Landschaften mit Nervensäge
Vierzehn Bezirke und ein singender Arbeiter - Dokumentationen auf DVD
Eigentlich müsste die Legende vom singenden Baggerfahrer Gerhard Gundermann doch so langsam auserzählt sein. Ein Bildband, ein Gesprächsband, zwei Textbücher, zwei Dokumentarfilme, ein biografischer Spielfilm, die Musik zum Film, 14 Tribute-CDs. Von den 12 CDs mit Aufnahmen von Gundermann selbst mal ganz abgesehen.
»Gundermann Revier« von der Regisseurin Grit Lemke, 2019 fertiggestellt, sollte ursprünglich im Frühjahr dieses Jahres bundesweit in die Kinos kommen. Pandemiebedingt blieben diese geschlossen, dafür wurde die Veröffentlichung ihres Dokumentarfilmes auf DVD vorgezogen. Das ist einerseits schade, weil die weiten Räume der Lausitz den Raum auf der Kinoleinwand brauchen, andererseits kommt der Film so wenigstens zur rechten Zeit an das Publikum. Zu einer Zeit, in der das holzschnittartige Bild von dem untergegangenen Land als »zweite deutsche Diktatur«, weil interesse- und ideologiegeleitet, selbst von bürgerlichen Historikern einer Revision unterzogen wird. In der aber auch eine AfD sich im Osten als Volksversteherpartei geriert, Ressentiments aufgreift und ein verlorenes Zusammengehörigkeitsgefühl beschwört, das die Rechtsextremen als »heimattreu« bzw. »patriotisch« definieren. Dieser Aspekt, das sei vorweggenommen, hat es leider so explizit nicht in den Hauptfilm geschafft, sondern findet sich nur in dem beigefügten Bonusmaterial, den herausgeschnittenen Szenen. Das mag dem Umstand geschuldet sein, dass der Mitteldeutsche Rundfunk als Mitauftraggeber der Produktion seit der Intendanz von Udo Reiter auf eine Mischung aus Entpolitisierung, kultureller DDR-Nostalgie (bei gleichzeitiger Verdammung der politischen, sozialen und ökonomischen Umstände, unter denen diese Kultur entstanden ist) und Regionalisierung von Nachrichten setzt und ernsthafte politische Debatten scheut. Der Arbeit von Grit Lemke konnte das zum Glück nur wenig schaden, dafür ist ihr Material einfach zu gut.
Gundermann Revier
Regie: Grit Lemke
DVD, 119 Minuten, 18,00 €
online: dasND.de/gundermannrevier
Die Bezirke der DDR
DEFA-Originalaufnahmen
2 DVDs, ca. 339 Min., 18,00 €
online: dasND.de/ddrbezirke
Unser Erzgebirge
DEFA-Originalaufnahmen
Bonus: Klingendes Vogtland
DVD, ca. 142 Min., 13,00 €
online: dasND.de/erzgebirge
Unser Thüringen
DEFA-Originalaufnahmen
DVD, ca. 124 Min., 13,00 €
online: dasND.de/thueringen
Unsere Insel Rügen
DEFA-Originalaufnahmen
DVD, ca. 90 Min., 13,00 €
online: dasND.de/ruegen
Der Berliner Friedrichstadtpalast
DEFA-Originalaufnahmen
DVD, ca. 66 Min., 13,00 €
online: dasND.de/palast
Gerhard Gundermann war eine Nervensäge. Er gab sich nicht mit Stanzen zufrieden, mit den hölzern gedrechselten Sätzen aus dem Parteilehrjahr; er nahm den Anspruch auf eine bessere, vernunft- und empathiegeleitete Gesellschaft ernst. Nicht nur seiner Lehrerin ging er damit auf die Nerven, die ein sehr anrührendes Bild von dem Jungen zeichnet, oder seinen Vorgesetzten an der Offiziershochschule, die leider nicht befragt wurden, und von der er nach zwei Jahren exmatrikuliert wurde. Auch den Genossen, die ihn 1978 seines Hangs zum Selberdenken wegen aus der Partei ausschlossen, nach Protesten anderer Nervensägen dann den Ausschluss in eine »strenge Rüge« umwandelten, bis sie ihn 1984 wegen »prinzipieller Eigenwilligkeit« endgültig rauswarfen. Den Kollegen im Tagebau, wo er 1975 als Hilfsarbeiter angeheuert hatte. Und den Freunden im Singeklub Hoyerswerda, der sich bald in Brigade Feuerstein umbenennen sollte. Immer ging alles zu behäbig voran, immer gab es etwas besser zu machen. Die einstigen Mitglieder der Brigade Feuerstein, die heute noch zusammen proben, verklären nichts, auch wenn ein wenig Wehmut mitschwingt bei der Erinnerung an diese rastlosen, aufregenden und nervenaufreibenden Zeiten mit Gundermann.
