Moderat
Biografie: Alwin Brandes
Eine wenig beachtete Straße erinnert in Berlin-Kreuzberg an Alwin Brandes. Sie führt zur Zentrale der IG Metall. In der Weimarer Republik residierte dort der Deutsche Metallarbeiterverband (DMV), Brandes Wirkungsstätte. Von 1919 bis zur Zerschlagung der freien Gewerkschaften am 2. Mai 1933 durch die Nazis war er deren Vorsitzender. Sein Name ist jedoch weitgehend in Vergessenheit geraten, beklagt der derzeitige IG-Metall-Vorsitzende im Vorwort der Biografie von Siegfried Mielke und Stefan Heinz.
Die drei Stichworte »Oppositioneller - Reformer - Widerstandskämpfer« charakterisieren diesen langjährigen Gewerkschafter und SPD-Politiker. Deutschlandweit bekannt wurde er, als er am 6. April 1919 im Auftrag des SPD-Verteidigungsministers Gustav Noske, dem selbst ernannten »Bluthund«, von Freikorpssoldaten verhaftet wurde. Der damalige USPD-Politiker Brandes gehörte zu jenen, die Elemente des Rätesystems in der jungen Weimarer Republik verankern wollten. In den Augen der rechten SPD-Führern war er allein darob suspekt. Brandes kam nach wenigen Tagen wieder frei, erzwungen durch die Empörung der Massen, die wiederum von der Konterrevolution zur Niederschlagung der letzten Revolutionäre genutzt wurden. Für Brandes war dies eine Erfahrung, die ihn fortan bewog, sich von allzu radikalen Bestrebungen fernzuhalten. Er kehrte zur SPD zurück und distanzierte sich insbesondere von der KPD. Im Buch ist dokumentiert, wie Brandes schon in den 1920er Jahren die KPD und NSDAP als Feinde der Demokratie bekämpfte. Die KPD sparte daher ebenfalls nicht mit Polemik gegen ihn, sah in ihm den Typus des sozialdemokratischen Gewerkschaftsfunktionärs, der Streiks ausbremste.
Mit Recht kritisieren Mielke und Heinz die KPD-Propaganda gegen sozialdemokratische Gewerkschafter*innen, die eine Zusammenarbeit gegen den aufkommenden Faschismus erschwerten, reden allerdings die politischen Fehler von Brandes klein. So trug jener ab 1930 die Tolerierungspolitik der SPD gegenüber der Notverordnungs-Regierung des Zentrumspolitiker Heinrich Brüning mit und rechtfertigte massive Kürzungen bei Löhnen und Gehältern. »Freigewerkschaftler wie Brandes hofften, durch eine eher defensive Vorgehensweise gegenüber den Unternehmern und der Reichsregierung die Grundlagen einer reformorientierten Praxis wie Tarifrecht und Parlamentarismus über die Krise zu erhalten und als Ausgangspunkt für sozialpolitische Erfolge in Zeiten besserer Konjunktur nutzen zu können«, lautet der moderate Tadel der Autoren. Die von Brandes mitgetragene Politik des angeblich »kleineren Übels« Brüning (gegenüber Hitler) trug zur Verelendung der Massen und zum weiteren Aufstieg der Nazis bei. Hier hätte man sich eine kritischere Haltung der Biografen gegenüber ihres Protagonisten gewünscht.
Kritisch beäugen sie jenem hinsichtlich seiner ablehnenden Haltung zur Frauenarbeit in der Metallbranche. Ausführlich schildern sie seine Gegnerschaft zum NS-Regime. Brandes wurde von den Nazis mehrmals verhaftet und schwer misshandelt. Für dessen Freilassung kämpfte übrigens die kommunistische Exilpresse 1937. Da war nunmehr gar vom »Genossen Brandes« die Rede, der »durch Hitler übermenschliches Leid an Körper und Seele ertragen musste«. Der Gewerkschafter und Sozialdemokrat blieb dennoch bis zu seinem Tod 1949 ein beinharter Antikommunist.
Stefan Heinz/Siegfried Mielke: Alwin Brandes, Oppositioneller - Reformer - Widerstandskämpfer. Metropol, 566 S., br., 23 €.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.