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Diese Krise ist anders
Hilft die Krisenpolitik auch Geringverdienern und prekär Beschäftigten, Solo-Selbstständigen und Kleinbetrieben, die in finanzieller Not sind und jetzt schnell Geld brauchen?
Gaststätten, Kinos und Kaufhäuser sind geschlossen, Konferenzen abgesagt, Bildungsstätten zu. Millionen Menschen können wegen der Pandemie-Vorschriften ihren Job nicht mehr machen, ihre Erwerbseinkommen sind über Nacht weggebrochen. Die Bundesregierung hat schnell reagiert: Kurzarbeit, Zuschüsse und Kredite sollen Pleitewellen und Massenarbeitslosigkeit verhindern. Kaum waren die Hilfen beschlossen, folgte ein beispielloser Ansturm auf die Behörden. Massenhaft werden Finanzhilfen beantragt, 470 000 Betriebe haben im März Kurzarbeit angemeldet - fast achtmal so viele wie auf dem Höhepunkt der Wirtschaftskrise 2009.
Hartgesottene Marktliberale entdecken nun die Vorzüge des Sozialstaats: »Bei dem speziellen Problem, die Massenarbeitslosigkeit in einer Krise einzudämmen, könnten die USA etwas von Europa lernen«, formuliert die Berenberg-Bank in einer Analyse. In den USA erleben Arbeitsämter nämlich auch einen beispiellosen Ansturm: Innerhalb einer Woche haben 6,6 Millionen Menschen einen Erstantrag auf Arbeitslosenhilfe gestellt - zehnmal so viele wie auf dem Höhepunkt der Wirtschaftskrise 2009.
Mit erleichterter Kurzarbeit und gigantischen Kreditprogrammen setzt die Bundesregierung derzeit auf Instrumente, die sie bereits 2009 angewendet hat. Doch die Pandemie-Krise ist anders. Diesmal ist insbesondere der Dienstleistungssektor lahmgelegt. Hier herrschen seit Jahren mit niedrigen Einkommen und unsicheren Jobs missliche Zustände, die sich jetzt massiv verschärft haben. Hier gibt es Hunderttausende kleine Betriebe, die nun in großen Schwierigkeiten sind und Kurzarbeit anmelden - das ist ein Grund für die nach oben geschossene Zahl an Anträgen. Hilft die Krisenpolitik auch Geringverdienern und prekär Beschäftigten, Solo-Selbstständigen und Kleinbetrieben, die in finanzieller Not sind und jetzt schnell Geld brauchen?
Erst mal beruhigt: Die Selbstständige Anja Overesch hat schnell Hilfe erhalten. Andere müssen wohl Grundsicherung beantragen.
Die Blumenwerkstatt Blumelina belieferte bislang Hotels und Arztpraxen in Berlin mit Sträußen und Gestecken. Ania Overesch ist Blumelina, sie arbeitet allein, ohne weitere Angestellte. Die Floristin ist eine von mehr als zwei Millionen Solo-Selbstständigen in Deutschland, deren Geschäft mal besser, mal schlechter läuft. Rücklagen bilden können die wenigsten. Und nun brechen wegen des Corona-Lockdowns die Aufträge weg. Für Overesch waren es mehr als ein Drittel im März, für April rechnet sie mit höchstens der Hälfte der Bestellungen. »Da wird es schnell eng mit der Miete«, sagt sie.
Die Kleinunternehmerin hat sich deshalb um 5000 Euro Soforthilfe für Selbstständige beworben, die durch die Coronakrise in Schwierigkeiten geraten sind. Zwar musste sie 24 Stunden in der virtuellen Warteschlange anstehen, aber nachdem sie am Sonnabend den Onlineantrag ausfüllen konnte, war das Geld am Dienstag auf ihrem Konto. Mehr als Ausweis, Steuer-ID, Bankverbindung waren nicht nötig. »Das ging wirklich einfach«, sagt Overesch. »Jetzt bin ich erst mal beruhigt.«
So schnell und unbürokratisch läuft es nicht überall. Die Lage ist unübersichtlich. Bei der Gewerkschaft Verdi, die 30 000 selbstständige Mitglieder hat, melden sich derzeit viele, die unsicher sind, welche Anträge für sie am besten sind. Veronika Mirschel, zuständig für Selbstständige bei der Gewerkschaft, hat den Eindruck: »Viele Regelungen sind unklar. Da ist noch einiges im Fluss.«
Seit 30. März stehen Liquiditätshilfen des Bundes für kleine Unternehmen zur Verfügung, die nicht zurückgezahlt werden müssen. Die Bundesländer sind für die Auszahlung verantwortlich. Solo-Selbstständige können Einmalzahlungen bis zu 9000 Euro für drei Monate betragen. Zusätzlich haben die Länder eigene Notprogramme für kleine Selbstständige aufgelegt. Verdi geht davon aus, dass diese Mittel vielerorts mit den Bundesmitteln verrechnet werden.
