Der Osten ist zu arm für große Schulden

In den neuen Bundsländern ist der Immobilienbesitz weitaus seltener als in den alten Ländern

  • Simon Poelchau
  • Lesedauer: 4 Min.

Mit der D-Mark kam noch etwas anderes, was in der DDR nicht so verbreitet war wie im Westen: Schulden. Zwar konnte man auch in der DDR Kredite aufnehmen. So wurde jungen Familien mit günstigen Krediten, die sich mit der Geburt von Kindern verringerten, der Hausbau leichter gemacht. Doch weil Privateigentum eine untergeordnete Rolle spielte und es kein privates Bankensystem wie im Westen gab, waren auch die Möglichkeiten zum Schuldenmachen eher begrenzt. Doch kamen mit dem angeblichen Konsumrausch auch die Schulden? Wurde der Trabi oder Wartburg gleich gegen einen Golf auf Pump eingetauscht? Und haben die Menschen in den neuen Bundesländern höhere Schulden als im vermögenden Westen?

Ein Blick in alte Zahlen zu Hypothekenkrediten des Statistischen Bundesamtes mag da den einen oder anderen verwundern: Von Anfang an haben die Menschen im Osten weniger Schulden als im Westen. 1993 lagen die Verbindlichkeiten fürs Eigenheim in den neuen Bundesländern im Schnitt bei 56 108 D-Mark, in den alten Bundesländern war es mit 121 177 D-Mark rund das Doppelte. In 25 Jahren hat sich an dem Verhältnis nicht viel verändert. Lagen 2018 die Hypothekenschulden im Osten pro Kopf im Schnitt bei 14 900 Euro, so waren es im Westen 31 900 Euro. Neuere Zahlen gibt es nicht, weil die Einkommens- und Verbrauchsstichprobe, auf der diese Daten beruhen, nur alle fünf Jahre durchgeführt wird.

»Man kann sich aufgrund der weiterhin niedrigeren Einkommen weniger Schulden leisten«, sagt Markus Grabka vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW). Der Verteilungsexperte hat vor sechs Jahren zum 25. Jahrestags des Mauerfalls eine Studie über die anhaltende Ungleichheit bei den Vermögen zwischen Ost und West erstellt. Wie die Zahlen oben vermuten lassen, hat sich wohl auch in den letzten fünf Jahren wenig bei den Schulden getan.

Der Grund, warum Schulden und gleichzeitig auch Vermögen so unterschiedlich hoch sind, liegt im »Betongold«. Ostdeutsche haben seltener Immobilien als Westdeutsche. Wohnt im Westen die Hälfte im Eigenheim, ist es im Osten nur rund ein Drittel. Und auch der Wert der Immobilien ist in den alten Bundesländern im Schnitt mehr als doppelt so hoch wie im Osten.

So sind Schulden und Vermögen zwei Seiten einer Medaille. Wer mehr verdient, ist solventer und kriegt mehr Kredit. Damit kann man sich ein Eigenheim kaufen und mit dem Einkommen den Kredit tilgen, statt Miete zahlen zu müssen, und hat am Ende mehr. So verfügen Eigenheimbesitzer im Schnitt über rund dreimal so viel Geldvermögen wie Mieter. Alles in allem belief sich 2018 das gesamte Vermögen abzüglich Schulden im Westen auf 182 000 Euro und im Osten auf 88 000 Euro pro Haushalt.

Dabei fällt es den Menschen in den neuen Bundesländern offenbar schwerer, ihre Hypothekenkredite abzustottern, wie Vermögensforscher Grabka in seiner Studie aufzeigte. Demnach verharrte der Wert der Verbindlichkeiten in Westdeutschland seit Ende der 1990er Jahre bei rund 100 000 Euro pro Eigenheim, während die Verbindlichkeiten in Ostdeutschland deutlich zulegten und bereits 2013 rund 70 Prozent des Westniveaus erreichten. »Aufgrund des niedrigeren Einkommensniveaus müssen ostdeutsche Haushalte sich relativ stärker verschulden, um Immobilien zu erwerben, als Haushalte im Westen«, schrieb Grabka damals. Entsprechend falle der Wert des Nettoimmobilienvermögens in Ostdeutschland weiter hinter den westdeutschen Vergleichswert zurück.

Wo Ostdeutschland jedoch einen - traurigen - Vorsprung gegenüber Westdeutschland hat: Im Verhältnis zur Einwohnerzahl gibt es mehr Überschuldete. Über 6,9 Millionen Personen konnten in der Bundesrepublik zum Stichtag 1. Oktober 2019 laut dem Schuldneratlas von Creditreform ihre Verbindlichkeiten nicht mehr bedienen. Im Westen entsprach dies einer Quote von 9,9 Prozent, im Osten von 10,3 Prozent.

Laut dem Statistischen Bundesamt besonders auffällig: Mietschulden sind in den neuen Bundesländern verbreiteter. In den neuen Ländern ließ sich im Jahr 2018 fast jeder Dritte aufgrund von Mietrückständen in einer Schuldnerberatungsstelle beraten, wohingegen dies im früheren Bundesgebiet für nur knapp jede fünfte überschuldete Person zutraf. So betrugen die durchschnittlichen Mietschulden von Überschuldeten im Osten 1147 Euro und im Westen 870 Euro. Und das, obwohl die Wohnkosten im Osten niedriger sind.

- Anzeige -

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.