Mehr als nur Notfälle
Gelangweilte Mediziner? Wie Ärzte jenseits von Corona für ihre Patienten da sind
Im Kampf gegen die Corona-Epidemie liegt so manches OP-Messer still, Sprechstunden und Termine werden abgesagt. Bund und Länder haben Mitte März dazu aufgefordert, alle planbaren Operationen und Aufnahmen auszusetzen. Das sorgt vielerorts für neue Herausforderungen.
In der Praxis von Axel Schroeder, niedergelassener Facharzt für Urologie in Neumünster, steht das Telefon derzeit nicht still. Viele der Patienten werden digital betreut, weil sie wegen ihres Alters zur Risikogruppe zählen. Rezepte werden per Post oder Fax an die Patienten oder direkt an die Apotheke geschickt. Dort, wo es nötig ist, werden Haus- und Heimbesuche gemacht. Trotzdem sei das Patientenaufkommen in den ersten 14 Tagen um rund 80 Prozent zurückgegangen, berichtet Schroeder. Er und seine Kollegen haben hauptsächlich Notfälle behandelt. Viele andere Patienten hätten ihre Beschwerden erst einmal ausgesessen. Nun kämen auch diese wieder.
»Wir haben grundsätzlich immer etwas zu tun«, sagt Andreas Zeiher, Kardiologe an der Uniklinik in Frankfurt am Main. Er und seine Kollegen seien »voll beschäftigt mit den Corona-Patienten«. Diese würden zu 50 Prozent auch Herz-Kreislauf-Erkrankungen aufweisen. Besondere Sorgen macht Zeiher sich aber um jene Herz-Kreislauf-Patienten, die nun nicht zum Arzt kämen. Aus Angst vor einer Infektion kommen sehr viel weniger Patienten mit akutem Behandlungsbedarf in die Kliniken. Mediziner registrieren das Phänomen deutschlandweit.
Auch Susanne von der Heydt sorgt sich besonders um die Patienten, die sie nicht sieht. Sie ist Kinderchirurgin an der Charité in Berlin. Von der Heydt und ihre Kollegen operieren gerade deutlich weniger. Was die Aufschiebung bedeutet, liest die Ärztin in zahlreichen E-Mails. Eltern senden ihr besorgte Nachrichten, zum Beispiel wegen wachsender Gefäßtumore an den Körpern ihrer Kinder. »Die sind meist gutartig, metastasieren nicht und sind auch nicht tödlich. Aber sie wachsen eben im ersten Lebensjahr sehr schnell.« Je nachdem, wo der Tumor sitzt, kann er jedoch auch irreversible Folgeschäden auslösen, so von der Heydt. Gerade darum sei die regelmäßige Kontrolle enorm wichtig. Die Ärztin sieht die getroffenen Maßnahmen deshalb kritisch. Die Kindermedizin sei bereits vor der Pandemie häufig hintangestellt worden.
Kritik kommt auch aus Hamburg. Christian Wülfing ist Urologe an der Asklepios-Klinik in Altona. Den Aufruf von Bund und Ländern habe die Geschäftsführung dort nicht besonders positiv aufgefasst, »weil für dringende Fälle nach wie vor ein Versorgungsauftrag besteht«, sagt Wülfing. Die Ausgleichszahlungen vom Bund deckten die Kosten bei Weitem nicht. Laut Krankenhausentlastungsgesetz bekommen Kliniken für frei gehaltene Betten eine Pauschale von 560 Euro pro Tag. Zwar würde die ein oder andere Operation aufgeschoben und mancher Patient sage aus Sorge ab, weniger Arbeit gebe es in Altona aber grundsätzlich nicht.
Für die Zeit nach der Zwangspause sei gute Vorbereitung nötig, sagt Kristina Götzky, Oberärztin in der Allgemeinen Viszeralchirurgie im Diakovere Henriettenstift in Hannover. Jetzt schon habe man die Patienten in Listen priorisiert. Die würden bei Lockerung der Regelungen abtelefoniert. »Patienten müssen sich aber auf Wartezeiten einstellen.«
Die Zeit drängt, findet Urologe Schroeder. Patienten hätten abgesagte Termine in den ersten Wochen klaglos hingenommen, das sei nun anders. Für eine Operation bei Prostatakrebs etwa sei normalerweise eine Wartezeit von vier bis sechs Wochen üblich. Nun sei man stellenweise bereits bei Verschiebungen von drei bis sechs Monaten. »Das ist nicht mehr länger zu rechtfertigen, und die Regelversorgung muss wieder stattfinden«, so Schroeder. dpa/nd
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