Ein Helikopter flog auch vorbei

Der Pandemie sei Dank: »Rheingold« auf dem Parkdeck der Deutschen Oper in Berlin

  • Maximilian Schäffer
  • Lesedauer: 4 Min.

Das Parkdeck ist zumindest eine bessere Idee als »Bayreuth«. Ein oben offenes Parkdeck ist ein versöhnlicheres Bild als ein im Hochsommer prall gefülltes Opernhaus, in dem man schwitzt und für das Bier mindestens sieben Euro bezahlen muss. Ein Parkdeck ist besser als ein Park, um ein Opernhaus herum gebaut, in dem sich Klubs und Logen nach Stand und Klasse sortieren. Es ist auch besser als ein Gelände, auf dem die einen die anderen beim Besser-und schöner-Sein von einem Zaun aus begaffen. Auf dem Parkdeck kann man sich hinsetzen, ohne den Schweiß des anderen zu riechen und dessen röchelnden Atem im Nacken zu haben, weil das Parkdeck nicht gebaut wurde, um möglichst viele Menschen lukrativ in einen Raum zu quetschen, in dem die perfekte Immersion eines Privilegs stattfinden soll. Auf dem Parkdeck kann man sich schlecht anziehen, weil selbst die gut Angezogenen sich überlegen müssen, wieso sie sich überhaupt gut angezogen haben für ein Parkdeck.

Die Staatsoper Unter den Linden macht ein- bis zweimal im Jahr auf dem Bebelplatz für den »Pöbel« Platz, weil sie kein Parkdeck besitzt, und nennt es dann »Oper für alle«. Für wen soll die zwei- bis dreifach vom Steuerzahler durchfinanzierte Oper denn sein, wenn nicht für alle? Im Sommer auf einem Parkdeck bekommt man die Illusion davon, wie es sein könnte, wenn man einmal aufhören würde, Menschen mit hoher Kaufkraft in einem staatlichen Haus zu hofieren, während man den Rest mit Dosenbier auf einem Platz mit Beschallungsanlage blöd rumstehen lässt und mit einem zynischen »für alle« alimentiert.

Es brauchte eine Pandemie und ein Parkdeck, damit man als öffentlicher Kulturnahversorger auf die Idee eines gemütlichen Open-Air-Erlebnisses zum Einheitspreis von fünf Euro kam - aus Infektionsschutzgründen führt die Deutsche Oper in Berlin nun »Das Rheingold« auf.

Ein paar Glückliche hatten die Karten im Internet ergattert, zur Einhaltung der Abstandsmaßnahmen arrangierte das Haus an der Bismarckstraße die Bestuhlung auf dem Parkdeck so, dass man den Eindruck gewinnen konnte, es handele sich hierbei um eine freundliche Musikveranstaltung für freundliche Menschen, die nicht einmal dafür gezahlt hatten. Im Sinne der globalen Verwertungslogik nennt man so ein Milieu heute für gewöhnlich VIP-Area, Geld spielte keine Rolle. Als führte man Richard Wagner um der Kunst willen auf: zum Nachdenken, zur Anregung, zur Erholung, zum Träumen, zum Zwecke einer Gesellschaftsförderungsidee namens Bildung. Die Leute konnten sich ausstrecken und atmen, sich drehen und rascheln, mitwippen, vielleicht sogar leise vor sich hersummen. Die Alten litten nicht unter einem starren, viel zu engen Sitz, selten sah man eine derart gelöste Stimmung.

Einer könnte leise raunen, das habe auch daran gelegen, dass jeglicher monetärer Druck, Eintrittskarten zu dreistelligen Beträgen sowie sauteure Lachshäppchen und Kaviar absent waren. Man könnte vermuten, dass das Parkdeck auch den Musikern in dieser Weise guttat - sie wirkten gleichermaßen erholt und gelöst.

Zwischen Sichtbeton und Wellblech, zwischen Taubendreck und Rußrückständen erklang in akustisch ungeeigneter Umgebung des »Rings« erste, kürzeste Oper, die man noch mal gekürzt hatte und mit ein paar Soundeffekten zwischen den Akten anreicherte. Die Sänger mimten hierzu die Simulation einer Inszenierung, indem sie irgendetwas anhatten und zwischen irgendwelchen Requisiten sich aufs Darstellen und Singen konzentrieren konnten. Kein Vollidiot der internationalen Einfallslosigkeit ging ihnen mit seinen Goldideen aus der Mottenkiste des Sprechtheaters auf die Nerven. In der lauschigen Atmosphäre einer zwangsausgelagerten Absolventenfeier spielten Vollprofis ohne das Beäugen des üblichen Klüngels auf genauso hohem Niveau wie sonst auch, untermalt von kreischenden Vögeln und röhrenden Motoren. Ein Helikopter flog auch vorbei.

Beinahe hätte man glauben können, dass das die Oper sei: ein Musiktheater, dass die schiere Dekadenz seiner Produktion - mit Orchester, Solisten, oft Chören und immer einer unüberschaubaren Anzahl an Mitwirkenden - in den Dienst der Allgemeinheit stellt. Ein Musiktheater, das endlich aufhört, seine seltsamen »Traditionen« mit höfischem Augenzwinkern fortzusetzen, sondern verdammt noch mal das Gesungene und Gespielte wichtig nimmt, ohne die Bedingung zu stellen, dass dabei niemand husten darf und dass schalloptimierende Schirme an der Decke hängen. Ein Musiktheater, das sich nicht an Ikonen, Legenden und Autoritätsfiguren abarbeitet, damit ein kleiner Kreis sogenannter Kunstliebhaber dazu im Kreis onanieren kann.

Weil das Parkdeck zumindest eine bessere Idee als »Bayreuth« ist, sollte man darüber nachdenken, ob man das Festspielhaus auf dem Grünen Hügel in ein Parkdeck umwandelt, und, wenn man schon dabei ist, vielleicht die Staatsoper Unter den Linden zu Berlin gleich mit. Doch Opernfreunde sabbern bereits im Hinblick aufs nächste Jahr, wo sie dann glücklich geimpft denselben hirnlosen, asozialen Schwachsinn wie eh und je zelebrieren.

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