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Musik sollte das nicht sein
Vom Krach ins Schlagerhafte: Die Einstürzenden Neubauten werden 40
Als die Welt noch unterging, waren die Einstürzenden Neubauten eine der aufregendsten Bands. Anfang der 80er Jahre meinte man, der Kalte Krieg würde bald ein heißer werden und man selbst würde bestimmt durch ein explodierendes Atomkraftwerk oder an AIDS sterben, wenn man nicht im Atomkrieg zugrundegeht. In dieser Endzeitstimmung fühlten sich die Neubauten wohl. Sie wollten den Untergang tanzen, so verkündeten sie auf ihrer ersten Single. Ihr erstes Album nannten sie »Kollaps«. Darauf sang Blixa Bargeld: »Bis zum Kollaps nicht viel Zeit (…) schlag schneller, schrei lauter, leb schneller.«
»Als die Welt noch unterging« ist der Titel eines Buchs von Frank Apunkt Schneider über die damalige Untergrundmusik, die dann rasch zur karnevalesken »Neuen Deutschen Welle« wurde und schließlich im tumben Deutschrock versiegte. Die Neubauten haben das spielend überlebt. Sie feiern dieser Tage ihr 40-jähriges Bestehen und bringen ihr erstes neues Studioalbum seit 13 Jahren heraus: »Alles in Allem« (»Lament« von 2014 war eine Auftragsarbeit).
»Alles in Allem« klingt wie ein Titel für die Lebenserinnerungen von Hildegard Knef, Harald Juhnke oder Günter Pfitzmann. Die sind längst tot, Blixa Bargeld aber lebt. Mit seinen 61 Jahren ist aus ihm schon längst ein Westberliner Original geworden. Und er steht drauf, denn er steht auf Berlin. So heißt nicht nur ein altes Lied von Ideal, sondern auch eines von den Neubauten. »Alles in Allem« handelt vom Leben im alten Westteil, von Tempelhof, Wedding, Schöneberg, von der Gentrifizierung und auch vom Mord an Rosa Luxemburg 1919.
Als sich die Neubauten 1980 in Westberlin gründeten, glaubten sie, die Stadt würde im kommenden Krieg zwischen Ost und West als erstes zerstört. Spätestens 1984, im sogenannten George-Orwell-Jahr. Bis dahin wollten sie so viel erleben und so wenig schlafen wie möglich, voll mit Aufputschmitteln, Angstlust und Pathos. Sie konnten zwar keine Instrumente »richtig« spielen, aber dafür erfanden sie neue - aus dem Zeug, das sie von Schrottplätzen und Baustellen holten. Sie schlugen auf Bleche und Rohre, und dazu tönte Blixa Bargeld wie ein Heiliger in der Hölle.
Er sang die Lieder weniger, als dass er sie verkündete, er konnte schreien, schnarren, flüstern und fauchen. Wie ein »Durstiges Tier« mit »Hirnsäge« im »Tanz Debil«, so hießen frühe Lieder. Musik sollte das nicht sein, »Musiker« war für die Band ein Schimpfwort. Erst nannten sie es Krach und dann »Klangforschung«, diesen Ausdruck benutzen sie bis heute. Neben dem Berliner Original Bargeld war auf der Bühne auch eines aus dem Ruhrpott auffällig: FM Einheit, der mit nacktem Oberkörper auf die Stahlpercussion einschlug, als wollte er sich die Seele aus dem Leib prügeln.
