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Das Eigene, nur anders
Im Kino: Der Spielfilm »Schwarze Milch« weicht in der Mongolei dem Kitsch aus
Zynisch und ziegenverachtend, wird der Tierrechtsaktivismus finden, dem der Spielfilm »Schwarze Milch« aber vor Augen führt, dass es Kulturen gibt, die ohne Fleisch nicht denkbar sind, und das meint nicht den pathischen Verzehr in der Überflussgesellschaft. In der mongolischen Steppe kann nur leben, wer sich Ziegen hält, die aus dem dürren Gras für Menschen verwertbares Protein machen; und es ist ein interessanter Blick, den die junge Großstädterin Wessi gewährt, die zwar aus Deutschland kommt, aber mit ihrer Schwester in der Steppe aufgewachsen ist. Die Schwester hat ihr ganzes Leben in der Jurte verbracht, und Wessis Blick ist halb westlich, halb einheimisch; sie spricht die Sprache (die wir schönerweise auch zu hören bekommen), aber, wie die Schwester schimpft, nur schlecht, und wiewohl Wessi Jeans trägt und Lippenstift benutzt, verliebt sie sich in einen Einheimischen, der in der Fremde als Fremder gilt. Schon weil er im Sommer vegetarisch lebt.
Obwohl der Zuschauer vielleicht über den Punkt hinaus ist, bis zu dem man die Welt persönlich in Augenschein hat nehmen müssen, und obwohl er weiß, dass das manische Reisen das Bereiste zerstören hilft, stellt sich Fernweh ein. Denn was, Beispiel, in Neuseeland bloß konsumable Naturschönheit ist, von der man sich im gleichen Starbucks erholen wird wie zu Hause, ist in der Mongolei, mindestens abseits der Hauptstadt, jene unberührte Weite, die der Western noch kannte; dass Wessis Schwester Ossi heißt, ist mehr als eine bloße Albernheit. Die Kargheit der ewig winddurchwehten, aus Geröll und Gras bestehenden Landschaft und ein Leben zwar mit Handy, aber ohne Netflix, Tattoo und Kühlschrank sind bereits Schauwerte, und der Film tappt weder in die Folklore- noch in die Dokufalle, er berauscht sich nicht, noch feiert er Distanz. Das Fremde, lernen wir, ist das Eigene, nur anders, und wie Wessi auch sind wir plötzlich anderswo, ohne ganz fremd zu sein. Utopie, um Blochs Gassenhauer anzustimmen, ist ja das, was allen in die Kindheit scheint und wo noch niemand war, nämlich Heimat. Und die Liebe des zurückgekehrten Kindes Wessi zu dem alten Eigenbrötler (und Ziegenschlachter) Terbish setzt das schön ins Bild, samt Pointe, die zwar nicht verraten sei, aber bloß verrät, dass Utopie etwas Asymptotisches ist und es im menschlichen Verkehr nur eine überschaubare Zahl von Pointen gibt.
Die Schwestern Wessi und Ossi haben sich seit ihrer Kindheit nicht gesehen, sie sind sich nah und fremd zugleich, und gottlob ist der Fall der Mauer lange genug her, dass sich keine Assoziationen einstellen müssen. Wer es sich unbedingt übersetzen will, kann »Schwarze Milch« als Konflikt von Stadt und Land, von Metropole und Peripherie lesen, wenn nämlich Wessi, wie die Schwester findet, alles besser weiß und Ossi, findet Wessi, sich in der traditionellen, also männlichen mongolischen Gesellschaft kleiner macht, als sie sein müsste.
Wer findet, Kunst sei, dem Kitsch zu begegnen und ihm lächelnd auszuweichen, wird sich auch am (eventuell ganz unbewusst Celan zitierenden) Titel und dem von ihm annoncierten Yin-Yang-Motiv nicht stören, das die Autorin und Regisseurin Uisenma Borchu in Bilder übersetzt, die wissen, auf welch dünnem Eis sie sich bewegen. Deren letztes, das man schwer vergessen wird, macht »Schwarze Milch« zu einem Kino, das nur deshalb nicht groß genannt sei, weil es zu ironisch wäre, einem so weithin phrasenfreien Film mit dieser Superphrase zu kommen.
»Schwarze Milch«, Deutschland/Mongolei, 2019. Regie/Drehbuch: Uisenma Borchu. Mit Gunsmaa Tsogzol, Uisenma Borchu, Franz Rogowski, Terbish Demberel, Borchu Bawaa, Bayarsaikhan Renchinjugder. 91 Min.
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