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Not macht erfinderisch
Kenia hat in der Coronakrise im Rekordtempo Beatmungsgeräte und Schnelltests entwickelt
Ein weißer Dummy liegt auf dem Tisch, die Kunststoffpuppe ist über einen durchsichtigen Plastikschlauch mit einem Beatmungsgerät verbunden. Einige kenianische Studentinnen und Studenten stehen um den Dummy herum, beobachten die Signale auf einem Monitor - letzte Checks um zu sehen, ob ihr Beatmungsgerät wirklich zuverlässig funktioniert. Alle tragen Gesichtsmasken zum Schutz vor einer Infektion mit dem neuartigen Coronavirus. Der Rhythmus, in dem das Gerät Sauerstoff in die künstliche Lunge pumpt, hört sich für einen Laien schon ziemlich ausgereift an. Das sei er auch, sagt Fidel Makatia Omusilibwa. »Wir machen ständig weitere Tests, aber im Grunde sind wir fertig.«
Der 23-jährige Fidel ist angehender Elektroingenieur, er studiert im letzten Semester an der staatlichen Kenyatta-Universität in Nairobi. Er hatte die Idee, zusammen mit anderen Studierenden ein Beatmungsgerät zu entwickeln, und leitet deshalb das interdisziplinäre Team aus 15 Studierenden. Auslöser waren im Februar die Nachrichten aus Europa, vor allem aus Italien. In Kenia und anderen afrikanischen Ländern waren viele Menschen erstaunt und erschreckt, dass die doch eigentlich reichen Staaten mit den vergleichsweise guten Gesundheitssystemen kaum in der Lage waren, die vielen Covid-19- Patienten medizinisch angemessen zu versorgen.
Noch gibt es keine eindeutige Erklärung für die anfangs sehr langsame Verbreitung des Coronavirus in Kenia und anderen afrikanischen Staaten. Im Vergleich zu vielen anderen Staaten in der Region testet Kenia viel, im Vergleich beispielsweise zu Deutschland ist die Zahl der Tests jedoch niedrig. In den vier Monaten vom Bekanntwerden des ersten Falls am 13. März bis zum 12. Juli waren es nach offiziellen Angaben 215 039. In Deutschland wurden nach den Daten des Robert-Koch-Instituts bis zum 8. Juli fast 6,4 Millionen Tests durchgeführt. Die Zahl ist also um ein Vielfaches höher, selbst wann man in Rechnung stellt, dass mit den ersten Tests deutlich früher begonnen wurde als in Kenia. In jedem Fall ist in dem ostafrikanischen Land mit einer hohen Dunkelziffer zu rechnen. Aber ein massives Ansteigen der Sterblichkeit bliebe nicht unbemerkt. Womöglich zeigt ein sehr hoher Anteil der Corona-Infizierten keine Symptome, zumal die Gesellschaft sehr jung ist. Andererseits sind viele Menschen mangelernährt oder übergewichtig und haben Vorerkrankungen wie Diabetes, HIV oder Herzkreislauferkrankungen, die einen schweren Verlauf einer Corona-Infektion wahrscheinlicher machen.
Einer der Gründe für den zunächst recht flachen Verlauf der Kurve könnte in den schnellen Maßnahmen der kenianischen Regierung liegen. Schon zwei Tage nach dem Bekanntwerden der ersten Sars-Cov2-Infektion am 13. März wurden Schulen und Universitäten geschlossen, die Schulen werden erst im kommenden Jahr wieder öffnen. Wenig später wurden die Grenzen geschlossen, der Flugverkehr eingestellt, eine nächtliche Ausgangssperre verhängt und etliche weitere Maßnahmen getroffen. Einige Beschränkungen hat die Regierung wieder gelockert. Die Zwischenzeit hat sie genutzt, um die Testkapazitäten auszubauen und mehr Isolier- und Krankenhausbetten verfügbar zu machen. Viele Menschen halten aber inzwischen die wirtschaftlichen Folgen der Maßnahmen zum Kampf gegen Corona für weit schlimmer, als das Virus selbst.
