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Brauchen Kinder Bärchenwurst?
Wie sich der Proteinbedarf ab dem ersten Lebensjahr sinnvoll und gesundheitsfördernd decken lässt
Der geschiedene junge Vater freut sich darauf, am Wochenende sein Kind zu sehen. Aus diesem Anlass kauft er beim Metzger frischen Aufschnitt. Von der niedlichen Bärchenwurst lässt er sich eine große Portion aufschneiden.
Wer freut sich nicht an den Wurstscheiben mit Bärchen-, Traktor- oder Dinosaurier-Motiv? Aber brauchen kleine Kinder so etwas? Oder sind diese Wurstsorten aufgrund der eingesetzten Stabilisatoren besonders schädlich? Bei diesen Zusatzstoffen handelt es sich meist um Diphosphate, die bei erhöhter Aufnahme Gefäßwände schädigen und das Osteoporoserisiko steigen lassen können.
Auch der Supermarkt lockt mit zahlreichen, vermeintlich gesunden Kinderlebensmitteln. Da winken Milchprodukte mit zugesetztem Phosphat oder mit süßen, bunten Knusperkügelchen, Kinderschokolade mit einer Extraportion Milchpulver aus überschüssiger Erzeugung von Hochleistungskühe oder phosphathaltige Bratwürstchen.
Phosphorsäure und Phosphate werden häufig in der Lebensmittelproduktion, etwa als Säuerungsmittel, Emulgator, Stabilisator oder als Schmelzsalz in Schmelzkäse eingesetzt. Als zugelassene Zusatzstoffe findet man sie leider auch in zahlreichen Kinderlebensmitteln wie Keksen, Kuchen, Wurstwaren, Milchprodukten oder Backmischungen.
Besonders bei Kleinkindern kann es aufgrund des noch geringen Körpergewichts in Relation zur Essensmenge leicht passieren, dass die akzeptierbare tägliche Aufnahme von Phosphaten überschritten wird. So wurde in einer Expositionsberechnung der Europäischen Lebensmittelsicherheitsbehörde gezeigt, dass Säuglinge, Kleinkinder und Kinder bereits bei einem mittleren Verzehr der entsprechenden phosphathaltigen Produkte diesen Wert überschreiten. Das hat zur Folge, dass der Kalziumhaushalt und damit die Knochenbildung sowie die Nieren und das Nervensystem beeinträchtigt werden. Auch wenn ein direkter Beweis für das Entstehen von ADHS bei Kindern aufgrund erhöhter Phosphataufnahme bisher noch nicht erbracht wurde, so weiß man längst, dass bei psychischen Störungen auch die Kalziumkanäle zur Signalweiterleitung zwischen den Hirnnerven beteiligt sind. Kalzium und Phosphor verhalten sich als Antagonisten.
Aber die lebensmitteltechnologisch »nütz᠆lichen« Phosphate sind nicht das einzige Problem. Das Forschungsinstitut für Kinderernährung Dortmund (FKE) fand in der »DONALD«-Langzeitstudie heraus, dass die Mehrzahl der Kleinkinder in Deutschland generell zu viel Eiweiß zu sich nimmt. Die Kombination von übermäßig viel Protein tierischer Herkunft mit einer erhöhten Menge an Zucker begünstigt ein allzu schnelles, übermäßiges Längenwachstum, was vor allem das Herz und das Knochensystem belastet und später zu Fettleibigkeit führen kann. Seit einem Jahrhundert beobachtet man, dass die nachfolgenden Generationen jeweils um einige Zentimeter größer werden. Zudem treten die Kinder viel früher in die Pubertät ein.
Die Weichen für das Größenwachstum werden vor allem in zwei Lebensphasen geprägt: während der Schwangerschaft sowie zwischen dem ersten und zweiten Geburtstag des Kindes. Auch zu viel Kuhmilch kann kleinen Kindern schaden. Maximal ein Drittel Liter Kuhmilch pro Tag empfiehlt das FKE für Zweijährige. Einerseits kann Kuhmilch zu übermäßiger Insulinausschüttung und später zur Insulinresistenz führen, andererseits werden bestimmte Wachstumshormone stimuliert.
In letzter Zeit mehren sich auch andere Extreme: vegan lebende Mütter, die auch ihre Kinder strikt vegan ernähren wollen. Der Vegetarierbund Deutschland schätzt, dass sich etwa zehn Prozent der Bevölkerung vegetarisch ernährt und ein Prozent vegan. Aber ist diese Ernährung für Babys und Kleinkinder empfehlenswert? Hier besteht vor allem das schwerwiegende Risiko eines Mangels an Vitamin B12. »Ohne konsequente Supplementierung führt vegane Ernährung über einen längeren Zeitraum regelmäßig zu einem Mangel an Vitamin B12«, heißt es in einer Stellungnahme der Ernährungskommission der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin.
