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Wendehals berät Downing Street 10
Frühere linke Kader dienen heute dem britischen Staat
»Wer mit 20 Jahren kein Kommunist ist, hat kein Herz. Wer mit 40 noch Kommunist ist, hat keinen Verstand.« Mehreren historischen Persönlichkeiten wird diese geistreiche Bemerkung zugeschrieben, unter anderem dem französischen Staatsmann Georges Clemenceau und in ähnlicher Form dem früheren britischen Premier Winston Churchill. Wer nun tatsächlich der Urheber war, ist unklar und auch über den Erkenntniswert des Zitats ließe sich trefflich streiten. Doch kaum jemand dürfte sich so sehr daran orientiert haben wie Munira Mirza und eine ganze Clique britischer ehemaliger Linksradikaler, die heute als einflussreiche Berater Premierminister Boris Johnson oder dem Führer der rechten Brexit-Partei, Nigel Farage, dienen.
Aus Anlass des Internationalen Frauentags am 8. März fragte das Magazin »Grazia« Johnson danach, welche Frauen ihn am meisten beeinflusst hätten. Neben der einst gegen die römische Besetzung Britanniens kämpfenden Kriegerin Boudicca nannte er die Kinderrechtsaktivistin Malala Yousafzai, die Musikerin Kate Bush, seine Großmutter - und Munira Mirza.
Während Johnsons Zeit als Londoner Bürgermeister (2008 bis 2016) war Mirza für Kunst, Kultur und Kreativwirtschaft in der Hauptstadt zuständig. Seit er Premierminister ist, arbeitet sie als eine seiner engsten Beraterinnen an dessen Amtssitz Downing Street 10. Angesichts der Black-Lives-Matter-Bewegung setzte Johnson Ende Juni eine Kommission zu Rassismus und ethnischen Ungleichheiten ein - mit Mirza an der Spitze.
Von Aktivisten und Abgeordneten der Labour-Partei hagelte es Proteste. Denn in der Vergangenheit hatte Mirza die Existenz von institutionellem Rassismus glatt geleugnet. 2017 behauptete sie in der konservativen Zeitschrift »Spectator«, dass der »Antirassismus eine ideologische Waffe« sei, und stempelte ihn zur »Beschwerdekultur« ab.
Mirza wurde 1978 geboren und studierte am Mansfield College in Oxford, wie ein paar Jahre zuvor auch Johnson. Anders als dieser war Mirza früher keine Konservative. Sie schloss sich damals der trotzkistischen Revolutionären Kommunistischen Partei RCP an und wirkte am Magazin »Living Marxism« mit. Dessen Nachfolger, das Onlinemagazin »sp!ked«, ist heute ein neokonservatives Sprachrohr. Die RCP entstand 1978 aus den International Socialists, derselben Organisation, die später auch die deutschen Gruppen Linksruck und Marx21 hervorbrachte. Der Historiker Evan Smith erläutert: »In den 1980ern stach die RCP aus der britischen Linken heraus, da sie Argentinien im Falklandkrieg und die IRA in Nordirland unterstützte. Die RCP hatte große Skepsis gegenüber dem Staat und begann, libertäre Ideen mit revolutionärem Leninismus zu verbinden.«
Zu den Ex-Linksradikalen aus Mirzas Gruppe, die heute die Politik der konservativen Tories oder der nationalistischen Brexit-Partei beeinflussen, zählen unter anderen der Politikwissenschaftler Frank Furedi, der einst den »Wiederaufbau der 4. Internationale« propagierte, und der »Guardian«-Kolumnist Kenan Malik. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion warfen Furedi & Co. den Klassenkampf über Bord. Smith schätzt ein: »Als revolutionäres Subjekt existiert für sie die Arbeiterklasse nicht mehr, sie dient aber als Gegenpol zu einer liberalen ›Elite‹ aus der Mittelschicht.« So sieht »sp!ked« auch den Brexit als Revolte der Arbeiterklasse gegen die Elite. Bei den Europawahlen 2019 kandidierten drei »sp!ked«-Köpfe für die Brexit-Partei, darunter Claire Fox, die Gründerin der Denkfabrik Institute for Ideas, die bis Ende Januar EU-Abgeordnete war.
»Sp!ked« verpackt rechte, libertäre Ideologie in post-marxistische Phrasen. Die Rhetorik gleicht jener der neokonservativen Republikaner in den USA. Kein Zufall. Viel Geld erhält das Magazin vom dortigen Institute for Humane Studies der milliardenschweren Koch-Unternehmerdynastie, die auch als wichtige Trump-Unterstützer bekannt sind.
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