Dabei versuchte die Regierung in beschränktem Umfang, die Bevölkerung und Unternehmen zu unterstützen. So reduzierte sie den Steuersatz, was allerdings nur denjenigen nutzt, die im formellen Sektor Geld verdienen. Auch der Mehrwertsteuersatz wurde um zwei Prozentpunkte gesenkt. Das alles, obwohl die kenianische Regierung wegen ihrer hohen Verschuldung schon vor der Krise kaum noch finanziellen Spielraum hatte. Jetzt kommen noch die Steuerausfälle und andere Einnahmeverluste hinzu. bru
»In unseren Medien hieß es, dass es nicht genug Beatmungsgeräte gibt«, erinnert sich Fidel, »und dass deshalb so viele Menschen starben.« In Kenia war zwar noch keine Infektion bekannt, aber Fidel war klar, dass das Virus früher oder später auch hier ankommen würde. Außerdem wusste er, dass es im ganzen Land zu diesem Zeitpunkt nur 500 Beatmungsgeräte gab, bei einer Bevölkerung von 50 Millionen. »Ich dachte: Wenn das neuartige Coronavirus nach Kenia kommt, wird das eine Katastrophe.«
Inzwischen hat sich die Lage deutlich verändert, auch wenn das von vielen vorhergesagte Desaster vorerst ausgeblieben ist. Ein Worst-Case-Szenario erwartete für Ende April 10 000 Tote im Zusammenhang mit Covid-19. Tatsächlich hat die kenianische Regierung bis 16. Juli erst 11 252 Infektionen gemeldet. An oder mit dem Coronavirus wurden bisher 209 Todesfälle bekannt. Allerdings steigen die Fallzahlen inzwischen stark an, die Regierung erwartet den Höhepunkt der Pandemie für frühestens September. Obwohl die Krankenhauskapazitäten ausgebaut wurden, stößt das Gesundheitssystem allmählich an seine Grenzen.
Langsam tritt also die Situation ein, die Fidel schon im Februar vorhersah. Damals ging er davon aus, dass Kenia aus den Industrieländern keine zusätzlichen Beatmungsgeräte bekommen würde. Stattdessen erließen etliche Länder Exportbeschränkungen, weil sie nicht genug für ihre eigenen Patienten hatten. Fidel beschloss deshalb, zu handeln. Er sammelte 15 Studierende aus verschiedenen Ingenieurwissenschaften, der Medizin und der Pharmakologie. Dann sprach er mit Maina Mambo, dem Dekan der Fakultät für Ingenieurwissenschaften und Technologie. Der gab grünes Licht, und die Studierenden legten los.
Bei der Entwicklung gab die 23-jährige Barbara Owino viele Impulse, sie studiert im letzten Semester Pflegewissenschaften. »Wir Mediziner werden die Geräte ja letztlich bei unseren Patienten einsetzen«, sagt sie. »Deshalb haben wir eine wichtige Aufgabe im Team, die meisten anderen sind schließlich Ingenieure.« Sie und die anderen Studierenden mit medizinischem Hintergrund achteten darauf, dass die fertigen Geräte den Patienten keinen Schaden zufügen würden. Beispielsweise stellten sie sicher, dass keine krebserregenden Materialien verwendet wurden. »Außerdem haben wir dafür gesorgt, dass Filter eingebaut werden, damit der Patient nur keimfreie Luft einatmet und auch die ausströmende Luft keine Krankheitserreger enthält.«
Mitte März meldete Kenia seine erste Corona-Infektion, die Universitäten wurden fast unmittelbar geschlossen. Aber die Studierenden ließen sich nicht so einfach nach Hause schicken, fühlten sich verantwortlich. »Wir haben an der Uni schon so viel gelernt. Die Gesellschaft braucht uns«, dachte Fidel. Er und sein Team bekamen eine Sondererlaubnis und durften bleiben, arbeiten seitdem in der fast leeren Universität, schlafen im ansonsten ziemlich verwaisten Studentenwohnheim. Ganz alleine sind sie allerdings nicht, auch andere Teams der Uni entwickeln Produkte, die helfen können, die Corona-Pandemie zu bekämpfen. Im Raum mit den 3D-Druckern sitzen Mitglieder verschiedener Teams manchmal nebeneinander.
An diesem Morgen überwacht Jeff Ayako aus Fidels Teams den Ausdruck von Verbindungsstücken für die Schläuche ihres Prototypen. Der 21-Jährige studiert erst seit einem Jahr Ingenieurwissenschaft und ist begeistert, schon Teil eines so wichtigen Projekts zu sein. »Ich finde das unglaublich aufregend«, sagt er. »Ich bin der Jüngste im Team und habe von den Älteren sehr viel gelernt.« Dass er, wie er selbst sagt, glücklich ist, merkt man ihm an.