Dabei bezuschusst der Bund ausschließlich laufende Betriebskosten, wie Leasingraten, Kredite oder Mieten. Das hilft nur begrenzt. Büromieten etwa fallen für selbstständige Dozentinnen oder DJs eher selten an. Ihnen fehlt das eigene Einkommen, wenn Clubs und Volkshochschulen wegen Corona geschlossen sind. In einigen Ländern wie Berlin, Nordrhein-Westfalen und Hamburg wurde diese Situation bedacht, als man ergänzende Landesprogramme konstruierte. Hier wird auch explizit das Gehalt von Solo-Selbstständigen bezuschusst. Möglicherweise ist das auch anderswo möglich. Aber solange es nicht eindeutig formuliert ist, steigt das Risiko von späteren Rückforderungen. Bayern droht sogar mit Strafen, wenn falsche Angaben gemacht werden.
Die Berliner Floristin ist froh, vorerst nicht zum Jobcenter zu müssen. Vielen wird nichts anderes übrig bleiben. Die Bundesregierung rechnet mit 700 000 Solo-Selbstständigen, die Grundsicherung beantragen. Für ein halbes Jahr hat sie den Zugang erleichtert, sprich: einen Teil der damit verbundenen Schikanen ausgesetzt. So werden nun die realen Kosten für Miete und Sozialversicherung abgesichert. Auf eine Vermögensprüfung wird verzichtet. Die Prüfung der Bedarfsgemeinschaft findet hingegen statt.
So schnell Bund und Länder mit den Sofortmaßnahmen reagiert haben: Von einer Gleichbehandlung zwischen großen Unternehmen und Konzernen auf der einen Seite sowie abhängig und selbstständig Erwerbstätigen auf der anderen könne keine Rede sein, findet Verdi. Für Tausende Solo-Selbstständige dürfte Corona das berufliche Aus bedeuten. Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung erwartet für dieses Jahr einen Rückgang der Zahl von Selbstständigen um 100 000 Personen.
Blumelina hofft, dass ihr die Kunden die Treue halten. Einige haben es ausdrücklich versprochen. Aber niemand wird sich nach der Krise aus Solidarität zwei Sträuße auf den Tisch stellen. Ausgleichen kann Ania Overesch ihre Corona-Verluste nicht.
Kündigung per WhatsApp: Auch in der Zeitarbeit ist Kurzarbeit möglich.
Die Nachricht kommt per WhatsApp. Sie ist mit bunten Bildchen versehen und beginnt mit »Leider«. Die Absenderin bittet den Empfänger darum, »nicht allzu sauer« zu sein und endet mit einem »LG«. Es ist die Ankündigung einer Kündigung, die bald in der Post landen soll. Grund ist die Coronakrise. Ahmad Al-Tabbakh arbeitet als Springer in verschiedenen Berliner Schwimmbädern. Meldet sich jemand vom Stammpersonal der Bademeister krank, wird Al-Tabbakh angerufen. Doch jetzt haben die Schwimmbäder alle geschlossen.
Angestellt ist Al-Tabbakh bei einer Zeitarbeitsfirma. Nach dem Tarifvertrag Zeitarbeit gelten die ersten sechs Monate eines Vertrags als Probezeit. Die Kündigungsfristen sind hier kürzer als bei regulär Beschäftigten: Im ersten Monat gilt eine Kündigungsfrist von zwei Tagen, bis Ende des zweiten Monats von einer Woche, bis zum sechsten Monat sind es zwei Wochen, anschließend vier.
Dass er so einfach gekündigt werden kann, verblüfft Al-Tabbakh: »Ich dachte, wenn man einer regulären Arbeit nachgeht, mit ordentlichem Vertrag, dass man dann auch besser abgesichert ist als beispielsweise bei Schwarzarbeit. Aber tatsächlich können sie mich einfach vor die Tür setzen.«
Die Firma hätte aber auch anders reagieren können. Bezahlt wird Al-Tabbakh nur für die Stunden, die er auch arbeitet. Mit der Kündigung spart die Firma also sowieso keinen Lohn, solange die Schwimmbäder geschlossen sind; aber sie spart immerhin seine - geringen - Urlaubsansprüche.