Gerhard Gundermann war ein Kunde. Das war nicht etwa die Bezeichnung für einen Shoppingsüchtigen, sondern - der Tippelbrüder- und -schwesternsprache entlehnt - ein Herumtreiber, einer, der auf materielle Sicherheit und Wohlstandssymbole pfiff. In der DDR waren sie meist zu erkennen an den langen Haaren, den Fleischerhemden und ausgebleichten Jeans oder Zimmermannshosen, den »Trampern« - dünnsohligen Wildlederschuhen. Typen, die wie einst Kurt Demmler mit der Klampfe über die Dörfer zogen und für ein Bier spielten. Oder Jörg »Speiche« Schütze, der Basser der Bluesband Monokel, der später eine schnucklige Kneipe bei mir um die Ecke aufmachen sollte. Typen, die kein Blatt vor den Mund nahmen und sich nicht verbiegen lassen wollten. Wenn du einen Kunden nach einer »Penne« fragtest, drückte er dir seinen Wohnungsschlüssel in die Hand, weil er davon ausging, dass du kein Arschloch bist und ihm die Bude ausräumst. Diese geradezu entwaffnende Offenheit hatte Gundermann - das kommt in dem Film ganz deutlich heraus. Selbst wenn er sich damit selbst ein Bein stellte, sich verhedderte. In den zitierten Diskussionsrunden im Film sieht man einen Typen, der nicht drauflos schwadroniert, sondern nachdenkt, auch Ratlosigkeit äußert; ein ewiges Suchen. Die Besitzer der ewigen Wahrheit waren ihm suspekt, ein Kunde weiß um jede Vergänglichkeit und den Wert des Jetzt.
Die Regisseurin Grit Lemke hat den unbestreitbaren Vorteil, dass sie selbst aus der Region kommt, in Theaterprojekten gearbeitet hat, mithin als gelernte Baufacharbeiterin und promovierte Ethnologin keine Außenstehende in einem Milieu ist, in dem Arbeitende mit Laienspiel die Welt retten, um zwei bekannte Da Da eR-isten zu paraphrasieren. Der Geist des Antikonsumismus ist in der Lausitz noch lebendig, und so ist dieser Film auch eine Studie darüber, was an Alternativen möglich ist. Und damit kein Denkmal für einen toten Helden, der nicht mehr nerven kann, sondern eine Ermutigung.
Die DEFA-Stiftung hat tief in den Archiven gegraben und restauriert: Ergebnis ist die DVD-Reihe »Die DDR in Originalaufnahmen«. Kinovorfilme wie »Der Augenzeuge« oder Beiträge für »Das DDR-Magazin« stellen Städte, Regionen, Bezirke vor; teilweise noch in Schwarz-Weiß gedreht, teils in Farbe, und einige wohl für die Außentouristikwerbung konzipiert. Mancher Sprachduktus in den 10- bis 30-Minütern wirkt heute etwas unfreiwillig komisch, dafür gibt es geradezu cineastische Filmschnitte etwa in dem Beitrag von Wolfgang Bartsch über die Konzipierung und Errichtung von Halle-Neustadt. Auch wenn die Beiträge keine Dokumentationen im engeren Sinne sind, vermitteln sie bei aller Auslassung doch einen bemerkenswerten Einblick in den Alltag in der DDR, städtebauliche Ensembles, in Arbeitswelten in Landwirtschaft, Industrie und Handwerk und werden dem aufmerksamen Zuschauer so manchen Aha-Effekt verschaffen.
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