Fleisch hat nichts mit »Männlichkeit« zu tun

Laut dem »Ernährungsreport 2020« essen immer weniger Menschen täglich Fleisch und Wurst

  • Robert D. Meyer
  • Lesedauer: 4 Min.

Mitte der Woche machte in den sozialen Netzwerken die Werbung eines Versandhändlers die Runde, der sich auf den Vertrieb von Fleisch spezialisiert hat. Auf dem Foto ist im Hintergrund ein Reifeschrank zu sehen, im dem drei Stück Rindfleisch hängen, daneben steht eine dampfende Tasse... Ja, was eigentlich? Das Produkt nennt sich »T-Bone Tea« und ist im Prinzip nichts anderes als eine Rindfleischbrühe, die der Hersteller in einen Teebeutel gepackt hat.

Doch weil die schnöde Banalität eines Produkts in der Werbung keine akzeptable Kategorie ist, erbricht sich der Hersteller in markigem PR-Getöse. Von »jahrelanger Entwicklung« ist da auf der Website die Rede, ebenso von einer Marktlücke, die nun besetzt werde, für »Steak- und Teeliebhaber« sei das »eine willkommene Abwechslung«.

Dass die Fleischbrühe vor allem Männer ansprechen soll, ist wenig überraschend, der Hersteller spricht dies auf seiner Website sogar sehr offensiv an. Über die schon einige Jahre zurückliegende Produktpräsentation heißt es, diese habe vor »einem begeisterten Publikum« stattgefunden, »Frei nach dem Motto: 'Die Frau ist mal wieder shoppen, dann gönn Dir was Deftiges.'«

Ja, in der Werbewelt des 21. Jahrhunderts gelten Geschlechterstereotype oft unhinterfragt weiter. Während Frauen nur ans Einkaufen denken, zieht sich Mann eine Tasse Rindfleischbrühe rein, die laut PR-Text übrigens »das neue Kamille« ist. Tee, der nach Wiese schmeckt? Igitt, ich bin doch ein echter Kerl. Was auch immer das oder besser gesagt ER sein soll.

Marketing wie dieses ist kein Einzelfall. Fleischprodukte werden weiterhin oft in Zusammenhang mit angeblicher Männlichkeit verkauft.

Die Journalistin Bettina Hennig, selbst überzeugte Veganerin, hat dieses Bild von Fleisch als Inbegriff vermeintlicher Männlichkeit vor ein paar Jahren in einem Interview treffend zusammengefasst:

»Ich glaube, das ist eine Potenzprojektion. Männer haben es heutzutage wirklich schwer. Viele befinden sich in einer Identitätskrise: Wer bin ich, wo gehöre ich hin, wie gehe ich vernünftig mit Frauen um - viele Männer sind da sehr verunsichert. Es gibt für sie nur noch wenige Refugien, in denen sie sich als Mann fühlen können. Selbst im Fußballstadion, wo sie früher noch ordentlich grölen konnten, sind jetzt immer mehr Frauen dabei und die wissen jetzt auch, was 'Abseits' ist. Ich glaube, Fleisch ist für viele das letzte Ding, bei dem sie sich noch als Mann fühlen können. Sie fühlen sich so verbunden mit dem vermeintlichen Urvater, der in männlicher Runde das Wild erlegt hat.«

Ja, dieser Jäger im Mann ist einfach nicht totzukriegen. Früher pirschte er Mammuts hinterher, heute macht er seine Beute im Supermarktregal und grillt das 1,99 Euro Nackensteak auf seinem 1000 Euro Grill. Eben genau wie unsere Vorfahren in der Steinzeit. Nur haben die noch im Zweifel mit Säbelzahntigern und Wölfen um das erlegte Wild gerungen, während man(n) heute seinen muskulösen Bizeps einsetzt, um eine Packung Hackfleisch aufzureißen oder eben sich einen Beutel Rinderbrühe mit heißer Flüssigkeit aus dem Wasserkocher aufzubrühen. Verdammt, nicht einmal kochendes Schweineblut nimmt er dafür!

Das Gute ist: Dieses machohafte Männlichkeitsbild, dass oftmals in der Polemik »Fleisch ist mein Gemüse« gipfelt, bröckelt beständig, wie aktuelle Zahlen aus dem am Freitag veröffentlichten Ernährungsreport der Bundesregierung zeigen. Vielen Männern vergeht inzwischen der Hunger auf die tägliche Portion totes Tier auf dem Teller.

Waren es bei der Befragung 2019 noch 39 Prozent der Männer, die erklärten, täglich Fleisch und Wurst zu essen, sank ihr Anteil dieses Jahr auf nur noch 32 Prozent. Bei den Frauen tun dies sogar nur noch 20 Prozent.

Das ist noch kein Durchbruch, aber immerhin eine positive Entwicklung. Und die repräsentative Erhebung verrät außerdem, dass 70 Prozent der befragten Männer schon »einmal Tofu und pflanzliche Alternativen zu Milch gekauft« haben.

Leider liefert die Erhebung keine Auskunft darüber, wie viele Männer nach dem Verzehr eines Seitanschnitzels plötzlich ein Erweckungserlebnis hatten, dass Kamillentee zur Abwechslung doch eigentlich ganz lecker sein kann und Fleischbrühe in einem Teebeutel eben nur Fleischbrühe in Teebeutel ist. Egal, was PR-Fritzen für ein anachronistisches Weltbild pflegen. Darauf eine herzhafte Tofuwurst!

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken von Socken mit Haltung und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.