Razzien gegen Nazigruppe

»Aryan Circle« im Fokus der Ermittler / Neue Erkenntnisse zu NSU und Lübcke-Mord

  • Sebastian Bähr
  • Lesedauer: 3 Min.

Sicherheitsbehörden sind am Dienstag in mehreren Bundesländern mit Razzien gegen mutmaßliche Mitglieder einer extrem rechten Vereinigung vorgegangen. Wie das schleswig-holsteinische Landeskriminalamt und die Staatsanwaltschaft Flensburg mitteilten, richteten sich die Durchsuchungen gegen insgesamt zwölf Beschuldigte.

Die Verdächtigen sollen die Vereinigung »Aryan Circle Germany« (Arischer Zirkel Deutschland) im Juli 2019 in Bad Segeberg gegründet haben, um rassistische Gewalttaten und Sachbeschädigungen zu begehen. Auch Verstöße gegen das Waffengesetz soll die Gruppierung geplant haben. Die Durchsuchungen dienten laut LKA und Staatsanwaltschaft der Suche nach Beweismitteln, mit denen sich die Vorwürfe untermauern lassen.

Unbekannt ist bislang, ob die Razzien Verbindungen zu dem Mord an dem CDU-Politiker Walter Lübcke belegen konnten. Die Bundesanwaltschaft prüft derzeit noch, ob die Tatwaffe im Lübcke-Mord, ein Revolver der Marke Rossi, von der rechten Terrorgruppe »Combat 18 Pinneberg« aus Schleswig-Holstein stammen könnte. Als führender Kopf hinter dem »Aryan Circle« gilt zudem laut antifaschistischen Recherchen der Neonazi Bernd T. Eben jener T. war Mitbegründer der 2015 vom hessischen Innenministerium verbotenen Nazi-Gruppe »Sturm 18 Kassel«. Ermittler prüfen Hinweise, ob der mutmaßliche Lübcke-Mörder Stephan E. mit der Vereinigung vernetzt war.

Ungeachtet der Razzien gibt es neue Informationen, die einen engeren Zusammenhang zwischen dem Lübcke-Mord und der Terrorserie des NSU-Netzwerkes nahelegen, als bisher bekannt war. Vier Personen stehen laut dem Recherchenetzwerk »Exif« für diese von Sicherheitsbehörden bisher zumindest öffentlich kaum beachteten Verbindungen.

Eine der Personen soll demnach M. K. sein. Besagter Mann, nach eigener Aussage ehemaliger Neonazi, lebte zum Tatzeitpunkt nur zwei Häuser neben dem Internetcafé, in dem Halit Yozgat am 6. April 2006 in Kassel vom NSU ermordet wurde. Zudem sei er mit Stephan E. bekannt gewesen, habe ihn von Demonstrationen und Treffen gekannt. Laut K. habe die Polizei nie Kontakt zu ihm aufgenommen.

Eine weitere Verbindung ist Corryna G. Ein damaliger Vertrauter der Neonazistin erklärte im hessischen NSU-Untersuchungsausschuss, dass G. sehr wahrscheinlich Kontakte zu Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe pflegte. G. selbst erzählte im Ausschuss, dass sie 2005 mehrfach das Internetcafé von Halit Yozgat besucht hatte. G. bewegte sich zudem im Umkreis der Kasseler Kameradschaft »Gau Kurhessen«. Hier soll auch Markus H. aktiv gewesen sein.

Markus H. sitzt momentan neben Stephan E. in U-Haft. Ihm wirft die Bundesanwaltschaft Beihilfe zum Mord an Walter Lübcke vor. 2006 wurde Markus H. von der Polizei vorgeladen, da er auffallend häufig eine Webseite angeklickt hatte, die über den Mord an Halit Yozgat informierte. H. gab an, das Opfer flüchtig gekannt zu haben. Die Polizei interessierte sich nicht weiter dafür.

Das Recherchenetzwerk »Exif« zeigte sich angesichts der nicht verfolgten Spuren besorgt: »Bei allen Dreien stellen sich die Fragen: Kann polizeiliches Handwerk so miserabel sein? Oder wurden die Ermittlungen auch zu diesen drei Personen gebremst? Oder wurden Erkenntnisse und Ermittlungsergebnisse den Gerichten und Untersuchungsausschüssen vorenthalten, was einer Vertuschung gleich kommt?«

Im Zentrum der Verknüpfungen steht nach wie vor auch der ehemalige hessische Verfassungsschutzmitarbeiter Andreas Temme. Dieser war zum Tatzeitpunkt im Internetcafé von Halit Yozgat anwesend, behauptete aber, von dem Mord nichts mitbekommen zu haben. Zeitgleich war Temme auch dienstlich mit Stephan E. befasst gewesen. »Es ist das altbekannte Muster«, so »Exif«: »Der hessische Verfassungsschutz hält Informationen zurück und der Innenminister deckt ›seinen‹ Geheimdienst.« Kommentar Seite 10

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