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  • Antidiskriminierungsgesetz

Der Staat als Täter

Berlin verabschiedet das bundesweit erste Landesantidiskriminierungsgesetz

  • Marie Frank
  • Lesedauer: 5 Min.

Die Kritik im Vorfeld der Verabschiedung des bundesweit ersten Landesantidiskriminierungsgesetzes war an schrillen Tönen kaum zu überbieten: CDU und AfD sprachen in der hitzigen Debatte im Berliner Abgeordnetenhaus am späten Donnerstagnachmittag von einem »Landesbeamtendiskriminierungsgesetz«. Dieses stelle Polizist*innen unter »Generalverdacht« und würde von »arabischen Clans« rücksichtslos ausgenutzt werden. Für die FDP ist das Gesetz zum Schutz vor staatlicher Diskriminierung eine »schallende Ohrfeige in die Gesichter aller Polizistinnen und Polizisten der Hauptstadt«, die Gewerkschaft der Polizei sieht darin ein »Misstrauensbekenntnis gegenüber allen Beschäftigten des Öffentlichen Dienstes«. Sogar Bundesheimatminister Horst Seehofer (CSU) mischte sich im Vorfeld in die Debatte ein und bezeichnete das Vorhaben als »Wahnsinn«, die innenpolitischen Sprecher von CDU und CSU im Bundestag schürten mit ihrer Forderung, andere Bundesländer sollten vorerst keine Polizist*innen mehr zur Amtshilfe nach Berlin schicken, zusätzlich Panik.

Die Grünen, die das Landesantidiskriminierungsgesetz (LADG) maßgeblich vorangetrieben hatten, waren vor der Abstimmung sichtlich bemüht, die Diskussion wieder auf den Boden der Tatsachen zu holen. »Die Kritik von rechts ist ideologisch und faktenfrei«, urteilte der Grünen-Sprecher für Antidiskriminierung, Sebastian Walter. Ein Innenminister, der Migration als »die Mutter aller Probleme« bezeichne, sei »nicht Teil der Lösung, sondern Teil des Problems«, so Walter in Richtung Seehofer. »Auch der Staat und seine Behörden können potenziell diskriminierende Akteure sein«, stellte er fest - die Parlamentsdebatte, die selbst nicht ohne diskriminierende Vorurteile auskam, war durchaus geeignet, ihm Recht zu geben.

Doch worum geht es in dem Gesetz, das die Gemüter derart erhitzt? Handelt es sich wirklich um ein »Anti-Polizei-Gesetz«, wie die CDU behauptet, oder doch eher um einen »Meilenstein in der Antidiskriminierungspolitik«, das Betroffene schützt und das Vertrauen der Bevölkerung in die Sicherheitsbehörden stärkt, wie die Grünen meinen?

Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne) will mit dem LADG Diskriminierung in Ämtern und Behörden bekämpfen. Als erstes Bundesland gibt Berlin damit Betroffenen die Möglichkeit, rechtlich gegen Ungleichbehandlung in Schulen, der Verwaltung oder der Polizei vorzugehen. Bisher ist der Schutz vor Diskriminierung durch das 2006 vom Bundestag verabschiedete Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz geregelt. Das beschränkt sich allerdings auf den Arbeitsplatz und das private Umfeld. Mit dem LADG will Rot-Rot-Grün diese Lücke schließen. »Wir können doch nicht sagen, dass sich die Bürger untereinander nicht diskriminieren dürfen, aber der Staat darf das!«, sagte Behrendt am Donnerstag im Abgeordnetenhaus. »Der Staat sollte hier mit gutem Beispiel vorangehen.«

Die Opposition bezweifelt hingegen, dass das neue Gesetz überhaupt notwendig ist. »Welches Problem wollen Sie lösen? Existiert es überhaupt?«, fragte der CDU-Fraktionsvorsitzende Burkard Dregger. »Es gibt viele Menschen, für die gehört es zum Alltag, diskriminiert zu werden«, entgegnete Behrendt. Das könne in der U-Bahn passieren, auf der Straße oder eben durch Behörden. So würden Schwarze regelmäßig berichten, von der Polizei häufiger als Weiße kontrolliert zu werden. Wehren können sich die Betroffenen dagegen bislang nicht. Und Fälle wie in Frankfurt am Main, wo am Donnerstag ein Polizeibeamter wegen rassistischer Beleidigung eines Mannes in Polizeigewahrsam verurteilt wurde, nachdem er von seinen Kollegen angezeigt worden war, bilden eher die Ausnahme.

