Medizin gegen die Krise

Wann kommt der Corona-Impfstoff, wie wirkt er, und wer wird ihn zuerst bekommen?

  • Kirsten Achtelik
  • Lesedauer: 5 Min.

Die Corona-Pandemie ist noch nicht unter Kontrolle: In den USA hat die Zahl der bekannten Neuinfizierten einen neuen Rekord erreicht, auch in anderen Ländern geht die Angst vor einer »zweiten Welle« um. Gleichzeitig will die Politik eine eine erneute Verschärfung der Kontaktbeschränkungen unbedingt vermeiden, da er die Wirtschaftskrise noch weiter vertiefen würde. Entscheidend ist daher die Entwicklung eines Impfstoffs. Weltweite forschen Pharmaunternehmen unter Hochdruck, um das Geschäft zu machen. Regierungen unterstützen sie mit Milliarden Zuschüssen, um sich den Zugang zum Impfstoff als erste zu sichern. Das Rennen ist in vollem Gang, es wird Sieger geben und voraussichtlich auch Verlierer.

Weltweit laufen etwa 150 Projekte, um einen Impfstoff zu entwickeln. Es gibt drei Arten von Impfstoffen. Erstens: Lebendimpfstoffe mit Vektorviren, bei denen bereits gut bekannte, harmlose Viren als Ausgangspunkt genutzt werden, um eine Immunantwort hervorzurufen. Zweitens: Totimpfstoffe mit Virusproteinen, die wie Grippeimpfungen funktionieren. Drittens: genbasierte Impfstoffe. Letzteres ist eine neuartige Methode, mit der noch kein Impfstoff auf den Markt gebracht wurde.

Eigentlich ist die Entwicklung solcher Impfstoffe eine langwierige Angelegenheit. Wichtige Schritte dabei sind die Erprobungen an Tieren und - schrittweise ausgedehnt - an Freiwilligen, abschließend dann das Zulassungsverfahren. Bis vor wenigen Jahren hätte man von der Analyse des Virus bis zur Zulassung eines Impfstoffs 15 bis 20 Jahre angesetzt, schreibt der Verband der forschenden Pharma-Unternehmen (vfa), »neue Technologien und die Vorerfahrung mit Impfstoffprojekten gegen verwandte Viren« machten die derzeitige »enorme Beschleunigung« bei der Suche nach einem Impfstoff gegen Sars-CoV-2 möglich. Nicht thematisiert wird allerdings, dass auch die Abkürzung der bisher aus Sicherheitsgründen etablierten Testdauer zu dieser Schnelligkeit beiträgt.

Isabelle Bartram vom Gen-ethischen Netzwerk (GeN) fordert, nicht von klinischen Standards abzurücken, nur um möglichst schnell einen Impfstoff präsentieren zu können. Gerade weil noch so wenig über das Virus und seine Wirkung bekannt sei, »brauchen wir große, gut kontrollierte, randomisierte Studien«, so die Biologin. Ein Problem der dritten Testphase, in der die Zuverlässigkeit des Impfschutzes geprüft werde, stelle sich in Ländern mit niedrigen und sinkenden Fallzahlen. Proband*innen müssten sich schließlich auch potenziell anstecken können, damit die Wirksamkeit des Schutzes überprüft werden kann. Einzelne Phasen in anderen Ländern durchzuführen, stellt Biotechfirmen, die nicht bereits vernetzt sind, dagegen vor logistische Probleme. Sogenannte Human Challenge Trials, in denen sich Freiwillige gezielt infizieren lassen, hält Bartram für »höchst unethisch«, solange es keine Medikamente für die Behandlung einer Covid-19-Erkrankung gebe.

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) rechnet in elf bis 17 Monaten mit einem »sicheren und effektiven« Impfstoff gegen das Coronavirus und will sich dafür einsetzen, dass dieser dann weltweit gerecht verteilt wird. Die WHO-Direktorin für öffentliche Gesundheit, Maria Neira, versicherte: »Reiche Länder werden für den Impfstoff bezahlen müssen. Für arme Länder, die das nicht können, richten wir aber Mechanismen und Subventionen ein, damit alle Zugang haben.« Ob die WHO nach dem Ausstieg der USA allerdings über derartige Ressourcen verfügt, bleibt abzuwarten.