Rund 950 000 Zeitarbeitnehmer*innen gibt es der Bundesagentur für Arbeit zufolge in Deutschland. Das entspricht etwa 2,5 Prozent aller Beschäftigten. Mehr als jeder Zweite übt eine Hilfstätigkeit aus. Die Mehrzahl ist männlich und relativ jung. Personen ohne Berufsabschluss sind anteilig deutlich häufiger vertreten als bei den Beschäftigten insgesamt. Mit 40 Prozent arbeitet ein Großteil der Leiharbeitnehmer*innen in der Produktion. Danach folgen Sicherheitsdienst, Reinigung, Gastgewerbe und Gesundheitsberufe.
Das Gesetz zu Kurzarbeit in Zeiten von Corona erlaubt es auch Zeitarbeitsfirmen, ihre Beschäftigten in Kurzarbeit zu schicken. Vor Inkrafttreten des Gesetzes hatten laut Bundesagentur für Arbeit über 55 000 Betriebe Kurzarbeit angezeigt, darunter nur 527 Zeitarbeitsfirmen. Als das Gesetz gerade verabschiedet war, vermeldete die Bundesagentur am 27. März bereits 470 000 Anzeigen. Daten für Zeitarbeitsfirmen fehlen. Auf eine Umfrage des Interessenverbands Deutscher Zeitarbeitsunternehmen (IGZ) haben bisher nur acht Prozent der Mitglieder geantwortet. Von diesen haben 75 Prozent Kurzarbeit beantragt. »Eine ähnliche Situation hatten wir in der Wirtschaftskrise 2009/ 2010 - die Zeitarbeitsunternehmen konnten damals mithilfe des Kurzarbeitergelds ihre Mitarbeiter halten«, sagt Sprecher Wolfram Linke. Der DGB hat nun neben dem IGZ auch den zweiten Arbeitgeberverband der Branche zu Tarifverhandlungen aufgefordert, »um die Situation von Zeitarbeitnehmern in der Kurzarbeit zu verbessern«, sagt Markus Nöthen, bei Verdi zuständig für Zeitarbeitnehmer*innen.
Al-Tabbakh wird das vermutlich nichts nutzen. Aber vielleicht hat es sich sein Arbeitgeber auch anders überlegt. Das avisierte Kündigungsschreiben ist jedenfalls zehn Tage später noch immer nicht eingetroffen.
Die Schutzlosen. Menschen ohne Aufenthaltstitel und Arbeitsvertrag verlieren nicht nur schneller ihren Job. Sie erhalten auch keine staatliche Unterstützung.
Die Coronakrise trifft viele Menschen, aber einige bringt sie in eine Situation, in der es kein Auffangnetz gibt: kein Arbeitslosengeld, kein Hartz IV, keine Soforthilfe. Bis vor Kurzem arbeitete Abiodun, der eigentlich anders heißt, in einem Berliner Café und in einem Supermarkt. Als das Café vor zwei Wochen wegen Corona schließen musste, gab es keine Arbeit mehr für ihn. Auch der Supermarkt, in dem er beschäftigt war, machte zu.
Abiodun verlor so innerhalb kürzester Zeit seine Lebensgrundlage. Anspruch auf staatliche Leistungen hat er nicht, denn der 26-jährige Nigerianer hat keinen Aufenthaltstitel in Deutschland. 2011 flüchtete er über Libyen mit dem Boot nach Italien. Dort bekam er eine temporäre Aufenthaltsgenehmigung. »Aber in Italien gibt es keine Jobs«, sagt Abiodun. Viele afrikanische Migrant*innen seien dort darauf angewiesen zu betteln.
Deshalb kam er nach Berlin, wo er drei Jahre für 8,50 Euro pro Stunde in der Küche eines Cafés arbeitete - meist zweimal die Woche. Morgens putzte er in einem Supermarkt. Mit dem, was er verdiente, bestritt er seinen Lebensunterhalt und schickte Geld zu seiner Familie nach Nigeria. Außerdem bezahlte er Steuern in Italien, wo er offiziell als Selbstständiger gemeldet ist. In Deutschland arbeitete er irregulär - ohne schriftlichen Vertrag.