Zwei Drucker weiter sitzt Simon Karuga Ndirangu. Er ist mit 28 Jahren deutlich älter und studiert schon im vierten Jahr angewandte Wissenschaften mit dem Schwerpunkt Biotechnologie. Simon hat Test-Kits entwickelt. Die Stäbchen, mit denen die Proben aus dem Mund-Rachenraum entnommen werden, kommen bei seiner Entwicklung aus dem Drucker. »Die Produktion wird pro Stück nur einen US-Dollar kosten«, sagt er. Das Beste sei aber, dass das Stück Vlies mit der Gewebeprobe nicht - wie bei bisherigen Kits - mit einer Schere abgeschnitten werden müsse. Sondern durch die besondere Konstruktion seines Stäbchens ohne weitere Hilfsmittel abgestreift werden könne. »Das vermindert die Gefahr, Proben durch die mehrfache Verwendung der gleichen Schere zu verunreinigen«, ist er überzeugt. Er stellt ebenfalls noch Prototypen her, in der Massenproduktion seien später 100 000 Stück am Tag möglich. Auch Simon ist stolz und hat den Eindruck, an etwas Wichtigem beteiligt zu sein. »Wir arbeiten hier Tag und Nacht«, sagt er. Und das ist vermutlich keine Übertreibung, weil sein Team mit mehreren Universitäten in den USA zusammen forscht.
Maina Mambo, der Dekan der Fakultät für Ingenieurwissenschaft und Technologie, schaut im Druckerraum vorbei. Er ist mit den Ergebnissen an seiner Fakultät sehr zufrieden, vor allem mit dem Prototypen des Beatmungsgerätes namens Tiba-Vent. »Unser Ziel war es, ein hochwertiges, kostengünstiges Beatmungsgerät zu produzieren. Und ich denke, dass wir dieses Ziel erreicht haben.« Nach seinen Angaben kostet das billigste Gerät, das auf der Intensivstation einsetzbar ist, in Kenia umgerechnet gut 22 000 Euro. »Unseres würde in der Herstellung knapp 6000 Euro kosten.« Zuzüglich einer Gewinnmarge, die vermutlich aufgeschlagen würde, könne es für umgerechnet 8000 Euro im Handel sein. »Pro Gerät würde Kenia also 14 000 Euro sparen.« Der günstige Preis ergibt sich auch daraus, dass fast alle Teile im Land hergestellt werden. Nur bestimmte Ventile müssten importiert werden, sagt Maina.
Mitte April stellte die Kenyatta-Universität ihren Prototyp offiziell vor. »Die Ärzte hier im Raum haben bestätigt, dass dieses Beatmungsgerät funktionsfähig ist«, lobte die Industrieministerin Betty Maina in ihrer vom Fernsehen übertragenen Rede. Dann aber geriet die Entwicklung ins Stocken, die Zulassungen zogen sich hin, die Massenproduktion konnte deshalb nicht beginnen. Das gilt auch für mehrere weitere Prototypen, die an kenianischen Universitäten entwickelt wurden.
»Aber jetzt liegen alle erforderlichen Zulassungen vor«, versichert Nicholas Kamidu Gikonyo. Der Pharmakologe leitet das Innovationszentrum an der Kenyatta-Universität, an dem das multidisziplinäre Team das Beatmungsgerät entwickelt. Die lange Wartezeit habe ihn nicht frustriert. »Es ist das erste Mal, dass in Kenia so ein Gerät entwickelt wurde. Deshalb gab es für die Zulassung keine Standards, auch die mussten erst geschaffen werden.« Um ganz sicher zu gehen, sollen einige Tiba-Vents im klinischen Einsatz getestet werden, obwohl die kenianische Regierung das laut Gikonyo nicht fordert. Der Pharmakologie-Professor hofft, dass die klinischen Tests in der kommenden Woche beginnen.
Fidel Makatia Omusilibwa ist stolz auf das Projekt der Studierenden, obwohl sich ihr Projekt letztlich viel länger hingezogen hat, als sie ursprünglich erwartet hätten. »Jemand hat mal gesagt, Not sei die Mutter der Erfindung«, erinnert er. »Wir Kenianer haben uns viele Jahre lang darauf verlassen, dass wir medizinische Geräte im Ausland kaufen können. Jetzt ist der richtige Zeitpunkt um danach zu fragen, was wir selbst tun können.« An ihren eigenen Universitäten lerne der wissenschaftliche Nachwuchs dafür genug, meint Fidel. »Das hat sich jetzt an unserem Projekt gezeigt: Was wir dafür wissen mussten, haben wir an der Universität gelernt.« Er hofft, dass ihr Projekt ein Wegbereiter ist, der auch anderen ein neues Selbstbewusstsein vermittelt. So könnte die Corona-Pandemie der Forschung in Kenia einen wichtigen Schub geben.
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