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Klimawandel im Labor
In Bad Lauchstädt werden im flächenmäßig größten Experiment die Auswirkungen der Erwärmung auf Ökosysteme erforscht.
Vor mehr als 200 Jahren arbeitete Johann Wolfgang von Goethe als Theaterdirektor in Bad Lauchstädt. Das brachte dem Städtchen 20 Kilometer südöstlich von Halle in Sachsen-Anhalt den Beinamen Goethestadt ein. Neues Renommee für die Kleinstadt verheißt die Versuchsanlage vor den Toren der Stadt, in der seit 125 Jahren Freilandforschung betrieben wird. Bis 1991 gehörte sie zum Forschungszentrum für Bodenfruchtbarkeit Müncheberg, danach fiel sie an das Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ). Nun sorgt die Anlage für experimentelle Ökosystemforschung für nationale und internationale Aufmerksamkeit.
Rund 20 Feldexperimente laufen derzeit auf der 40 Hektar großen Forschungsstation, die außerhalb von Bad Lauchstädt an der Straße Richtung Delitz etwas versteckt hinter Wirtschaftsgebäuden liegt. Im Zentrum der UFZ-Forschungsstation steht die »Global Change Experimental Facility«, kurz GCEF. Martin Schädler, UFZ-Bodenökologe und wissenschaftlicher Koordinator der GCEF, gerät noch sieben Jahre nach deren Bau ins Schwärmen. »Die GCEF ist das Flaggschiff der UFZ-Forschungsstation und das flächenmäßig weltgrößte Klimaexperiment«, sagt er. Für die GCEF wurden zehn Stahlgerüste, die jeweils einen experimentellen Block darstellen, auf einer Fläche von insgesamt sieben Hektar in die Schwarzerde gerammt. Jeder Block umfasst fünf Parzellen, die die prägende agrarische Nutzung in Mitteleuropa repräsentieren: Konventioneller und ökologischer Ackerbau, intensiv genutztes Grünland mit Mahd sowie zwei Formen unterschiedlich extensiver Grünlandnutzung, Mahd und Beweidung durch eine Herde Schafe, die in der Station eine Heimat gefunden haben.
Der Clou der rund vier Millionen Euro teuren Anlage: Die Forscher simulieren auf fünf der zehn Blocks mittels ein- und ausziehbarer Dächer sowie einer Beregnungsanlage jenes Klima, das mit einer hohen Wahrscheinlichkeit im Jahr 2070 in Mitteldeutschland herrschen wird. Das bedeutet ein Temperaturplus von ein bis zwei Grad. Die Niederschläge lassen sich ebenfalls anpassen: Im Sommer bis zu 20 Prozent weniger, im Frühling und Herbst je rund 10 Prozent mehr. »Die Möglichkeit, Niederschläge und Temperatur nach unseren Modellwünschen zu manipulieren, ist der große Vorteil der Anlage«, sagt Schädler. Die fünf anderen Experimentierblocks, die identisch bewirtschaftet werden, werden als Kontrollflächen den herrschenden Klimabedingungen ausgesetzt.
Damit wird die GCEF zum Anziehungspunkt für Wissenschaftler aus dem In- und Ausland, die die Folgen von Landnutzungsänderungen und Klimawandel auf Boden, Bodenorganismen oder die Vegetation untersuchen wollen. Eine polnische Wissenschaftlerin forschte beispielsweise zu den Aktivitäten von Springschwänzen; ein Ökologe aus Indien ging dank eines Humboldt-Stipendiums der Frage nach, wie Regenwürmer bei Veränderungen von Klima und Landnutzung Bakterien aus dem Boden filtern. Wer mit Martin Schädler im Frühjahr über die Anlage geht, erblickt auf vielen Parzellen Stäbe, Fähnchen, eingezäunte Flächen - alles Anzeichen dafür, dass auf den Flächen ununterbrochen geforscht wird. »In der Ökologie brauchen wir die Daten aus dem Freiland, weil sich so Modelle erstellen und dann später immer wieder überprüfen und damit verfeinern lassen«, sagt er.
Aktivität im Boden nimmt bei Erwärmung ab
Für mindestens 15 Jahre ist die GCEF angelegt. Damit bietet sie die einmalige Gelegenheit, grundlegenden Fragestellungen nachzugehen, die sich bei Projektdauern von zwei bis drei Jahren oft nicht beantworten lassen. Doch schon jetzt können sich die Wissenschaftler erste Meriten verdienen: Schädlers Team fand beispielsweise heraus, dass die biologische Aktivität im Boden unter dem Klimawandel auf extensiv genutzten artenreicheren Wiesen und Weiden stärker abnimmt als auf intensiv genutzten artenarmen Wiesen. »Das war für uns unerwartet, weil man bislang immer davon ausging, dass sich artenreichere Systeme besser an ein sich veränderndes Klima anpassen können«, sagt Schädler. Eine Erklärung: Möglicherweise übernehmen andere Arten die Funktionen jener Arten, die verschwinden. Erste Beobachtungen zeigen, dass artenreichere Systeme nach einer Art Schock zu Beginn einer Störung nämlich sehr wohl reagieren können - nur bis zu welchem Grad und in welchen Zeiträumen, das ist noch unklar. Bei anderen Experimenten stellten die GCEF-Forscher fest, dass sich Zersetzungsraten in der Streuschicht bei geringeren Niederschlägen und erhöhten Temperaturen im Sommer bei allen fünf Landnutzungsformen im Schnitt um zehn Prozent, im Grünland zum Teil um bis zu 36 Prozent reduzieren. Schädler: »Wenn sich das über die Jahre akkumuliert, kann das für die Landwirtschaft negative Folgen für die Fruchtbarkeit von Böden haben.«
Steigen die Temperaturen, verändert sich aber nicht nur das Verhalten der Bodenfauna, sondern auch das von Pilzen und Bakterien. Damit beschäftigt sich der UFZ-Bodenökologe François Buscot. Er untersucht in der GCEF die Dynamik von Bakterien, die im Boden für Weizenpflanzen den wichtigen Nährstoff Phosphor mobilisieren. Buscot und seine Mitarbeiter fanden heraus, dass auch unter wärmeren Bedingungen die wichtige Funktion der Phosphormobilisierung gewährleistet bleibt. Dies übernehmen überraschenderweise je nach Entwicklungsphase des Weizens Bakterien, von denen man bisher gar nicht wusste, dass sie das können. »Es gibt bei der Vielfalt der Bodenmikroorganismen offensichtlich immer welche, die unter neuen Bedingungen in der Lage sind, den Pflanzen zu helfen«, sagt der Forscher. Er sieht darin ein Beleg dafür, dass sich die Biologie im Boden dem Klimawandel anpassen kann - vorausgesetzt, dort bleibt die biologische Vielfalt erhalten. Das ist in der intensiven Landwirtschaft im Unterschied zum Öko-Anbau aber eher weniger der Fall.