Die aktuelle Situation treffe Menschen, deren Aufenthalt ungesichert ist, noch viel härter als andere, sagt Stephanie Sperling vom Berliner Beratungszentrum für Migration und Gute Arbeit, wo sie Migrant*innen anonym und unabhängig vom Aufenthaltsstatus in arbeitsrechtlichen Fragen berät. »Undokumentierte arbeiten meist im Niedriglohnsektor - beispielsweise in der Gastronomie oder im Hotel«, sagt sie. Gerade in diesen Bereichen fallen in der Krise Jobs weg - und Menschen ohne Vertrag seien die ersten, die gehen müssen.
Doch auch diese Beschäftigten hätten Arbeitsrechte, die sie einklagen können, betont Sperling, beispielsweise Kündigungsfristen und Mindestlohn. »Durch die faktische Arbeit hat man einen gleichwertigen Vertrag. Man muss nur gute Beweise sammeln.« Allerdings scheuten viele Undokumentierte davor zurück, weil sie sich in einem Abhängigkeitsverhältnis gegenüber dem Arbeitgeber befänden. So gehe es einer Frau aus Albanien, die sie derzeit berät. Wegen der Coronakrise hat sie ihren Job in einem Restaurant verloren. Trotzdem muss die Miete gezahlt werden. »Sie hat keine Familie und kein soziales Netz«, sagt die Beraterin. Staatliche Leistungen kann sie nicht beantragen.
Ein weiterer Grund, weswegen sich viele irreguläre Arbeiter*innen scheuen, ihre Rechte einzuklagen, ist die Angst vor der Ausländerbehörde. Bisher sei es in Berlin noch nicht passiert, dass Undokumentierte gemeldet worden seien, weil sie ihre Ansprüche vor dem Arbeitsgericht geltend gemacht haben, berichtet Stephanie Sperling. Die Angst aber bleibt. Denn laut Paragraf 87 des Aufenthaltsgesetzes haben öffentliche Stellen eine Meldepflicht gegenüber der Ausländerbehörde.
Zum Jobverlust kommen in der Krise weitere Probleme. Durch die verstärkten Polizeikontrollen sei es für Undokumentierte noch riskanter, sich auf der Straße zu bewegen, so Sperling. Hinzu kommen Schwierigkeiten bei der Gesundheitsversorgung. »Alle Lebensbereiche, die sowieso schon prekarisiert sind, werden noch um ein Vielfaches prekärer.«
Wenn staatliche Unterstützungsmöglichkeiten ausfallen, bleibt nur der Rückgriff auf private Hilfe. Freunde von Abiodun haben Geld gesammelt, damit er für einen Monat die Miete für sein WG-Zimmer zahlen kann. Anfang Juni läuft sein Aufenthaltstitel in Italien ab. Eigentlich müsste er hinfahren und ihn verlängern - aber auch das ist in Corona-Zeiten ein Problem. Im Moment sei völlig unklar, wie es weitergeht, sagt Abiodun.
Der Hotelchef hofft. Wie Kurzarbeit im Gastgewerbe wirkt.
Im Hotel »Kastanienhof« macht jetzt der Chef das Frühstück und die Zimmer sauber - wenn es nötig ist. »Drei Tage hatten wir gar keinen Gast, heute kommen wenigstens zwei Geschäftsleute«, sagt Maximilian Hauptmann, Miteigentümer der Pension mit 44 Zimmern, die seine Familie nach der Wende im Ostteil Berlins aufgebaut hat.
Der »Kastanienhof« darf wie andere Hotels wegen der Pandemie keine Touristen mehr beherbergen; aus beruflichen Gründen reist auch kaum noch jemand an. Normalerweise ist das Haus laut Hauptmann zu etwa 80 Prozent ausgelastet, derzeit seien es weniger als zehn Prozent. Restaurants und Kneipen mussten ganz schließen - erlaubt ist nur noch, Speisen abholen zu lassen oder zu liefern.
Fast alle Beschäftigten des »Kastanienhofs« sind in Kurzarbeit. »Wir mussten sie mit 60 Prozent des Nettogehalts nach Hause schicken«, sagt der 32-jährige Geschäftsführer. »Das tut mir unendlich leid. Viele arbeiten seit über 20 Jahren hier. Aber wir kämpfen um die Existenz.« Um die 600 bis 700 Euro im Monat bekommen die Mitarbeiter nun. Andere Beschäftigte im Gastgewerbe haben noch geringere Ansprüche.
Kurzarbeit ist seit der Wirtschaftskrise 2009 ein viel gepriesenes Instrument. Tatsächlich hat sie dazu beigetragen, dass die Arbeitslosigkeit nicht nach oben schnellte. Damals wurden vor allem Industriebeschäftigte mit oft anständigen Löhnen in Kurzarbeit geschickt, die Einkommenseinbußen eher verkraften können.
