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Es eskaliert

SONNTAGSSCHUSS: Christoph Ruf über unfaire Kollektivstrafen, schwachsinnige Beleidigungen, dumpfes Hetzen und sinnlose Machtspiele

In der C-Jugend meines Kleinstadtvereins gab es ein Zwillingspaar, das sehr gut Fußball spielen konnte. Profis sind sie später nicht geworden, das hätte ich mitbekommen. Mit der Philosophieprofessur ist es allerdings auch nichts geworden, das zeichnete sich bereits im Teenageralter ab. Unvergessen, wie der eine den anderen beim Training als »Hurensohn« beschimpfte. Und der Zwillingsbruder der Absurdität mit seinem Konter noch einen draufsetzte: »Das sagt der Richtige.«

Merke: »Hurensohn« war schon immer die schwachsinnigste Beschimpfung, seit es Beschimpfungen gibt. Zumal man nicht verstehen muss, warum es als Gipfel der Beleidigung gilt, jemanden »Hurensohn« zu nennen (»Hurentöchter« scheint es interessanterweise nicht zu geben). »Maklersohn« wäre doch deutlich schlimmer, wenn man schon jemandem den Broterwerb der Eltern zum Vorwurf machen will.

Am besten geht man mit solchen Leuten so um, wie es einige hunderttausend Jugendliche in der Schule, auf dem Sportplatz und in der Fußgängerzone tun: Sie hören weg und warten, bis es irgendwann Hirn vom Himmel regnet.

Dietmar Hopp hat das nie gekonnt. Er nahm die Beleidigung wörtlich, konterte mit Hinweisen auf die Ehrenhaftigkeit seiner Mutter und ging sogar den juristischen Weg. Auch der DFB schritt ein und entschied, die Dortmunder Fans – und zwar alle – dürfen zwei Jahre lang kein Auswärtsspiel mehr bei der TSG Hoffenheim besuchen.

Dass bei allen Spielen zwischen Hoffenheim und Dortmund, die ich in den vergangenen Jahren live im Stadion gesehen habe (und das waren viele), die Hoffenheimer Fans selbst »BVB Hurensöhne« sangen, ohne dass das juristische oder sonstige Konsequenzen gehabt hätte, sei nur am Rande erwähnt. Wichtiger ist die Feststellung, dass es die Parallele zum DFB-Urteil gegen die BVB-Fans wäre, wenn man eine komplette Schulklasse auf Jahre vom Sportunterricht ausschließen würde, weil zwei, drei Schüler das H-Wort benutzten. Von Rostock bis Freilassing gäbe es dann keinen Sportunterricht mehr.

Die heftigen Reaktionen auf die Transparente in Sinsheim, Köln und in vielen, vielen anderen Stadien zeigen allerdings, dass die große Mehrheit der Fußballfreundinnen und -freunde die Proteste völlig anders bewertet als ich. Sie wurden nicht als das verstanden, was sie sein wollten: eine massenhafte Solidarisierung mit den Opfern einer als ungerecht empfundenen Kollektivbestrafung. Stattdessen werden sie als das aufgefasst, was sie eben vordergründig auch sind: als in Form und Stil dumpfes Hetzen einer anonymen großen Masse gegen einen einzelnen Menschen. Wer sich da mit dem einzelnen Menschen solidarisiert, handelt übrigens menschlich, wer sich bei »alle gegen einen« nicht mit dem einen verbündet, ist mir suspekt. Und wer nicht merkt, was für ein Symbol ein Fadenkreuz ist, merkt wohl auch sonst nicht viel.

Wenn reflektierte Menschen wie Freiburgs Trainer Christian Streich Parallelen zwischen AfD, Antisemitismus, Halle und Hanau einerseits und den Anti-Hopp-Plakaten andererseits sehen, ist das allerdings auch schockierend. Die Kritik an Kollektivstrafen, die der DFB eigentlich abschaffen wollte, ist ja ebenso gerechtfertigt, wie der Eindruck korrekt ist, dass die TSG Hoffenheim gute Drähte zum DFB hat. Das wirft die Frage auf, die sich die Ultras stellen müssen: Haben sie auch außerhalb ihrer Kanäle vermittelt, worum es ihnen geht? Oder ging es ihnen doch primär darum, in einem Machtspiel zu zeigen, dass sie am längeren Hebel sitzen.

Dass es die aktiven Fans sein werden, die den Kampf um die Meinungshoheit gewinnen, ist falsch. Ja, sie werden mit weiteren Solidarisierungsaktionen in den kommenden Wochen wieder für Spielunterbrechungen sorgen. Doch Kommentatoren werden dann wieder ihren Abscheu über die »Chaoten« in der Kurve artikulieren, und zu wachsender Kritik an Kollektivstrafen wird all das nicht führen.

Vielmehr wird dann die Sichtweise Karl-Heinz Rummenigges unterstützt, der eine gemeinsame Strategie aller Bundesligisten forderte: Ohne die »Chaoten« herrsche dann vielleicht »Scheiß Stimmung«, so Rummenigge. »Aber dann habe ich lieber Langeweile.« Hätte man am Samstagabend eine Volksbefragung durchgeführt, hätte der Vorstand des FC Bayern München wohl eine satte Mehrheit für diese Aussage bekommen. Vielleicht sogar bei Menschen, die regelmäßig ins Stadion gehen.

Christoph Ruf, Fußballfan und -experte, schreibt für »nd« über Ballsport und Business.

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