Durch Corona noch unsichtbarer

Protesttag zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderung findet erstmals online statt

  • Lisa Ecke
  • Lesedauer: 3 Min.

An diesem Dientag läuft der Europäische Protesttag zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderung anders ab als früher. Erstmals seit 27 Jahren findet der Protest am 5. Mai nicht dezentral auf der Straße, sondern mit verschiedenen Onlineaktionen statt.

Unter anderem gibt es eine zentrale Kundgebung in Form eines Live-streams, an dem ein Bündnis verschiedener Organisationen sowie Einzelpersonen mitgewirkt haben. Initiiert wurde der Stream von AbilityWatch, einer Aktionsplattform der Behindertenbewegung in Deutschland. Deren Vorsitzender Constantin Grosch sagt gegenüber »neues deutschland«: »Die Corona-Situation und die Isolation werden von vielen Menschen mit Behinderung besonders stark wahrgenommen.« Es gebe teilweise keine Möglichkeit für Betroffene, digital mit anderen in Kontakt zu bleiben. »Die sowieso begrenzten Teilhabemöglichkeiten werden den Menschen jetzt durch die Corona-Bestimmungen genommen.«

Traditionelle Themen der Behindertenbewegung wie das Abbauen von Vorurteilen würden außerdem durch die Krise in den Hintergrund rücken. »Menschen mit Behinderung haben es sowieso schwer, sich Gehör zu verschaffen, sie sind nicht die lauteste Minderheit«, erklärt Grosch, warum er die Befürchtung vieler Betroffener teilt, dass durch die Corona-Pandemie Forderungen von Menschen mit Behinderungen gesellschaftlich weniger Beachtung als sonst finden.

Unter dem Hashtag WegMitDenBarrieren wurde anlässlich des Europäischen Protesttages dazu aufgerufen, kurze Videoclips zu drehen, in denen Betroffene ihre Schwierigkeiten in der Coronakrise schildern. In einem der Videos spricht eine Mutter über die Probleme, eine angemessene Anzahl von Pflegestunden für ihre Tochter zu bekommen: »Es geht ganz viel Zeit und Kraft in die Organisation und Genehmigung der Pflegestunden, und dann fallen die aufgrund von Fachkräftemangel aus«, sagt sie. Durch die Coronakrise habe sich die Situation verschärft: »Wir haben Angst, dass wir 24 Stunden allein für die Pflege von Katharina zuständig sind. Ein normales Alltagsleben ist dann nicht mehr möglich.«

Laut Constantin Grosch ist die Resonanz des Online-Protesttages groß. Innerhalb von zwei Tagen seien 120 solcher Videos an AbilityWatch geschickt worden.

Viele Menschen mit Behinderung zählen laut dem Robert-Koch-Institut zur Corona-Risikogruppe. Grosch findet die zunehmende Diskussion über den Selbstschutz für Risikogruppen dennoch falsch: »Es kann nicht sein, dass Menschen mit Behinderung ausgeschlossen werden, damit der Rest der Bevölkerung wieder in den Alltagstrott einsteigen kann.« Während Geschäfte wieder öffnen, blieben viele Einrichtungen für Behinderte wie etwa Werkstätten weiterhin geschlossen.

Von der schrittweisen Schulöffnung sind zumindest auch die Abschlussklassen von inklusiven Bildungsangeboten sowie von Förderschulen betroffen. Im Rahmenkonzept der Kultusministerkonferenz für die Wiederaufnahme des Schulunterrichtes ist festgehalten, dass sich unter den Schüler*innen mit besonderem Förderbedarf solche finden, bei denen der »Mindestabstand von 1,5 Metern nicht eingehalten werden kann und ein Körperkontakt unvermeidbar ist«. Diesbezügliche Sorgen der Eltern oder auch der Schüler*innen selbst müssten ernst genommen werden. »Wenn Schüler*innen an dem Schulunterricht nicht teilnehmen wollen oder können, dann müssen diese genauso integriert werden. Dafür braucht es die entsprechenden technischen Vorrichtungen«, findet Grosch.

Die schwierige Situation im Homeschooling beschreibt ein Mädchen in einem Videobeitrag zu dem Aktionstag so: »Eigentlich habe ich in der Schule eine Assistenzlehrerin und viele nützliche Geräte. Und jetzt mit Corona? Kann sie mich nicht besuchen, und ich habe auch ganz wenig nützliche Geräte.«

Allgemein äußern sich in der Coronakrise die Defizite bei der Inklusion und in der Barrierefreiheit stärker als sonst. Die Aktion Mensch kritisiert anlässlich des Protesttages auch, dass Informationen zu der Corona-Pandemie nicht »in Gebärdensprache oder in Leichter Sprache bereitgestellt« werden, und resümiert: »Solange Menschen mit Behinderung nicht als vollwertige produktive Mitglieder der Gesellschaft gesehen werden, sondern als vorwiegend schutzbedürftige ›Kranke‹, widerspricht das allen Prinzipien der Inklusion und selbstbestimmter Teilhabe.«

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