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Privatsache Weltgesundheit

Mit einer eigenen Stiftung will die WHO mehr Einfluss auf die übermächtigen freiwilligen Geldgeber gewinnen.

  • Ulrike Henning
  • Lesedauer: 5 Min.

Die Weltgesundheitsorganisation steckt in einer Krise, die aktuell als ein Finanzierungsdilemma dargestellt wird. US-Präsident Donald Trump drohte der UN-Organisation im April zunächst mit dem Ausstieg seines Landes und der Einstellung der US-Zahlungen. Vor einer Woche verkündete er offiziell das Ende der Zusammenarbeit. Damit geht der WHO der größte Beitragszahler verloren. Im zweijährigen Haushalt 2018/ 2019 unterstützten die Vereinigten Staaten die WHO mit 893 Millionen Dollar und stemmten damit rund 15 Prozent des Gesamtbudgets.

Nun ist nicht erst seit Beginn der Corona-Pandemie bekannt, dass sich die Organisation nur noch zu einem geringen Teil aus den Beitragszahlungen ihrer über 190 Mitgliedsstaaten finanziert, sondern zu 80 Prozent auf Spenden von Staaten und privaten Geldgebern (Stiftungen, Organisationen und Unternehmen) angewiesen ist. Das Problem dabei: Diese Gelder sind zweckgebunden einzusetzen. 2018/19 waren das im WHO-Doppelhaushalt insgesamt 3,6 Milliarden US-Dollar, 2020/21 sind es rund 4,8 Milliarden Dollar. Der Geber entscheidet - und zwar oft für die Finanzierung von Impfstoffen und Medikamenten.

Fatal ist das im Fall des größten privaten Gebers, der Bill-und-Melinda-Gates-Stiftung. Denn sie empfiehlt der WHO den Ankauf medizinischer Güter gerade bei Konzernen wie Novartis, Sanofi, Gilead oder Pfizer, an denen sie selbst Anteile hält. Das führt zu weiterer Konzentration von Marktmacht und damit zu einem Preisdiktat, das Gesundheitskosten unnötig hoch festlegt. So waren etwa die vollständigen Impfkosten für ein Kind 2015 schon 68-mal höher als zehn Jahre früher, bei gleichen Impfstoffen.

Der Einfluss der privaten Geldgeber wuchs allmählich. Seit 2016 dürfen sich zum Beispiel kommerzielle Geldgeber offiziell auch an WHO-Arbeitsgruppen beteiligen. Damit wurde nicht nur Pharmaherstellern das Tor noch weiter geöffnet, auch Lebensmittelkonzerne machten von der Möglichkeit Gebrauch. Ihnen geht es darum, sich ihren Absatz ungesunder Lebensmittel nicht durch WHO-Vorgaben einschränken zu lassen.

Bis in die 80er Jahre hinein wurde die Organisation noch fast vollständig von den Pflichtbeiträgen der Mitgliedsstaaten getragen, die Höhe hing von der Zahlungsfähigkeit des jeweiligen Landes ab. Aber die Vereinigten Staaten, bis vor Kurzem immer noch Hauptbeitragszahler, haben mehrmals einen schlanken Fuß bei der Höhe des eigenen Obolus gemacht. Schon 1993 setzten die USA durch, dass die Pflichtbeiträge eingefroren wurden - und diese sanken daraufhin kontinuierlich auf 20 Prozent des Gesamtbudgets. Einige Industriestaaten zahlen seitdem freiwillig viel mehr als ihren Pflichtbeitrag, darunter Norwegen, Schweden, die USA und die Schweiz. Auch hier gilt, dass die Zahlungen nach Wunsch der Geber eingesetzt werden.

Wofür fehlen nun die Zahlungen der USA? Nach den inhaltlich gekennzeichneten Ausgaben gingen sie zu reichlich einem Viertel in die Ausrottung der Kinderlähmung. Weitere 18 Prozent waren für den Zugang zu essenziellen Gesundheits- und Ernährungsdiensten vorgesehen, fast acht Prozent waren Krankheiten gewidmet, die durch Impfung zu verhindern sind. Die übrigen Anteile der US-Zahlungen wurden auf viele weitere Programmpunkte gesplittet. So dienten fast sechs Prozent der Bekämpfung der Tuberkulose, knapp fünf Prozent dem Feld HIV und Hepatitis.