Doch jetzt geht es oft um Geringverdiener. Gerade im Hotel- und Gaststättengewerbe ist das Gehaltsniveau so niedrig wie in kaum einer anderen Branche. Fachkräfte erhalten im bundesdeutschen Schnitt 2300 Euro brutto im Monat, wenn sie Vollzeit arbeiten. Doch zuletzt hatten rund 1,4 Millionen von 2,4 Millionen Beschäftigten lediglich eine Teilzeitstelle, so das Statistische Bundesamt. Sie kommen demnach im Schnitt nur auf 1260 Euro im Monat - auch, weil ihre Stundenlöhne noch niedriger sind als die von Vollzeitbeschäftigten.
Bei derart geringen Bruttogehältern bleiben oft nur einige Hundert Euro übrig, wenn die Beschäftigten vom Arbeitsamt nur noch 60 Prozent ihres Nettolohns als Kurzarbeitergeld bekommen.
Minijobber haben keinen Anspruch auf diese Leistung. Denn diese Jobs sind nicht sozialversicherungspflichtig - ein Konstruktionsfehler, den die Krise schonungslos aufdecke und der behoben werden müsse, sagt der Arbeitsmarktforscher Gerhard Bosch von der Uni Duisburg-Essen.
In der Systemgastronomie, zu der große Unternehmen wie Nordsee, Starbucks und Burger King gehören, haben die Gewerkschaft NGG und der Arbeitgeberverband BdS vereinbart, dass die Betriebe das Nettogehalt von Kurzarbeitern auf 90 Prozent aufstocken. Das sollten alle Unternehmen im Gastgewerbe tun, fordert die NGG. Schließlich habe die Bundesregierung Firmen entlastet: Die Bundesagentur für Arbeit übernimmt seit März die Sozialbeiträge komplett. Der Hotel- und Gaststättenverband lehnt eine solche tarifliche Regelung ab, denn viele Betriebe hätten nahezu keine Umsätze mehr.
Eine Tarifvorschrift würde jedenfalls nur für eine Minderheit gelten: In Westdeutschland arbeitet mehr als die Hälfte der Beschäftigten in einem nicht tarifgebundenen Betrieb, im Osten sind es fast 80 Prozent.
Der Sozialforscher Stefan Sell von der Hochschule Koblenz plädiert deshalb dafür, dass der Gesetzgeber gerade für Geringverdiener das Kurzarbeitergeld auf 90 Prozent aufstockt. In anderen Ländern haben Beschäftigte bereits Anspruch auf höhere staatliche Zahlungen, berichtet die Hans-Böckler-Stiftung. In Österreich erhalten Geringverdiener beispielsweise 90 Prozent des Nettolohns, der Anteil sinkt bei höherem Gehalt auf 80 Prozent. Allerdings werden dort die Zuschüsse bisher nur maximal ein halbes Jahr gezahlt.
In Deutschland müssen Betriebe das Kurzarbeitergeld vorstrecken, das Arbeitsamt erstattet es erst später. »Das bringt uns an den Rand«, sagt »Kastanienhof«-Geschäftsführer Hauptmann. Denn die Einnahmen sind fast vollständig weggebrochen und die Kosten laufen weiter, etwa für Strom und Heizung. Zuschüsse erhält das Hotel nicht, die gibt es nur für Firmen mit maximal zehn Beschäftigten, und der »Kastanienhof« hat 20 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.
Nicht Zuschüsse, sondern Überbrückungskredite sind vom Volumen her die wichtigste Säule der Bundeshilfen. Ein Großteil der Kreditsumme wird staatlich abgesichert, aber nicht alles. Zudem werden Zinsen fällig. »Hier haben wir ein ökonomisches Grundproblem«, sagt Volkswirt Sell. Wenn sich die Lage wieder normalisiert, kann man damit rechnen, dass Käufe von Möbeln und Autos nachgeholt werden. Doch Dienstleitungsbetriebe können nicht davon ausgehen, dass Gäste in Restaurants zweimal so viel essen. Hotels können ihre Zimmer nicht doppelt belegen.
Die Politik sollte deshalb die Zuschüsse für besonders hart betroffene Dienstleistungsbereiche ausweiten, meint Sell, und hinterher kontrollieren, wer Subventionsbetrug begangen hat.
Hauptmann hofft, dass sein Betrieb noch Zuschüsse bekommt. Oder einen langfristigen Kredit, der zunächst zinslos ist. »Wir brauchen Hilfe«, sagt er, »schnell.«
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