Industrie in der Hauptrolle

Kritik an Lobbynähe der deutschen Regierung

Als die Bundesregierung im vergangenen Jahr eine neue Gasstrategie konzipierte, hatten Lobbyisten der Branche freien Zugang ins federführende Wirtschaftsministerium. Umweltverbände konnten dagegen praktisch nie ihre Sicht der Dinge den wichtigsten Stellen deutlich machen, geschweige denn direkt an der Strategie mitarbeiten. Dies dürfte ein Grund dafür sein, warum Erdgas mittlerweile die Hauptrolle unter den fossilen Energieträgern spielen soll. Ob die Ostseepipeline Nord Stream 2, Anlandeplätze für Flüssiggas etwa aus den USA, Ausbau des internen Leitungsnetzes oder im neuen Boombereich Wasserstoff - überall setzt die Regierung auf mehr Erdgas.

Über solche Lobbyverbindungen der Bundesregierung berichtet eine neue Studie mit dem Titel »Industrie in der Hauptrolle«, die die Initiativen Corporate European Observatory und Lobbycontrol anlässlich des Starts der deutschen EU-Ratspräsidentschaft veröffentlicht haben. Bei Weitem nicht nur die Gasindustrie pflegt beste Kontakte zu den Berliner Entscheidungsträgern, auch die Automobilindustrie, Chemieriesen oder große Agrar- und Fischereibetriebe sind ganz vorn dabei. »Die Bundesregierung ist oft allzu willig, sich für deren Interessen starkzumachen - häufig auf Kosten des Allgemeinwohls und damit der deutschen und europäischen Bürger*innen«, heißt es in der Studie.

Das lässt wenig Gutes erwarten für die deutsche Präsidentschaft im zweiten Halbjahr. Ohnehin gilt Brüssel als Mekka der Lobbyisten. Nirgends sonst in Europa tummeln sich so viele Interessenvertreter, die nur ein Ziel haben: politische Vorhaben der EU-Kommission, des Parlaments und des Ministerrates in ihrem Sinne zu beeinflussen. Wirtschaftsvertreter verfügen dabei über ganz andere materielle Möglichkeiten als die Vertreter der Zivilgesellschaft, die ebenfalls in Brüssel agieren.

Das Problem ist vor allem die Undurchsichtigkeit des Agierens der Lobbyisten. Konzernkritiker fordern seit Langem mehr Transparenz und strengere Regeln. »Statt einseitiger Klüngelrunden mit mächtigen Lobbygruppen« brauche es offene und ausgewogene Debatten, schreiben die Autoren der Studie. Außerdem sollten Lobbyaktivitäten auf das absolut Nötigste reduziert werden. Und es brauche ein rechtlich verbindliches Lobbyregister, das alle Aktivitäten zu einem Thema auflistet. Solche EU-Regeln auf den Weg zu bringen, wäre eine schöne Aufgabe für die deutsche Ratspräsidentschaft - Lobbyisten werden das zu verhindern wissen.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.