Entscheiden sich junge Erwachsene komplett gegen tierische Lebensmittel, macht sich ein solcher Mangel meist erst nach sieben Jahren bemerkbar, weil der Körper lange von seinem Vitaminspeicher zehren kann. Dieses B-Vitamin kommt zwar auch in sehr geringen Mengen in Sauerkraut, Pilzen und Sanddornbeeren vor, jedoch lässt sich langfristig der Bedarf nicht damit decken.
Besonders Babys und Kleinkinder haben noch keine nennenswerten Mengen an Vitamin B12 gespeichert. Gedeihstörungen, Blutarmut und neurologische Probleme treten dann bereits nach kurzer Zeit auf. »Bei veganer Ernährung während der Schwangerschaft ohne ergänzende Vitamin-B12-Therapie wurden neurologisch schwer kranke Neugeborene beobachtet«, warnt Hans-Jürgen Nentwich, Kinder- und Jugendarzt sowie Mitglied des wissenschaftlichen Beirats beim Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte.
Vegetarisches Essen mit gelegentlichem Verzehr von Bio-Milch, Bio-Eiern und Fisch genügt für eine ausreichende Versorgung mit Proteinen und Vitamin B12. Lediglich die Verwertung von Eisen aus Getreide und Gemüse reicht unter Umständen nicht aus. Bedenken sollte man auch, dass Fleisch nicht nur Eisen, sondern auch Spurenelemente wie Zink, Kupfer und Molybdän enthält. Wildkräuter wie das bekannte Gartenunkraut Giersch - in einen fruchtigen Smoothie gemixt - können alternativ zur Versorgung mit Eisen, Kupfer und Mangan beitragen.
Für Kleinkinder von ein bis drei Jahren genügen kleine Portionen von 30 Gramm Fleisch etwa ein bis dreimal pro Woche. Lebensmittel von Tieren, die in ökologischer Haltung aufwachsen und artgerecht leben, haben dabei den Vorteil, dass die meisten kritischen Zusatzstoffe nicht erlaubt sind.
Aber brauchen Kinder nun »Bärchenwurst«? Um das Kind zu erfreuen, kann man stattdessen fröhliche Bilder aus verschiedenen Gemüsestückchen auf dem Brotbelag dekorieren. Soll es auch mal »Scheibenwurst« oder Aufschnitt sein, ist z.B. ein Bio-Schweinebraten (Kalter Braten) geeignet, der ohne Nitritpökelsalz und Phosphat auskommt. Etliche Supermärkte und Discounter bieten bereits eine gewisse Auswahl an Bio-Wurst an. Manche Bioläden betreiben auch eine Bio-Frischfleisch-Theke. Am besten ist es, einmal pro Woche frisches, ungepökeltes Fleisch selbst zuzubereiten. Im kühleren Herbst kann mit Bio-Hackfleisch recht preisgünstig gekocht werden, etwa eine leckere Sauce Bolognese, gefüllte Paprikaschoten oder Königsberger Klopse - Gerichte, die kleine Kinder meist gerne essen.
Im Hochsommer darf es öfter ein Biojoghurt oder Lupinenghurt mit frischen Beeren oder Pfirsichen sein. Für das schnelle Abendbrot sind vegetarische Aufstriche aus Gemüse, kombiniert mit fein zerkleinerten Sonnenblumenkernen oder Champignons, Lupine oder anderen Hülsenfrüchten empfehlenswert. Im Sinne der Gehirnentwicklung sollte auf mehrfach ungesättigte Fettsäuren geachtet werden, zum Beispiel aus Lein-, Raps- oder Hanföl, Mandelmus und Fisch. Walnüsse sind ebenfalls reich an mehrfach ungesättigten Fettsäuren, aber kleine Kinder können sich daran verschlucken. Bio-Milch aus Weidehaltung enthält meist mehr gesundheitsförderliche Omega-3-Fettsäuren als Milch aus konventioneller Stallhaltung.
Um den Proteinbedarf von Kleinkindern zu decken, muss nicht zwangsläufig an jedem Tag ein tierisches Lebensmittel auf den Teller kommen. Ab dem zehnten Monat können kleine Portionen weich gekochter Linsen eine Fleischmahlzeit ersetzen.
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