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Die Autorität der Überlebenden
Wie ehemalige Häftlinge des Naziregimes die politische Debatte beeinflusst haben.
Vor knapp vier Monaten schrieb Esther Bejarano an den Bundespräsidenten. Es war kurz vor dem 75. Jahrestag der Befreiung von Auschwitz, und sie, die Überlebende dieses Vernichtungslagers, regte an, den 8. Mai zum bundesweiten Feiertag zu erklären. Der Tag der Befreiung für die einen, für die Überlebenden der Konzentrationslager; der Tag der Kapitulation für die anderen, die Mehrheit der Deutschen. Zumindest in Berlin ist der 8. Mai in diesem Jahr Feiertag; der rot-rot-grüne Senat hatte das seit Längerem vorbereitet. Solch ein Feiertag, so Bejarano, könne bedeuten, »über die großen Hoffnungen der Menschheit nachzudenken: über Freiheit, Gleichheit, Schwesterlichkeit«. Dass über einen bundesweiten Feiertag diskutiert wird, ist auch Bejaranos Autorität zu verdanken.
Esther Bejarano überlebte Auschwitz, weil sie im Mädchenorchester des KZ Akkordeon spielte. Obwohl sie das Instrument eigentlich gar nicht beherrschte. Mit ihrer Geschichte erlangte sie einige Berühmtheit, vor allem aber moralische Autorität. Wochen zuvor hatte sie einen Brief an Bundesfinanzminister Olaf Scholz geschrieben. Darin ging es um die VVN-BdA. Diese antifaschistische Organisation, deren Ehrenvorsitzende Bejarano ist, wurde von Bayerns Verfassungsschutz als linksextremistisch eingestuft, weil dort auch Kommunisten Mitglieder sind. »Wie denn auch nicht. Die Kommunisten waren die ersten, die gegen die Nazis gekämpft haben und die von ihnen verfolgt wurden«, lautete Bejaranos Protest. Für die VVN-BdA hatte die Einstufung gravierende Folgen: Das Finanzamt Berlin entzog ihr die Gemeinnützigkeit, was den finanziellen Ruin für den Verein bedeutet hätte. »Was könnte gemeinnütziger sein als Antifaschismus?«, lautete Bejaranos Frage. Ihre Intervention, die viel Beachtung fand, dürfte dazu beigetragen haben, dass der Spuk zumindest vorerst vorbei ist.
Dass ehemalige Häftlinge Einfluss auf die bundesdeutsche Politik nehmen konnten, das war nicht immer so. Ganz im Gegenteil. In der frühen Bundesrepublik waren die ehemaligen Häftlinge als unbequeme Mahner nicht gern gesehen. »Nestbeschmutzer« nannte man sie oft. Dass die NS-Verbrechen nicht vergessen wurden, die Orte, wo sie begangen wurden - das ist dem mühsamen Kampf der ehemaligen Häftlinge zu verdanken. Das gilt für Flossenbürg, Dachau und vor allem für Neuengamme.
Niemand war dort so lange inhaftiert wie Fritz Bringmann. Und niemand hat wohl so lange für eine Gedenkstätte dort gekämpft. Hamburg war zwar von 1949 an sozialdemokratisch reagiert, aber im Vergessen und Verdrängen waren die Genossen bundesdeutsche Meister. Im bayerischen Dachau gab es schon längst eine Gedenkstätte, da existierte in Hamburg noch nicht einmal ein Mahnmal. Nach fast 40 Jahren endlich ein kleiner Museumsbau außerhalb des Lagergeländes. Dort gab es so gut wie keine Spuren mehr. Stattdessen hatte die Stadt dort zwei Gefängnisse gebaut. Die ehemaligen KZ-Häftlinge empfanden das als Hohn. Ihr Kampf dafür, die Gefängnisse wieder zu entfernen, dauerte lange, war aber letztlich erfolgreich. Unter anderem, weil Fritz Bringmann unangemeldet zu einer entscheidenden der Bürgerschaftssitzung erschien, mit ein paar Kameras im Schlepptau. Dieser schmächtige Mann erreichte, dass der Senat kleinlaut zurückruderte. 2006 wurde das letzte Gefängnis auf dem einstigen KZ-Gelände geschlossen.
Je weniger Zeitzeugen noch leben, desto größer wurde ihr Einfluss. Das ist in gewisser Weise paradox. Wie es weitergeht? Wird die Stimme der Lagergemeinschaften, in denen junge Menschen für die Opfer des Nationalsozialismus einstehen, ein ebensolches Gewicht haben wie die der Überlebenden? Es ist eine Frage, die der Vizepräsident des Internationalen Auschwitz-Komitees Christoph Heubner in den Raum stellt. Wie die Antwort ausfällt, darüber ist er sich nicht sicher.
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