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Die Rente könnte sicher sein
Das Volkseinkommen pro Kopf steigt - warum bleibt die Alterssicherung wackelig?
Kommt die Grundrente und wer erhält sie? Mehr als zwei Jahre ist über dieses eher kleine Projekt diskutiert worden, bis der Bundestag Anfang Juli endlich eine Grundrente beschloss. Noch länger wird darüber gestritten, wie die Renten generell bezahlbar bleiben. Die Zahl der Rentner steigt, die der Beitragszahler sinkt. Steht im 21. Jahrhundert der »Generationenvertrag« - die solidarische Umlagefinanzierung der Renten - vor dem Aus? Bleiben nur die private Vorsorge, die Senkung des Rentenniveaus, Beitragserhöhungen und eine Verlängerung der Lebensarbeitszeit?
Allen Unkenrufen zum Trotz sind diese Fragen zu verneinen. Die umlagefinanzierte Altersrente hat sich bewährt. Um sie als tragende Säule der Alterssicherung zukunftsfest zu machen, bedarf es einer Verbesserung des Systems und staatlicher Zuschüsse. Die von neoliberalen Ökonomen und arbeitgebernahen Institutionen geforderte private, kapitalgedeckte Altersvorsorge ist keine Alternative, allenfalls eine Ergänzung für die Besserverdienenden. Die Armen können kein Vermögen anhäufen, schon gar nicht in einem Umfang, der erforderlich wäre, der Armut im Alter zu entgehen. Es kommt stattdessen darauf an, das System der gesetzlichen Altersrente so zu verbessern, dass es den Lebensbedarf im Ruhestand für alle deckt.
Wie ist das möglich? Jeglicher Sozialaufwand wird stets aus dem Volkseinkommen gedeckt - vereinfacht gesagt aus der Summe aus Löhnen und Gewinnen - der laufenden Periode. Und wenn eine steigende Produktivität das Volkseinkommen wachsen lässt, dann gibt es nicht weniger, sondern mehr zu verteilen. Von 1970 bis 1990 hat sich das Volkseinkommen je Erwerbstätigen im früheren Bundesgebiet verdreifacht. Von 1991 bis 2019 stieg es in Deutschland immerhin um 79 Prozent. Das Volkseinkommen pro Kopf der Bevölkerung erhöhte sich sogar auf das Doppelte, von 15 330 Euro 1991 auf 30 862 Euro im vergangenen Jahr. Der Anteil der Rentenzahlungen in Prozent des Volkseinkommens geht in den letzten Jahren leicht zurück. Das zeigt, dass weder das Rentenniveau gesenkt, noch das Rentenalter hochgesetzt werden müssen. Es kommt nicht darauf an, wie sich die Relation zwischen Erwerbstätigen zu Nichterwerbstätigen, sondern das Verhältnis des verteilbaren Reichtums einer Gesellschaft zur Anzahl ihrer Mitglieder ändert. Und diese Zahl - das Volkseinkommen pro Einwohner - steigt.
Höhere Löhne, höhere Renten
Es gibt also kein Problem das steigende Rentenaufkommen zu finanzieren, sondern ein Verteilungsproblem. Der entscheidende Konflikt ist nicht der zwischen Alt und Jung, sondern, sondern der zwischen Arm und Reich. Was aufgrund der wachsenden finanziellen und wirtschaftlichen Kraft so leicht erscheint - die Umverteilung -, ist allerdings schwer. Denn die Verteilung ist ein Spiegelbild der Produktions- und Machtverhältnisse. Wer erstere korrigieren will, muss letztere ändern. Vor dieser Konsequenz schrecken selbst glänzende Analytiker zurück: Auch der Franzose Thomas Piketty betont »nicht im Namen der Arbeitnehmer gegen die Besitzenden zu Felde ziehen zu wollen«.
Doch auch ohne rigorose Eingriffe in das System sind Chancen da: Das Beitragsaufkommen der Rentenkassen könnte steigen, wenn die Unternehmer mehr Arbeitskräfte einstellten, wenn alle die Tarifvereinbarungen akzeptierten und die niedrigeren Löhne im Osten den höheren im Westen angeglichen würden. In Westdeutschland arbeitet etwa die Hälfte der Beschäftigten in einem Betrieb, der einem Branchentarifvertrag unterliegt, im Osten nur 37 Prozent. Hüben wie drüben hält der Abwärtstrend in der tarifvertraglichen Bindung der Beschäftigten an. Der Staat könnte einiges tun, um die Lage zu entspannen: Er könnte die Erhöhung der Geburten fördern, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf stärken, Niedriglöhne abschaffen, die Mindestlöhne auf 12 Euro je Stunde erhöhen, die Teilbeschäftigung, sozialversicherungsfreie und Minijobs einschränken, die Zuwanderung von Arbeitskräften erleichtern, er könnte weitere vermögende Bevölkerungsgruppen - zum Beispiel Beamte, Politiker, Parlamentarier, Freiberufler - und außer Lohn und Gehalt auch andere Einkommen in die gesetzliche Rentenversicherung einbeziehen oder die Beitragsbemessungsgrenze an- oder aufheben.
Skepsis bleibt, ob auf diese Weise die sozialverträgliche Lösung der »Rentenfrage« gelingen kann. Letztlich gehen die Vorschläge davon aus, dass das Potenzial für Wachstum vorhanden ist. In gesättigten und alternden Gesellschaften wächst die Nachfrage nach Waren aber nicht stark genug, um in nennenswertem Umfang neue Arbeitsplätze zu schaffen. Wäre das überhaupt wünschenswert? Ressourcenverbrauch, Umweltschäden und Klimawandel markieren Grenzen des Wachstums.
