»Dann haben wir ihn planmäßig gewählt«

Szenen einer Nähe: Wie CDU, FDP und AfD zusammenspielten.

Der Tabubruch von Erfurt kam keineswegs überraschend. Allenfalls verblüfft noch die Hemdsärmligkeit, mit der sich CDU und FDP auf die ganz reale Möglichkeit einließen, gemeinsam mit der AfD einen Ministerpräsidenten zu wählen. Dass dieses Szenario Wirklichkeit werden konnte, war zwar nach allen bisherigen Gepflogenheiten schwer vorstellbar, aber eben überhaupt nicht auszuschließen. Zahlreiche Medien, auch »neues deutschland«, hatten vor der Wahl darauf hingewiesen; Parteien und Fraktion haben diese mieseste aller Varianten dem Vernehmen nach ebenfalls gründlich durchgespielt.

Schon im letzten Herbst, kurz nach der Thüringer Landtagswahl vom 27. Oktober, war deutlich geworden, dass es vor allem in der Thüringer CDU Sympathien für eine direkte Zusammenarbeit mit der Höcke-AfD gibt. Von einer Podiumsveranstaltung wenige Tage nach der Wahl berichteten Zuschauer, Vertreter von CDU und FDP hätten über eine Strategie diskutiert, um Rot-Rot-Grün auszubremsen. Deren letzte Eskalationsstufe: Ein Christdemokrat stellt sich zur Wahl als Ministerpräsident, und wenn dann die AfD dafür stimme, sei es ja nicht Schuld der CDU.

Weniger verschämt äußerte sich frühzeitig Michael Heym, immerhin stellvertretender Vorsitzender der CDU-Landtagsfraktion. Er setzte sich für eine Öffnung der CDU in Richtung AfD ein und verwies deutlich auf die Möglichkeit einer Koalition von CDU und FDP mit den Rechtspopulisten. Dafür erntete er zwar Kritik in seiner Partei, aber auch einen Unterstützerbrief aus dem Landesverband - und er wurde, wenngleich knapp, als Fraktionsvize bestätigt.

Ungeachtet dessen versuchte Rot-Rot-Grün in den letzten Wochen, mit CDU und FDP über eine Sachzusammenarbeit und die punktuelle Unterstützung einer Minderheitsregierung zu sprechen. Von einem Treffen dieser Tage mit der FDP erzählte Bodo Ramelow dem »Spiegel«: »Ich habe den Liberalen ausdrücklich angeboten, sie bei Themen wie Bürokratieabbau und Vergaberecht zu beteiligen ... Ich bin mit dem Eindruck rausgegangen, die werden mich zwar nicht wählen, aber auch nicht verhindern.«

Offen enttäuscht zeigte er sich in dem Interview vom FDP-Politiker Thomas Kemmerich, der sich am Mittwoch mit allen AfD-Stimmen zum Regierungschef wählen ließ. Am Freitag vor der Ministerpräsidenten-Wahl sei er, so Ramelow, noch bei Kemmerich auf der Erfurter Karnevalssitzung gewesen, »wo er der Präsident ist. Ich halte dort meine allererste Büttenrede. Und er bedankt sich für die Unterstützung ... Und am Mittwoch nach seinem Tabubruch spricht er von mir als linksradikalem Extremisten.«

Nach der Skandalwahl vom Mittwoch dieser Woche ist bekannt geworden, dass die CDU-Bundesvorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer, offenbar nichts Gutes ahnend, mit ihrem Thüringer Landesverband »fest vereinbart« habe, »dass es keinen eigenen Kandidaten geben wird, weil wir gesagt haben, niemand von der CDU lässt sich von der AfD wählen«. Sie habe außerdem den FDP-Vorsitzenden Christian Lindner »sehr herzlich darum gebeten«, sagte sie in einem Fernsehinterview, »auch seinerseits dafür zu sorgen, dass die FDP keinen Kandidaten aufstellt«. Lindner wiederum stand laut dem Erfurter FDP-Fraktionschef Thomas Kemmerich laufend in Kontakt mit seinem Thüringer Landesverband und war entweder nicht gewillt oder nicht in der Lage, den Landespolitikern diese riskante und provozierende Kandidatur auszureden.

Kramp-Karrenbauer kommentierte das in dem TV-Interview so: Augenscheinlich habe Lindner »nicht den Durchgriff in Thüringen gehabt, dass die FDP sich davon hätte abbringen lassen. Es war aus meiner Sicht erkennbar, dass die Gefahr der AfD-Volte besteht. Das hat sich ... bestätigt und das ist ein Schaden für Thüringen und weit über Thüringen hinaus.« Zu diesem Schaden hat die CDU-Chefin indessen selbst beigetragen: Nach Bodo Ramelows Einschätzung hat sie verhindert, dass in Thüringen eine Projektregierung zustande kam, bei der die rot-rot-grüne Regierungsminderheit punktuell mit Oppositionsfraktionen zusammenarbeitet. Diesen Weg habe Kramp-Karrenbauer dem CDU-Landesvorsitzenden Mike Mohring ausdrücklich verweigert, ist Ramelow überzeugt.

So lief alles teils zielgerichtet, teils chaotisch auf die skandalöse Wahl Kemmerichs hinaus. Der hatte, wie auch Mohring, schon im November 2019 ein Schreiben von AfD-Landeschef Björn Höcke erhalten, in dem dieser von der Möglichkeit einer »bürgerlichen Koalition« spricht (AfD natürlich eingeschlossen), zumindest aber von der Tolerierung einer CDU/FDP-Minderheitsregierung. Vorerst reichte es nur zur Wahl des Regierungschefs, die von der AfD als großer Erfolg gefeiert wird. Ihr Vorstandssprecher Stefan Möller erklärte voller Schadenfreude die Strategie: »Wir haben versucht, Herrn Kemmerich als Gegenkandidaten aufs Podium zu locken. Das hat er gemacht, und dann haben wir ihn planmäßig gewählt. Denn wir wollten - das war unser oberstes Ziel - Rot-Rot-Grün 2.0 verhindern.« Für dieses Ziel habe sich CDU und FDP bedenkenlos benutzen lassen.

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