Mehr als die Hälfte der Berliner*innen hat laut Berlin-Monitor diskriminierende Erfahrungen gemacht, führte die SPD-Abgeordnete Susanne Kitschun an. Mehr als ein Viertel der von Diskriminierung Betroffenen erlebe laut Antidiskriminierungsstelle des Bundes Benachteiligung durch Ämter und Behörden. Kerstin Kühn von der unabhängigen Beratungsstelle vom Türkischen Bund Berlin-Brandenburg (TBB) berichtete dem »nd«, dass sogar knapp ein Drittel ihrer Fälle aus dem Bereich der öffentlichen Institutionen stammten. Von Bürgerämtern, Polizei, Ausländerbehörden, Schulen, Universitäten über Jugendämter bis zur BVG sei alles dabei.

Mit dem LADG können Menschen, die aufgrund ihres Geschlechts, ihrer Hautfarbe, ihrer sexuellen Identität, ihrer Religion und neuerdings auch wegen ihres sozialen Status oder chronischer Krankheiten durch Behörden diskriminiert werden, Schadensersatz- und Entschädigungsansprüche geltend machen. Wird die staatliche Diskriminierung gerichtlich festgestellt, haften aber nicht etwa einzelne Polizist*innen, sondern das Land Berlin. Fälle von Racial Profiling, Benachteiligung in der Schule oder bei der Vergabe von Sozialleistungen sollen dadurch verhindert werden. »Wir werden alle miteinander lernen, diskriminierendes Verhalten zu verändern«, sagte der frisch gewählte Co-Fraktionsvorsitzende der Linken, Carsten Schatz, der einen »Black Lives Matter«-Aufnäher trug.

Erleichtert werden soll der Nachweis von diskriminierendem Verhalten durch eine sogenannte Vermutungsregelung. Können Betroffene eine Diskriminierung glaubhaft machen, muss sich die entsprechende Behörde vor Gericht rechtfertigen. Dieser Punkt wird von Gegner*innen als Beweislastumkehr kritisiert, Befürworter*innen sprechen hingegen von einer Beweislasterleichterung, wie sie in den Antidiskriminierungsrichtlinien der EU ausdrücklich vorgesehen sei. Neu ist zudem, dass Verbände stellvertretend für die Betroffenen vor Gericht ziehen können. Hinzu kommt eine Ombudsstelle, an die sich Betroffene wenden können.

Nachdem die AfD auf einer namentlichen Abstimmung bestanden hatte, damit alle Berliner Polizist*innen sehen könnten, welche Abgeordneten zu ihnen stünden, stimmten am Donnerstagnachmittag von den 143 anwesenden Abgeordneten schließlich 86 mit Ja und 57 mit Nein. Justizsenator Behrendt zeigte sich im Anschluss glücklich und freute sich, dass das Landesantidiskriminierungsgesetz nach zehn Jahren Debatte darum endlich verabschiedet wurde. Vor dem Hintergrund der anhaltenden Proteste gegen rassistische Polizeigewalt nach dem Tod des Afroamerikaners George Floyd hätte der Zeitpunkt wohl auch nicht besser gewählt werden können.

Verbände wie der Migrationsrat Berlin und der TBB begrüßen die Entscheidung. »Wir erwarten, dass das Gesetz nunmehr zügig umgesetzt wird, die notwendigen Personalstellen geschaffen werden und die Kapazitäten der Beratungsstellen angepasst werden«, so TBB-Sprecher Safter Çınar und der Leiter des TBB-Antidiskriminierungsnetzwerkes, Shemi Shabat. Lob kam auch von der Antidiskriminierungsstelle des Bundes. Die Gewerkschaft Verdi sprach von einem »brauchbaren Kompromiss«.

Die FDP erwägt hingegen rechtliche Schritte gegen das Gesetz. »Wir als FDP-Fraktion behalten uns vor, die Verfassungsmäßigkeit im Rahmen einer Normenkontrollklage prüfen zu lassen«, so der rechtspolitische Sprecher der Fraktion, Holger Krestel.

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