Gerechte Besteuerung
Doch auch ohne hohe Wachstumsraten wäre es möglich, das umlagefinanzierte Rentensystem zu erhalten und durch eine steuergestützte Finanzierung zu ergänzen. Die Entwicklung der Renten sollte an die der Produktivität und der Preise - oder an die des Volkseinkommens - gekoppelt werden. Zuschüsse aus dem Staatshaushalt gleichen die Differenz zwischen dem Aufkommen an Beiträgen und dem Auszahlungsbedarf aus. Geld vom Staat fließt seit Jahren in die Rentenkasse, 2019 waren es etwa 72 Milliarden Euro oder 22 Prozent der Einnahmen der Rentenversicherung. Das ist viel, aber es ist weniger, als aus der Rentenkasse für versicherungsfremde Zwecke abgezweigt wird, etwa für Familienausgleich, Waisenrenten, Integration von Vertriebenen und Aussiedlern und anderem mehr. Nach Angaben der »Aktion demokratische Gemeinschaft« waren die Bundeszuschüsse an die Rentenkasse in der Vergangenheit viel niedriger als die versicherungsfremden Leistungen, die aus der Rentenkasse bezahlt wurden. Die Differenz habe sich zwischen 1957 und 2019 auf rund 869,7 Milliarden Euro summiert, so der Verein, der sich auf Schätzungen der Deutschen Rentenversicherung beruft.
Die Finanzierung der Rente aus Versicherungsbeiträgen und Steuermitteln ist sinnvoll, wenn sie mit einer steigenden Steuergerechtigkeit verknüpft wird. Der Fiskus darf den Arbeitenden in Form höherer Abgaben nicht nehmen, was die Rentenkasse den Jüngeren durch den Verzicht auf steigende Versicherungsbeiträge belässt. Und die Zuschüsse aus dem Bundeshaushalt dürfen nicht nur die versicherungsfremden Leistungen der Rentenkasse ausgleichen. Ruheständlern aus dem Staatssäckel zu helfen, ist kein Almosen, sondern recht und billig. Schließlich haben sie ein Leben lang in dieses eingezahlt.
Für anderes ist schließlich auch genügend Geld da. Um die Corona-Pandemie zu bekämpfen und ihre negativen Wirkungen auf die Wirtschaft zu lindern, zauberte der deutsche Staat 156 Milliarden Euro aus dem Hut. Auch die EU hat soeben ein Hilfspaket in Höhe von 750 Milliarden Euro beschlossen. Mehr ist vorgesehen, von über einer Billion bis 2027 ist die Rede, um die Krise und ihre Folgen zu überwinden. Schuldenmachen spielt plötzlich keine Rolle mehr.
Und wie lange soll der Bevölkerung zugemutet werden, dass ihre Steuern verschwendet, für Kriegseinsätze verpulvert, für die Rettung spekulierender Banken eingesetzt und als Subventionen an reiche Unternehmen fließen, woraus diese die Produktion von Überschüssen finanzieren? Warum auf US-Präsident Donald Trump hören und zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Rüstung und Militär ausgeben? In Deutschland wären das jährlich etwa 70 Milliarden Euro. Ein Bruchteil davon wäre wegen fehlender Bedrohung noch immer mehr als genug.
Nicht nur Ausgabenkürzungen an der richtigen Stelle sind möglich. Auch zusätzliche Einnahmequellen gibt es: den Spitzen- und Körperschaftsteuersatz anheben, hohe Vermögen und Finanztransaktionen besteuern, Steuerflucht unterbinden, Erbschafts- und Schenkungssteuer reformieren, die kommunale Gewerbesteuer zu einer Gemeindewirtschaftssteuer ausbauen. Eine einmalige Vermögensabgabe mit einer Laufzeit von zehn Jahren bei den Reichen erhoben, könnte 300 Milliarden Euro in die Kasse bringen. Die Ökonomen der Arbeitsgruppe »Alternative Wirtschaftspolitik« schlagen vor, die 1997 ausgesetzte Vermögensteuer dauerhaft zu reaktivieren. Bei einem Steuersatz von einem Prozent brächte sie Einnahmen von 20 Milliarden Euro.
Der Sozialstaat ist finanziell stark genug, ein Rentensystem zu schaffen, dass es den Alten nach einem arbeitsreichen Leben ermöglicht, spätestens ab dem 65. Jahr ein sorgenfreies und menschenwürdiges Dasein zu führen. Forderungen, die Lebensarbeitszeit zu verlängern und die Renten zu senken, sind wirtschaftlich unbegründet und inhuman. Und selbstverständlich ist das, was man Grundrente nennt – ein Zuschlag für kleine Renten – mühelos finanzierbar. Man muss es nur wollen. Ökonomen, die das anders sehen, kann man, frei nach Theodor W. Adorno, allenfalls zugute halten, dass sie keine Lüge aussprechen können, ohne sie selbst zu glauben.
Klaus Müller ist Autor mehrerer Bücher über Probleme der theoretischen Ökonomie. Zuletzt erschien unter anderem: »Auf Abwegen. Von der Kunst der Ökonomen, sich selbst zu täuschen«. Sein neues Buch »Das Geld im 21. Jahrhundert«, gemeinsam verfasst mit Stephan Krüger, erscheint im Oktober.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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