Corona-Allianz hält noch in Argentinien
Politisch werden die Einschränkungen von links bis rechts mitgetragen, die Bevölkerung murrt lauter
Am Montag war der 170. Todestag von Argentiniens großem Befreier José de San Martín. Und es war der 151. Tag der Quarantäne wegen der Corona-Pandemie. Tausende waren landesweit auf die Straßen gegangen, um für Freiheit und Demokratie und gegen die gemäßigt-linke Regierung von Präsident Alberto Fernández zu demonstrieren. Sie kritisieren vor allem die Einschränkungen durch die Quarantäne und deren wirtschaftlichen und sozialen Folgen.
Der ehemals 80-prozentige Rückhalt für Präsident Alberto Fernández und seine Maßnahmen ist geschrumpft. Dabei konnte der Präsident jetzt erstmals ein Ende der Einschränkungen skizzieren. Gemeinsam mit Mexiko werde Argentinien mit der Produktion eines Impfstoffes beginnen, mit dem vor allem Lateinamerika versorgt werden soll, hatte Fernández vergangene Woche angekündigt. Dabei handelt es sich um den Impfstoff, der von der Universität Oxford und dem Pharmaunternehmen AstraZeneca entwickelt wird. Von diesem Impfstoff sollen in Argentinien nach der Zulassung monatlich 23 Millionen Dosen produziert werden, deren Einzelpreis zwischen drei und vier Dollar liegen soll.
Mit aktuell knapp 300 000 Infizierten und 5703 Todesfällen schneidet Argentinien im regionalen Vergleich gut ab. »Die am 20. März verhängte Quarantäne hat uns einen ruhigen März und April beschert«, sagte der Mediziner Luis Cámera, der dem Beraterstab des Präsidenten angehört. »Aber als das Virus im Mai die Armenviertel erreichte, hat es sich mit einer Geschwindigkeit ausgebreitet, die uns alle überrascht hat.« Dort leben viele Familien auf engstem Raum und teilen sich eine Küche und ein Badezimmer.
»Zum Glück leben dort aber junge Bevölkerungsschichten, vor allem zwischen 25 und 40 Jahre«, so Luis Cámera. Deshalb würden die Infektionen weniger letal verlaufen, was aber kein Trost sei, denn die Alternden würden bereits an den ersten ernsten Erkrankungen sterben. Und die Infizierten würden mit ihren leichten Krankheitserscheinungen zu keinem Arzt gehen. »Statt auf die Patienten zu warten, mussten wir hingehen und die Infizierten suchen. Dieser Lernprozess hat bei uns etwas gedauert«, räumte Cámera selbstkritisch ein.
Vergangenen Freitag hatte Präsident Fernández die Quarantäne bis zum 30. August verlängert. Und wie seit deren Beginn tat es dies vor laufender Kamera und verdeutlichte mit Grafiken und Statistiken die Situation und leitete daraus die erlassenen Maßnahmen ab. Diesmal habe sich das Virus durch die Lockerungen beim Transportwesen und dem Individualverkehr vom Zentrum in nahezu alle Landesteile ausbreiten können, so Fernández. Die Hauptstadt und ihr Großraum seien nicht mehr die alleinigen Hotspots.
Noch droht kein Kollaps des Gesundheitssystems, außer in den nördlichen Provinzen Salta und Jujuy. Dort hatte sich das Virus in den vergangenen Tagen rasant verbreitet, eingeschleppt vor allem über die Schmuggelrouten aus Bolivien. Und obwohl die Zahl der täglich gemeldeten Neuinfizierten so hoch wie nie zuvor ist, blieb Fernández bei den schon zuvor erlassenen Lockerungen. Ein Großteil der Bevölkerung hatte sich schlicht nicht mehr an die strikten Vorgaben der Regierung gehalten. Geschlossen oder stark eingeschränkt bleiben die Bereiche, wo es die Regierung auch durchsetzen kann: Universitäten, Schulen, Fernbus- und Flugverkehr, Sportstätten und Fitnesscenter sowie jegliche Großevents mit Publikum.
Auch vergangenen Freitag wurde der Präsident wieder flankiert vom konservativen Hauptstadtbürgermeister Horacio Rodríguez Larreta und dem linken Gouverneur der Provinz Buenos Aires, Axel Kicillof. Die beiden sind nicht nur zuständig für die Área Metropolitana, in der 16 Millionen der 45 Millionen Argentinier leben. Sie zeigen auch, dass in Sachen Corona eine überparteiliche Allianz besteht. Er werde sich am Montag an keinerlei Protestaktion beteiligen, erklärte Horacio Rodríguez Larreta.
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