Ihre Bühnen setzten sie teilweise in Brand, mit Benzin in kleinen Tonic-Fläschchen. »Die gingen an der Wand oder auf dem Boden zu Bruch und brannten dort ein, zwei Minuten. Sah unheimlich gefährlich aus, aber da brannte nichts an«, erzählte N.U. Unruh der »Taz« vor zwei Jahren. Er hat für die Band die meisten Musikinstrumente erfunden, zum Beispiel die »Bassfeder«, die »Nudel« oder die »Kurve«. Als Schüler waren er und Bargeld maoistisch angeregt, sie sympathisierten mit der KPD/ML, der vielleicht am meisten proletarischen K-Gruppe. Die Schwester von Unruh war Mitglied und nahm die beiden zu Demos mit. »Ich bin das ganze chinesische Volk«, singt Bargeld dann 1985 auf der Single »Yü Gung« und fordert: »Fütter mein Ego«. Die Kraft des »ganzen chinesischen Volks« in einer Person. Isolierter geht es kaum, aber auch kaum mächtiger - in der Fantasie.
Die Neubauten kultivierten den Gestus des unerhört Neuen. Seit dieser Zeit hantiert Bargeld mit seinem Lieblingszitat von Walter Benjamin: »Der destruktive Charakter kennt nur eine Parole: Platz schaffen; nur eine Tätigkeit: räumen.« Schon zwei Jahre nach ihrer Gründung spielte die Band auf der Documenta in Kassel und 1987 als Liveband im Hamburger Schauspielhaus, wo Peter Zadek das Theaterstück »Andi« inszenierte, über das niemand sprechen wollte. Es ging nur um die Lautstärke der Neubauten - es war ihr Durchbruch in den Feuilletons, sie waren »unheimlich intensiv«, wie man damals sagte. Sie spielten in der Wüste, im »Goldenen Saal« des Nürnberger Reichsparteitagsgeländes, in Japan, in den USA und in Ostberlin kurz nach dem Mauerfall.
In den 90ern wurden sie musikalisch ruhiger, überlegter, technisch besser, und irgendwann war aus ihrer Musik normaler Rock geworden, mit Ausflügen ins Schlagerhafte. Spätestens als FM Einheit die Band verließ, weil er sich mit Bargeld zerstritten hatte. Bargelds Erzählung aber lautet bis heute, die Band sei auf Forschungsreise - unter seiner Führung. Er ist der Regisseur und pflegt sein Image als Berufspoet. Er sei Melancholiker, Zweifler, aber auch Archäologe und Synästhesist, so plauderte er, stets etwas gönnerhaft, in Interviews, in denen er auch gern darauf hinweist, dass er »kein einfacher Gesprächspartner« sei, ein Gespräch mit ihm also um so wertvoller.
Beeindruckender als Bargelds Erzählungen ist die Tatsache, dass die Neubauten bis heute ihre künstlerische Unabhängigkeit bewahrt haben: 40 Jahre ohne Kompromisse für eine große Plattenfirma. Und ohne Kompromisse für ein kleines Label, weil man da fast nie Geld bekommt, wie sie in den 80ern erfahren mussten. Stattdessen schufen sie zur Jahrtausendwende ihre eigene Plattform, um bei ihren Fans, die sie »Supporter« nennen, genug Geld einzusammeln, damit sie die Alben machen können, die sie wollen.
Auf dem neuen Werk, »Alles in Allem«, singt Bargeld ein künstlerisches Handwerkerliedchen: »Ich hab’ unser Lied frisch renoviert / Die Wände verputzt, einen neuen Ton ausprobiert / Ich hab’ die Strophen abgezogen (…) Die verbrauchten Metaphern hab’ ich im Giftmüll entsorgt / Mit neuen, unbenutzten ausreichend vorgesorgt / In der Makulatur hab’ ich die richtigen Zeilen gesucht / Dazwischen alle Lügen, vor- und rückwärts, abgekratzt und verflucht«. So könnte man die Geschichte der Neubauten auch erzählen. Besingt er seine Kindheit (»Grazer Damm«), erinnert er an Gilbert Becaud. Von Rosa Luxemburg (»Am Landwehrkanal«) singt er, wie es Franz Josef Degenhardt vielleicht auch getan hätte. Die Musik dazu ist hübsch, nicht aufregend.
Einstürzende Neubauten: »Alles in Allem« (Potomak/Indigo).
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