Werbung

Die Verdammten des Torre de David

JJ Amaworo Wilson erzählt in »Damnificados« märchenhaft von den Hausbesetzungsbewegungen des Globalen Süden

  • Florian Schmid
  • Lesedauer: 3 Min.

Im Zuge von Immobilien- und Finanzkrise nahm die Zahl der Hausbesetzungen weltweit in den letzten Jahren zu. So gibt es beispielsweise in Barcelona derzeit mehr als 1000 besetzte Wohnungen. Auch im Globalen Süden eignen sich ökonomisch prekarisierte Menschen immer häufiger Gebäude einfach an. Eine der größten Hausbesetzungen dieser Art gab es 2007 im venezolanischen Caracas, wo mehr als 2000 Menschen in eine im Zentrum gelegene 45-stöckige Bauruine namens Torre de David einzogen, Wohnungen instandsetzten, aber auch Cafés, Werkstätten und kleine Läden eröffneten.

Der Torre de David, ursprünglich als Finanzzentrum geplant, bis der Investor Mitte der 90er verstarb, das Gebäude daraufhin verstaatlicht und nie fertiggestellt wurde, verwandelte sich in einen selbstverwalteten urbanen Mikrokosmos, der auch medial Aufmerksamkeit erregte - und nun als Vorlage für den Roman »Damnificados« dient. Der Autor, JJ Amaworo Wilson, Sohn einer Nigerianerin und eines Briten, in Deutschland geboren und in Großbritannien aufgewachsen, lebte unter anderem in Ägypten, Südafrika, Italien, Kolumbien und in den USA.

»Damnificados«, auf Deutsch Verdammte, wurden in Caracas die Bewohner des Torre de David genannt. Wobei Amaworo Wilsons Roman mit dem 2014 geräumten und vor kurzem durch ein Erdbeben schwer beschädigtes Gebäude und den aktuellen Verhältnissen in Venezuela nichts zu tun hat. Der Roman ist vielmehr in einer fiktiven Metropole namens Favelada angesiedelt. Amaworo Wilson entwirft auf gut dreihundert Seiten ein rasantes erzählerisches Panorama subalterner Figuren, die gegen die widrigen Umstände ihres Lebens ankämpfen und mit der Turmbesetzung endlich Handlungsmacht erlangen.

Dabei stoßen sie auf zahlreiche Widerstände, manche davon muten sogar fantastisch an. Da sind zweiköpfige Wolfshunde, riesige Krokodile und Libellenschwärme tauchen plötzlich auf, Überschwemmungen suchen die Metropole heim und regelmäßig rücken brutale Todesschwadronen an, die den Turm räumen wollen. Aber egal, was den Verdammten in die Quere kommt, ebenso listig wie hingebungsvoll gelingt es ihnen, ihr besetztes Territorium immer wieder zu verteidigen. Im Zentrum der Erzählung steht Nacho, der auf Krücken durch das urbane Niemandsland humpelt, ein ehemaliges Waisenkind, das eine kleine Schule im Turm unterhält und den Kindern der Nachbarschaft Lesen und Schreiben beibringt. Zusammen mit seinem Bruder und dessen Freundin, die einen Friseursalon im Turm betreibt, und einigen anderen bildet er den harten Kern der Verdammten, von denen die meisten jeden Tag betteln gehen.

Amaworo Wilson erzählt von diesem städtischen Subproletariat im Stil eines Comics und entwirft dabei mitunter wuchtige grelle Bilder eines Biotops, das aber manchmal auch fast schon ein bisschen zu beliebig zusammengewürfelt ist.

Der kosmopolitische, weit gereiste und sprachversierte Amaworo Wilson, derzeit in New Mexico zu Hause, hat bereits zahlreiche Bücher über Spracherwerb veröffentlicht, »Damnificados« (im englischen Original 2014 erschienen) ist sein Debütroman. In seinem globalisierten, stellenweise fantastischen literarischen Kosmos kommen ebenso religiöse Waschungen im Fluss, aber auch Karnevalsumzüge vor. Es gibt darin riesige Zonen urbanen Brachlandes mit improvisierten und heruntergekommenen Siedlungen, zwischen denen Müllkriege ausgefochten werden, wie auch mythologische Figuren als gigantische Statuen mitten in der Metropole. Ein bisschen ist der Roman, in den zahlreiche Anekdoten und Legenden eingewoben sind, wie ein Märchen, nicht zuletzt auch deshalb, weil er eine relativ hoffnungsvolle Auflösung erlebt: Die Verdammten in JJ Amaworo Wilsons mehrfach prämiertem Roman wehren sich erfolgreich, wenngleich sie auch viele Rückschläge hinnehmen müssen.

JJ Amaworo Wilson: »Damnificados« A. d. Eng. von Conny Lösch, Nautilus, 320 S., geb., 24 €.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.