Zugleich allerdings, das geht aus einem anderen GCEF-Experiment hervor, nimmt mit einer Zunahme von Temperatur und Trockenheit auch die Gefahr von Krankheitserregern zu. Dies stellten Bodenökologen fest, indem sie Weizenstreu nach der Ernte in den Boden einarbeiteten. »Streu wird immer von Pilzen besiedelt, von denen ein hoher Prozentsatz pathogene Wirkungen auf die jeweilige Kulturpflanze hat«, erklärt Buscot. Unter den künftigen Klimabedingungen nimmt die Vielfalt dieser Pathogene und damit die Infektionsgefahr für den Weizen deutlich zu. »Wir könnten in Zukunft also mit mehr Infektionskrankheiten bei den Kulturpflanzen konfrontiert werden«, schlussfolgert er.
Blühdauer hängt mit Insektenzahl zusammen
Die Nähe zur GCEF suchen in der UFZ-Versuchsanlage aber auch andere außergewöhnliche Experimente. Das, was Wissenschaftler im großen Maßstab in der GCEF erforschen, analysiert der Biologe Nico Eisenhauer im Kleinen - in 24 Versuchskammern, die nur 1,55 Meter mal 1,55 Meter breit und 3,20 Meter hoch sind. IDiv-Ecotron heißt diese Forschungsplattform, in denen der Professor für Experimentelle Interaktionsökologie der Universität Leipzig und des Deutschen Zentrums für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) Tier- und Pflanzenarten zusammenbringen und die Antworten von Ökosystemen auf deren Anwesenheit untersuchen kann. »Der Vorteil dieser geschlossenen Systeme ist, dass wir unter absolut kontrollierten Bedingungen Temperatur, Luft- oder Bodenfeuchte messen, mit unterirdischen Scannern analysieren, wie Wurzeln wachsen, oder gar das Verhalten einzelner Käferindividuen nachverfolgen können«, sagt er. Zudem kann er in diesen Miniatur-Ökosystemen schnell und flexibel auf aktuelle Fragen reagieren. Als Ende 2017 das Insektensterben in die Schlagzeilen kam, wies er beispielsweise im Projekt »Insect Armageddon« mit Kollegen der Universität Jena nach, dass sich der Rückgang von Insekten auf die Häufigkeit und die Blühdauer von bestimmten Pflanzen im Grünland auswirkt. So blüht etwa der Hornklee später, wenn weniger Insekten fliegen. Und während sich der Bestand an Wiesenklee bei einem Rückgang der Insekten reduziert, nimmt die Häufigkeit des Spitzwegerichs zu.
Infrastrukturen wie die GCEF und das iDiv-Ecotron sorgen dafür, dass die Feldversuchsstation auch international in den Blickpunkt gerät: So ist Bad Lauchstädt in Person von Stan Harpole als einer von deutschlandweit fünf Standorten Teil des Nutrient Networks (NutNet) - einem Netzwerk, das auf mehr als 130 Flächen rund um den Globus untersucht, wie Grasland-Ökosysteme auf den Eintrag von Nährstoffen reagieren. Wie beeinflusst die Produktivität von Grünland die Artenvielfalt? Welche Auswirkungen haben bislang kaum beachtete Nährstoffe wie Kalium oder Magnesium auf Wiesen und Weiden? Wie verändert sich die Pflanzenvielfalt durch den Eintrag von Nährstoffen? Fragen wie diese untersucht UFZ- und iDiv-Forscher Harpole mit Kollegen auf 5 Meter x 5 Meter großen Flächen. Auf 24 Freilandflächen erhebt der Ökologe beispielsweise den Deckungsgrad von Pflanzen, die Lichtverfügbarkeit und die Nährstoffgehalte des Bodens und analysiert die Folgen von Düngung oder Beweidung. »Der Versuchsaufbau ist vergleichsweise einfach und finanziell günstig, und es braucht kaum technische Infrastruktur«, nennt er Vorzüge dieses langfristigen Experiments. Weil zu zentralen Fragestellungen wie etwa zum Einfluss der Nährstoffe in unterschiedlichen Klima- und Vegetationszonen weltweit mit einem einheitlichen Versuchsdesign geforscht wird, lassen sich die Daten hervorragend vergleichen. »Wir haben globale Probleme, dafür braucht es keine lokalen Antworten auf einzelnen Flächen, sondern es braucht globale Antworten«, sagt Harpole. Die sollen unter anderem in der Goethestadt Bad Lauchstädt gefunden werden.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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