Propagandaschlacht mit Russland
Vor den belarussischen Präsidentschaftswahlen geht Amtsinhaber Lukaschenko auf Distanz zum Verbündeten
Vor den Präsidentschaftswahlen in Belarus am 9. August, die wohl zur schwierigsten Herausforderung des seit 1994 regierenden Präsidenten Alexander Lukaschenko werden, wird es immer heißer. Am Samstag hat die belarussische Staatsanwaltschaft eine »vorbeugende Maßnahme« für 33 vermutliche Mitglieder der russischen privaten Sicherheitsfirma Wagner verhängt. Die Söldner, die am Mittwoch wegen vermeintlicher Destabilisierungspläne in einem Sanatorium neben Minsk festgenommen wurden, müssen nun vorerst in U-Haft.
Die Geschichte klingt absurd. Denn auch wenn die Bilder der festgenommenen Russen auf allen belarussischen Kanälen liefen, stehen konkrete Beweise für die Anschuldigungen aus. Der Chef des Ermittlungskomitees präsentierte nun eine wenig überzeugende Erklärung. Die Söldnertruppe hätte laut Iwan Noskewitsch genügend Zeit gehabt, um nach ihrer Ankunft in Belarus die Weiterreise in die Türkei anzutreten. Ein Teil der Gruppe soll in einem im Voraus gebuchten Minsker Hotel gewohnt und dann gegenüber der Rezeption gesagt haben, dass sie nun zum Flughafen fahren, obwohl sie in ein Sanatorium umzogen sind, wo sich die übrigen Söldner befanden.
Dass die Wagner-Einheit unbemerkt in Belarus bleiben wollte, ist fraglich. Denn ironischerweise ist das Sanatorium einer Behörde zugeordnet, deren Chef das Wahlteam von Lukaschenko anführt. Das Ermittlungskomitee hat außerdem nach eigenen Angaben die Mobiltelefone der Söldner ausgewertet und dadurch herausgefunden, dass sie angeblich weitere Gruppen aus Russland erwarteten. Dazu kommt, dass die festgenommen Russen unterschiedliche Angaben über den Zielort ihrer Weiterreise gemacht haben sollen. Dennoch scheint die Beweislage dünn und es ist davon auszugehen, dass die Söldner Belarus als Transitland nutzen wollten.
Eine weitere, unwahrscheinlich klingende Theorie liefert der russische Militärkanal WarGonzo: Demnach hätte China die Festnahme der Russen, die über Belarus nach Venezuela fliegen wollten, beauftragt, um die logistische Kette der »Söldnerlieferungen« in die Region zu unterbrechen.
Lukaschenko, der zuerst die Anschuldigungen eines geplanten Destabilisierungsaktes befeuerte, ruderte dann doch etwas zurück: »Die Jungs sind natürlich schuldig, aber man müsste nicht unbedingt harte Maßnahmen gegen sie ergreifen. Das sind doch Söldner, sie kriegen einen Befehl und führen diesen aus.« Trotzdem hat Belarus die Kontrolle an der Grenze zu Russland verstärkt und erörtert mit der Ukraine, ob ein Teil der Söldner im Donbass kämpfte.
Es ist ein weiteres Kapitel in der Propagandaschlacht zwischen Minsk und Moskau, die nach dem Verzicht von Belarus, die Integration im Rahmen des Unionsstaates zu vertiefen, schon länger anhält. Und obwohl einige Oppositionskandidaten, die sich nun um die zur Wahl zugelassenen Swetlana Tichanowskaja vereint haben, Verbindungen zu Russland haben, ist die Agenda der Hauptgegnerin Lukaschenkos nicht besonders russlandfreundlich. Tichanowskaja fordert den Austritt aus dem Unionsstaat sowie weniger Wirtschaftsbeziehungen mit dem großen Nachbarn. Bei dieser Ausgangslage könnte Lukaschenko eventuell von der Konfrontation mit Russland profitieren.
Obwohl sein Wahlsieg am Sonntag nur von wenigen angezweifelt wird, wuchsen Pro-Tichanowskaja-Demonstrationen zuletzt enorm. Nicht nur hat die Frau des inhaftierten Bloggers Sergej Tichanowskij, der von den Ermittlungsbehörden bereits mit den vermeintlichen Wagner-Söldnern in Verbindung gebracht wurde, am 30. Juli nach Angaben der Menschenrechtsorganisation Wiasna mehr als 60 000 Menschen in Minsk versammelt. Auch in anderen Städten wie in Brest demonstrierten am Wochenende rund 15 000 Menschen. Spannend ist in Belarus also weniger das Wahlergebnis, sondern die Zeit danach. Denn auf der Straße wird die Opposition tatsächlich stärker.
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