Auge um Auge, Reporter um Reporter
13 US-Journalisten aus China ausgewiesen, nachdem chinesische Reporter die USA verlassen mussten
In den vergangenen sechs Jahren hat die Volksrepublik China insgesamt neun Korrespondenten des Landes verwiesen. Allein am Mittwoch traf es nun mindestens 13 Kollegen: Sämtliche US-Bürger der Zeitungen »New York Times«, »Washington Post« und »Wall Street Journal« müssen nach einer Entscheidung des Außenministeriums in Peking innerhalb der nächsten zehn Tage das Land verlassen.
Die drastische Maßnahme ist die Reaktion auf die Ausweisung der US-Regierung von über 60 Journalisten chinesischer Staatsmedien aus den Vereinigten Staaten Anfang März. Damals blieb ein Aufschrei weitgehend aus. In internen Chatgruppen des Pekinger Korrespondentenclubs wollten damals lediglich zwei Mitglieder zu einer Solidaritätsbekundung anregen, wurden jedoch deutlich überstimmt. Der Tenor der Diskussion lautete, bei den staatlichen Medien Chinas handele es sich um keine richtigen Medien, sondern um reine Propagandaorgane. »Es ist nicht richtig, die Restriktionen von Peking mit denen der Vereinigten Staaten von Beginn des Monats zu vergleichen«, sagt Cedric Alviani von Reportern ohne Grenzen. Die Journalisten der US-Medien würden unabhängig und nach ethischen Standards berichten, die staatlichen Medien Chinas würden nur Propaganda für die Kommunistische Partei liefern.
Der betroffene Journalisten Gerry Shih von der »Washington Post« schrieb auf Twitter: »Rückblickend betrachtet sind die Arbeitsbedingungen für die Berichterstattung so schwierig geworden, dass viele der Artikel zu China, auf die ich am meisten stolz bin, tatsächlich außerhalb des Landes entstanden.« Darunter wegweisende Berichte über das Ausmaß der Internierungslager im westchinesischen Xinjiang, in der die muslimische Minderheit der Uiguren zu Hunderttausenden festgehalten wurden und zum Teilen noch immer sind.
Ebenfalls war die »New York Times« federführend bei der Veröffentlichung von Regierungsleaks aus Peking und hat auch immer wieder über die Korruption hochrangiger Parteikader berichtet. Der Onlinezugang zu den nun betroffenen Zeitungen sind aufgrund ihrer kritischen Stimme in China längst gesperrt. Man benötigt eine VPN-Software, um ihre Webseiten aus China aufzurufen.Die großen US-amerikanischen Tageszeitungen zählen zu den wenigen Medien, die in China noch Büros mit ausreichend Journalisten für investigative Recherchen unterhalten. Gerade in den nächsten Monaten wäre ihre kritische Berichterstattung unerlässlich, etwa wenn es um die Rolle der Behörden und Regierung beim Vertuschen des Virusausbruchs geht.
Gleichzeitig nämlich startet China eine massive Kampagne - sowohl an seine Bevölkerung als auch ein internationales Publikum gerichtet - um seinen Kampf gegen das Virus als reine Heldengeschichte darzustellen. Internetzensoren arbeiten umfassender denn je daran, kritische Kommentare über das Vorgehen des Staates in der Coronakrise zu löschen. Vom Hongkonger Korrespondentenclub heißt es, man sei sogar noch mehr darüber besorgt, dass den Journalisten auch die Arbeit in der Sonderverwaltungszone Hongkong untersagt wurde. Denn eigentlich hat Hongkong sein eigenes System, unter dem die Pressefreiheit per Gesetz verankert ist.
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