Interessant ist auch, wofür die USA ihre Dollar explizit nicht einsetzten: für das Programmfeld Gerechtigkeit, soziale Determinanten, Geschlechtergerechtigkeit und Menschenrechte. Diese Inhalte wurden vor allem in der Alma-Ata-Deklaration der WHO von 1978 gestärkt, die nicht nur Gesundheit selbst zu einem grundlegenden Menschenrecht, sondern auch die sozialen und ökonomischen Grundlagen als Voraussetzung dafür erklärte.

Der Wegfall des größten staatlichen Geldgebers stellt natürlich auch das Gesamtgefüge der Ausgaben infrage und damit das ambitionierte »Drei-Milliarden-Ziel«, das sich die WHO für den Zeitraum 2019 bis 2023 gab. Danach sollte eine Milliarde mehr Menschen verbesserten Zugang zur Gesundheitsversorgung erhalten, eine Milliarde mehr sollte vor Gesundheitsbedrohungen geschützt werden und einer weiteren Milliarde Menschen sollte es 2023 gesundheitlich besser gehen als 2019. An erster Stelle steht dabei der Kampf gegen Luftverschmutzung und Klimawandel.

Sogar Vertreter der Regierungsparteien im deutschen Bundestag forderten nun, dass sich Deutschland für höhere Pflichtbeiträge einsetzen solle. Sehr überzeugt werden die Abgeordneten von der Realisierung der Forderung aber nicht sein. Sie ist schon deshalb nicht ernst zu nehmen, weil sich die Bundesregierung in den vergangenen Jahren bereits stark in internationalen Parallelstrukturen engagierte, die quasi alternativ zur WHO agieren. Da ist der jährlich stattfindende World Health Summit, eigentlich ein Treffen renommierter Hochschulforscher, aber immer gut mit hochrangigen Politikern besetzt und reichlich von Industriesponsoren unterstützt. 2019 rief Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) den Global Health Hub Germany ins Leben, ein Netzwerk für »alle« Akteure, die an globaler Gesundheit interessiert sind. Das sind inzwischen nicht nur Nichtregierungsorganisationen, sondern auch Pharmahersteller wie Pfizer. Freundlicherweise gibt es eine dreijährige Anschubfinanzierung aus deutschen Steuergeldern für die Hub-Geschäftsstelle.

Konkurrenz erwächst der WHO auch von internationalen Geberkonferenzen, darunter eine der EU-Kommission von Anfang Mai, aus deren Sammeltopf Impfstoffe und Medikamente gegen Covid-19 finanziert werden sollen. Hier kamen die größten Beiträge von Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Kanada und Italien - aber auch wieder von der Gates-Stiftung. Eine weitere Geberkonferenz berief die internationale Impfallianz Gavi ein - ihr geht es aktuell um die Wiederaufnahme von Impfprogrammen gegen Masern, Polio und Typhus, die wegen der Corona-Pandemie ausgesetzt wurden, aber auch um einen Fonds für Corona-Impfstoffe.

Mittels einer eigenen Stiftung versucht die Weltorganisation nun, einen neuen Umgang mit den übermächtigen freiwilligen, meist privaten Geldgebern zu finden. Deren Überweisungen sollen in die eigens gegründete WHO-Stiftung fließen, die sich den drei genannten Milliarden-Zielen widmen wird, wie Generalsekretär Tedros Adhanom Ghebreyesus in dieser Woche mitteilte. Die neue Institution solle explizit auch das globale Covid-19-Pandemie-Management unterstützen, heißt es aus Genf. Die Idee dazu sei schon im Februar entstanden. Angesichts der Pandemie soll die von der WHO rechtlich getrennte Stiftung sich auf Notfälle und Pandemie-Reaktionen konzentrieren. Ob sich die privaten und freiwilligen Zuwendungen damit leichter managen lassen, bleibt jedoch noch offen.

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