- Kultur
- Homeschooling
Past Tense, Edelgase, Verdauungstrakt
Kampfstern Corona (Teil 7): Kitas, Schulen und Universitäten sind zu. Dafür gibt es jetzt TV-Angebote fürs Homeschooling
Corona-Zeit ist seit Mitte März auch Homeschooling-Zeit. Was bis vor Kurzem noch der einsame Traum weniger Gegner der deutschen Schulpflicht war, ist nun staatliche Anordnung: Kinder und Jugendliche müssen zu Hause bleiben, die Schulen sind - sieht man von der Notversorgung des systemrelevanten Nachwuchses ab - geschlossen.
Durchaus bemerkenswert war, dass bei der öffentlichen Debatte, die es vor den Schulschließungen gab, fast ausschließlich der Aspekt »Betreuungsinstitution« (damit die Eltern arbeiten gehen können) thematisiert wurde - und kaum die Rolle der Schule als sozialer Ort oder Bildungsinstitution. Dennoch beschäftigt dies natürlich die Betroffenen: Für flächendeckendes »E-Learning« oder »Teleteaching«, also Live-Unterricht per Stream etwa, fehlen die Voraussetzungen. Weder die Schulen noch alle Haushalte verfügen über die dafür nötige technische Ausrüstung oder die Mittel, diese anzuschaffen. Lehrer haben vielerorts Arbeitsblätter mitgegeben, schicken E-Mails und bleiben ansprechbar. Und doch: Corona-Lernen ist recht einsam, für alle Beteiligten.
Schnell reagiert haben in dieser Situation die - gottlob bislang noch nicht von Rechten und FDP einkassierten - öffentlich-rechtlichen Sender, zu denen der Zugang, nebenbei bemerkt, egalitärer ist als zu Tablets, PCs und Zoom. Der Westdeutsche Rundfunk (WDR) strahlt seit zwei Wochen täglich vormittags »Die Sendung mit der Maus« aus, der SWR den »Tigerenten-Club Spezial«, und Kika sendet das neue Format »Gemeinsam zuhause«, bei dem beispielsweise Autorinnen live vorlesen. Am schnellsten allerdings hatte sich der Bayerische Rundfunk in den Vordergrund gestrebert und die »Schule daheim« angekündigt: Das Programm läuft seit 16. März werktags auf »alpha«, dem zumindest mir bislang völlig unbekannten Bildungskanal der ARD - kuratiert vom BR und dem bayerischen Kultusministerium.
»Die Sendung mit der Maus« beim WDR aus Nordrhein-Westfalen - »Schule daheim« aus Bayern: Ist das Arbeitsteilung oder die Fortsetzung der Bildungsspaltung zwischen den Bundesländern? Passen würde es, da sich Bayern ja bekanntlich einiges auf sein vermeintlich besonders leistungsstarkes Schulsystem einbildet. Nur: Während »Die Sendung mit der Maus« oder auch der »Tigerenten-Club« (früher: »Disney Club«) nachweislich sehenswert sind, muss sich »Schule daheim« erst einmal bewähren. Taugt das Lern-TV etwas?
Der Selbsttest ergibt: für Menschen jenseits der 30, in deren Ohren »Fernsehen statt Schule« ja ohnehin oft noch ungemein verheißungsvoll klingt, auf jeden Fall. In Clustern von 15 bis 30 Minuten werden Themen aus unterschiedlichen Fächern »unterrichtet«: Past Tense, Sachtextanalyse, Verdauungstrakt, Edelgase, Mathe-Kurven. Das Tempo ist gemächlich und entspricht damit dem Fernsehen, mit dem viele von uns Mittelalten groß geworden sind; allerdings gibt es keine Pausen. Für »Schule daheim« wurden bestehende Schul-TV-Angebote neu gemischt, ergänzt und zum Teil mit richtig alten Lernfilmen aufgefüllt, etwa aus der Kategorie »Telekolleg Englisch«, die stark an die Videokassetten erinnern, die in den 90er Jahren in deutschen Klassenzimmern zum Einsatz kamen. Der Nostalgie- beziehungsweise Gruselfaktor - je nachdem, wie man die eigene Schulzeit erinnert - ist entsprechend hoch.
Wer sich nicht in einem systemrelevanten Beruf zugrunde arbeiten muss, um die Gesellschaft vor Corona zu retten, oder mit Kleinkindern gegen den Budenkoller ankämpft, der kann sein Homeoffice mit der »Schule daheim« also durchaus aufpeppen, sich unter Umständen sogar in frühere Schulzeiten zurückträumen. Aber die Kids? Die bevorzugen ab einem gewissen Alter auch im Angesicht der Apokalypse wohl eher Youtube und Co. Dort gibt es im Übrigen schon lange und ganz unabhängig von Covid-19 ausgezeichnete Lernvideos, beispielsweise von »Lehrerschmidt«, der seine fast 450 000 Abonnenten seit Jahren mit Mathe- und Physik-Videos versorgt. Zum Beginn der »Corona-Ferien« hat er die Challenge »Lernfie« gestartet - ein Kofferwort aus »Lernen« und »Selfie« (ein Foto von sich selber): Der Home-Schüler soll ein Foto von sich teilen, um andere zu motivieren. Dank der Öffentlich-Rechtlichen könnte so ein Lernfie, zumindest theoretisch, auch so aussehen: Ein Schüler sitzt vorm Fernseher und schaut »Schule daheim«.
Die vom BR zusammengestellte Sendung »Schule daheim« läuft montags bis freitags von 9 bis 12 Uhr bei »alpha«, ist aber auch in der Mediathek des BR abrufbar. Kika sendet das Programm »Gemeinsam zuhause« zu unterschiedlichen Uhrzeiten. Der SWR strahlt täglich von 8 bis 10.45 Uhr den »Tigerenten-Club Spezial« aus und werktags anschließend »Planet Schule« sowie »Planet Wissen«. Der WDR zeigt täglich um 11.30 Uhr »Die Sendung mit der Maus«.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.