Deutschland zählt zu den Ländern mit besonders vielen Projekten für Impfstoffe gegen das Virus. Große Hoffnungen ruhen derzeit auf CureVac. Das Tübinger Unternehmen arbeitet an sogenannten mRNA-Impfstoffen, also an einem genbasierten Impfstoff. mRNA ist eine Art Botenmolekül, in dem die Bauanleitung zur Herstellung von Proteinen steckt. Für den Impfstoff wird mRNA mit der Bauanleitung für ein Protein des Coronavirus verwendet, der Körper soll nach der Impfung Antikörper und Abwehrzellen bilden, angelehnt an die natürliche Immunantwort. Bartram weist darauf hin, dass dieser Ansatz in der Krebstherapie erprobt wurde, aber noch zu keiner funktionierenden Behandlungsmöglichkeit geführt hat. Allerdings sei es angesichts der vielen offenen Fragen gerechtfertigt, neue Ansätze auszuprobieren.

Der Fall CureVac hat bereits zu diplomatischen Verstimmungen geführt: Vor einigen Monaten hieß es, die USA wollten das Unternehmen kaufen, US-Präsident Donald Trump habe ein Angebot gemacht. Vergangene Woche nun verkündete die Bundesregierung, sich über die Staatsbank KfW mit 300 Millionen Euro an CureVac zu beteiligen. Laut Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) sollen deutsche Firmen gegen eine mögliche Übernahme aus dem Ausland abgesichert werden. Auf Geschäftsentscheidungen des Biotechunternehmens wolle der Staat keinen Einfluss nehmen.

Der Fall zeigt, dass die Suche nach einem Impfstoff vielfach als Konkurrenz verläuft. Davor warnte schon im April eine Initiative aus über 250 internationalen Organisationen und bekannten Personen. Die Initiative, an der sich auch das GeN beteiligt, fordert eine internationale Kooperation zur Förderung medizinischer Entwicklung sowie für eine umfassende und gerechte weltweite Gesundheitsversorgung. Die Unterzeichner sehen eine große Gefahr darin, dass der Zugang zu medizinischen Innovationen im Kampf gegen Covid-19 durch »nationale Interessen, Preisgestaltung, eingeschränkte Produktion, fragmentierte Lieferketten und Geschäftsgeheimnisse« erschwert wird.

Daher werden Regierungen, Behörden, Biotech- und Pharmaunternehmen sowie Spender*innen und Entwicklungspartner dazu aufgerufen, transparent und orientiert am Menschenrecht auf Gesundheit zu agieren. Forschung sollte den Prinzipien von »Open Science« folgen und »Patente, Geschäftsgeheimnisse, Fachwissen, Zelllinien, Software, Daten, Urheberrechte und jedes relevante geistige Eigentum lizenzfrei zur freien Verfügung stellen«.

Bei der exklusiven Sicherung von Wissen über Patente handele des sich nur um »Wirtschaftsförderung für ein Unternehmen« und die »Zugangssicherung zu einem potenziellen Impfstoff«, kritisierte Bartram. Die Forschungsergebnisse würden kommerzialisiert und der Umgang damit dem Unternehmen überlassen. Stattdessen sollten die Regierungen »Druck auf die Unternehmen« machen, damit diese auf ihren Patentschutz verzichteten. Eine große Kooperation von Forschenden sei für den globalen Zugang zu Impfstoffen sinnvoller als die Unterstützung einzelner Firmen.

Hersteller wie AstraZeneca, GlaxoSmithKline oder Pfizer haben angekündigt, ihre Impfstoffe auf Kostenbasis anzubieten, solange die Pandemie dauere. Bartram sieht darin einen ersten kleinen Erfolg des internationalen Drucks. Man würde »allerdings aufmerksam beobachten, was die Firmen dann als ihre Herstellungskosten definieren« und ob sie staatliche Förderung aus dieser Bilanz herausrechneten.

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