Streaming, Jitsi und Web-Tutorials
Die erste Online-Ausgabe des Theatertreffens eröffnet am 1. Mai mit dem Bochumer »Hamlet«
Sogenannte Präsenzkünste sind vom Lockdown hart getroffen. Viele Theater verlagern einzelne Aktivitäten ins Internet. Doch manche Streamingangebote wirken eher bemüht. Wer den Tag schon in Videokonferenzen verbracht hat, den erfüllt die Aussicht auf weitere zwei Stunden Bildschirmkonzentration nicht unbedingt mit Freude. Aber gar nicht mehr präsent zu sein, das können und wollen sich die Institutionen auch nicht leisten.
Dem Theatertreffen geht es ähnlich. Der Auftakt der 57. Leistungsschau der deutschsprachigen Theater war eigentlich für den 1. Mai geplant. Im Haus der Berliner Festspiele weist aber kaum etwas darauf hin. Statt Besucher gibt es Bauarbeiter. »Die Bauarbeiten, die unmittelbar nach dem Theatertreffen beginnen sollten, haben jetzt schon ein wenig früher angefangen«, erzählt die Festivalleiterin Yvonne Büdenhölzer dem »nd«. Die Renovierungsarbeiten am Gebäude, die bis ins nächste Jahr gehen, waren auch der Grund, warum eine Verschiebung der Veranstaltung in den Herbst nicht möglich war.
Binnen sechs Wochen haben Büdenhölzer und ihr Team das Online-Festival auf die Beine gestellt. Bereits am 16. März wurde das Theatertreffen abgesagt. Damals war gerade erst der Lockdown ausgerufen worden; er sollte bis Mitte April gelten. Erst vergangene Woche wurde er für die Theater bis Ende Juli verlängert.
Die frühe Entscheidung hat Ressourcen gespart. »Zu dem Zeitpunkt, an dem wir die Absage beschlossen haben, hätten wir für das Festival Technik bestellen und andere Vorbereitungen treffen müssen«, blickt Büdenhölzer zurück. Statt Licht- und Tonanlagen zu leihen und die Caterer zu aktivieren, stellte sie auf online um. Das bedeutet in erster Linie Streaming. Doch nicht alle zehn Inszenierungen sind dafür in gleichem Maße geeignet. Das betrifft zum einen die Rechte. Aber auch die Qualität der Aufzeichnungen spielt eine Rolle. »Wir haben alles dabei, vom Generalprobenmitschnitt bis zur aufwändig gedrehten Fernsehdokumentation«, erzählt Büdenhölzer.
Ästhetische Aspekte fielen ebenfalls ins Gewicht. Auftritte von nackten Performern lösen in der Gemeinschaft des physisch anwesenden Theaterpublikums andere Rezeptionsprozesse aus, als bei Zuschauern vor dem heimischen Bildschirm. Ist Nacktheit auf der Bühne zuallererst eine ästhetische Entscheidung, so kann dasselbe in gestreamter Form von schlichteren Gemütern als Pornografie missinterpretiert werden. Das öffentlich geförderte Theatertreffen will offenbar nicht mit der privatwirtschaftlichen Pornobranche verwechselt werden.
Welche Stücke gestreamt werden, wurde gemeinsam mit den Regisseur*innen bestimmt. »Wir haben dazu keine Jury eingesetzt, sondern mit den künstlerischen Teams der Produktionen gemeinsam entschieden«, sagt Büdenhölzer. Von den zehn eingeladenen Stücken werden ab dem 1. Mai sechs im Internet zu sehen sein. Es beginnt mit »Hamlet« (Regie: Johan Simons/Schauspielhaus Bochum) und dann folgen: »Anatomie eines Suizids« (Katie Mitchell/Schauspiel Hamburg, 2. 5.), »Die Kränkungen der Menschheit« (Anta Helena Recke/Koproduktion Münchner Kammerspiele, HAU, Kampnagel, Mousonturm, 3.5.), »Süßer Vogel Jugend« (Claudia Bauer/Schauspiel Leipzig, 5.5.) , »Chinchilla Arschloch, waswas« (Helgard Haug/Mousonturm und Schauspiel Frankfurt sowie WDR und HAU, 6.5.) und »The Vacuum Cleaner« (Toshiki Okada/Münchner Kammerspiele, 8.5.). Die freien Produktionen »Die Kränkungen der Menschheit«, »Chinchilla Arschloch« und die wegen der Nacktheit der Darsteller*innen nicht gestreamte Arbeit »Tanz« von Florentina Holzinger sollen im Herbst bei einer Art Theatertreffen Spezial in den produzierenden Häusern HAU und Sophiensäle gezeigt werden. Hintergrund ist, dass die freien Künstler*innen von der Absage des Festivals finanziell härter getroffen sind als die fest an den Häusern engagierten Kolleg*innen.
Das virtuelle Theatertreffen vom 1. bis zum 9. Mai wird von ebenso virtuellen Publikumsgesprächen begleitet. »Auf der Plattform Jitsi werden bis zu vier Personen aus den künstlerischen Teams, ein Jurymitglied und jeweils ein Moderator oder eine Moderatorin miteinander sprechen. Das Gespräch wird gestreamt. Das Publikum kann vor und auch während des Gesprächs über Twitter Fragen schicken«, erzählt Büdenhölzer. Wegen Sicherheitslücken auf den diversen Videokonferenzplattformen wollte sie diese nicht direkt für die Gespräche nutzen. In Sachen Online-Tools ist die Theaterwelt nun offenbar in Phase 2 angekommen; sie stellt kritisch die digitalen Verheißungen infrage.
Zu noch souveränerem Agieren im digitalen Bühnenraum soll das mit der Dortmunder Akademie für Theater und Digitalität ausgearbeitete Diskursprogramm »Digitale Praxis am Theater« beitragen. Höhepunkt hier dürfte die »Lange Nacht der Tutorials« am 7. Mai sein. Die Inszenierungen selbst sind als Stream on demand 24 Stunden nach der Online-Premiere kostenlos zugänglich und werden danach wieder vom Netz genommen.
Das nächste Theatertreffen möchte Büdenhölzer gern wieder analog ausrichten, im dann renovierten Festspielhaus. Originelle digitale Produktionen, die jetzt in der Lockdown-Phase entstehen, will sie aber beobachten.
https://bit.ly/35dBdj8
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