fußbreit, niemals. No Pasaran!« Emily Laquer, eine Sprecherin der IL, erklärte weiter: »Zur Hölle mit Euch, FDP-Fraktion Thüringen.« Als »Dammbruch« bezeichnete auch Stina Rückert von der IL Leipzig die Wahl. Diese Situation dürfe nicht normalisiert werden, so die Aktivistin zu »nd«. Wer diese Entwicklung ernst nehme, müsse sich entschieden dagegenstellen und sich den Protesten heute und in den kommenden Tagen vor FDP- und CDU-Zentralen anschließen.
Till Facius, Pressesprecher von der Ortsgruppe Jena der Initiative »Wann Wenn Nicht Jetzt« rief ebenfalls zum Protest auf. »CDU und FDP haben heute gezeigt, dass sie sich lieber von den Faschisten und Menschenfeinden an die Macht verhelfen lassen, statt sich gegen eben jene deutlich abzugrenzen.« Das sei ein politischer Skandal, der der AfD noch mehr Tür und Tor öffne. Dies dürfe nicht unbeantwortet bleiben. »Wir dulden kein geschichtsvergessenes Handeln und sehen unseren antifaschistischen Protest in Thüringen umso stärker gefordert.«
Die Schülerbewegung »Fridays for Future« zeigte sich angesichts der Wahl wütend. »Wer mit der faschistischen AfD gemeinsame Sache macht, tritt Demokratie und Menschenwürde mit Füßen«, hieß es in einer Mitteilung. Ein Blick in die Vergangenheit reiche, um zu sehen, dass man gesellschaftliche Aufgaben nie zusammen mit »Faschisten« angehen dürfe. »Dieser Tag ist eine Schande für die Demokratie.«
Vor allem in Thüringen warnten Antifaschisten und Experten vor den Folgen der Wahl. »Demokratie bedeutet ein klares Bekenntnis zur Verfassung und den darin enthaltenen Schutz von Minderheiten«, sagte die thüringische LINKE-Abgeordnete Katharina König-Preuss am Mittwoch. Demokratie bedeute damit auch immer Antifaschismus. Mit Blick auf CDU und FDP sagte sie: »Wer der AfD den Steigbügel hält, stellt sich dagegen.«
Der Jenaer Soziologe Matthias Quent betonte die historische Bedeutung der Wahl: »Damit ist der politische Rechtsruck in der ersten Regierung angekommen.« Die bürgerlichen Sonntagsreden in den vergangenen Wochen und Monaten haben sich damit laut dem Direktor des thüringischen Instituts für Demokratie und Zivilgesellschaft als »Heuchelei« erwiesen. »Man kooperiert wieder mit Rechtsextremisten - gegen den Willen der Mehrheit«, so Quent. Der Soziologe Oliver Nachtwey hielt fest: »Notiert Euch den Tag, Freunde. Es wird Ernst.«
Stimmen aus der Zivilgesellschaft drückten derweil ihre Sorge vor einem ansteigenden Rassismus aus. »Ich habe Angst vor dem noch raueren Wind, der meinen nichtdeutschen Mandanten, Freunden und Familienangehörigen entgegenwehen wird«, erklärte die Berliner Anwältin sha Hedayati. »Der salonfähige Rassismus wird sich auch in Entscheidungen von Behörden und Justiz niederschlagen.«
Wie es politisch nun in Thüringen und im Bund weitergehen soll, ist völlig unklar. Verschiedene Stimmen von linksradikal bis bürgerlich forderten von der mitregierenden SPD, die Große Koalition zu beenden, sollte die CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer nicht intervenieren. Auch aus der SPD selbst erhob sich diese Forderung. »Das richtet einen Schaden an, der weit über Thüringen hinausgeht. Wenn Lindner und Kramp-Karrenbauer diese Farce nicht sofort beenden, kann es kein Weiter so in der Großen Koalition geben«, sagte etwa der SPD-Politiker Ralf Stegner gegenüber Medien.
»Heute ist ein guter Tag, um in eine antifaschistische Partei einzutreten«, erklärte dazu der stellvertretende Bundesvorsitzende und Juso-Vorsitzende Kevin Kühnert auf Twitter. »Heute ist ein guter Tag, um aus der GroKo auszutreten«, erwiderte die linksradikale Gruppe »TOP« aus Berlin.
Ein freudiger Tag ist die Wahl von Kemmerich derweil für Rechtsaußen. Neben einer im thüringischen Landtag jubelnden AfD zeigte sich dies auch in zahlreichen Äußerungen von Neonazis in sozialen Netzwerken. »Bei neonazistischen und völkischen Gruppen knallen die Korken, sie feiern die Abwahl von Bodo Ramelow«, schrieb der Journalist und Rechtsaußen-Experte Henrik Merker.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.