Immunität per Vorkaufsrecht
Auch Staaten setzen auf riskante Einzelinvestitionen, statt ihre Ressourcen im Kampf gegen Covid-19 stärker zu bündeln
Die Suche nach einer Impfung gegen das Coronavirus ist global einer der Schwerpunkte im Kampf gegen Covid-19. Nun ist es aber nicht so, dass hier international alle Anstrengungen gebündelt werden, um zum best- und schnellstmöglichen Ergebnis zu gelangen und es allen Menschen zugänglich zu machen. Anstrengungen gibt es zwar durchaus, aber sie sind durch Interessen und Machtverhältnisse bestimmt, die deutlich älter sind als die aktuelle Pandemie.
Zum einen bemüht sich die Weltgesundheitsorganisation darum, im Rahmen des im Mai gestarteten Projekts ACT Accelerator (»Access to Covid-19-Tools«) Tests, Medikamente und Impfstoffe gerecht zu verteilen und in diesem Rahmen auch die Gesundheitssysteme in ärmeren Ländern zu stärken. Für die drei Schwerpunkte wurden bislang 2,5 Milliarden Dollar zugesagt, eine Spende von einer weiteren Milliarde ist noch in Verhandlung mit den Gebern. Ein Teil der schon sicheren Summe stammt auch aus Deutschland, Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte im Mai 525 Millionen Euro für die Impfstoffentwicklung zugesagt. Zur Einordnung der Summe: Allein für das Projekt ACT Accelerator schätzt die WHO einen Finanzbedarf von über 31,3 Milliarden pro Jahr.
Insgesamt haben nach WHO-Angaben Staaten weitere 14 Milliarden Euro für andere Töpfe zur Corona-Bekämpfung sowie für nationale Forschungsprogramme bereitgestellt. Problematisch ist dabei, dass nicht nur Investoren, sondern auch Staaten auf einzelne Unternehmen und Impfstoffkandidaten setzen. Unter anderem Deutschland, die USA, die Schweiz und die EU als Staatenbündnis sicherten sich bisher über Vorverträge eine Belieferung, was von der WHO durchaus kritisch gesehen wird. Denn mit einer gerechten und bedarfsorientierten Verteilung hat das wenig zu tun.
Den Staaten sollte, abgesehen von dieser ethischen Frage, zu denken geben, wovor auch schon Investoren gewarnt werden: Auch diese Börsenblase könnte platzen. Zwar sorgten die Kurse der involvierten Biotech-Startups für Goldgräberstimmung an den Aktienmärkten. Analysten vergleichen das bereits mit früheren Blasen: Internet, Solarenergie oder Elektroautos. Biotech, auch unter Coronavorzeichen, gilt als Lotterielos. Es sei unwahrscheinlich, dass jedes der jetzt gehypten Unternehmen Milliarden Dollar verdienen werde. Die Markteinführung eines Medikaments oder einer Impfung kostet schon allein bis zu drei Milliarden Dollar. Und die Wahrscheinlichkeit, die Entwicklung bis zur Phase III der nötigen Studien zu erreichen, liegt bei etwa zehn Prozent. Selbst wenn dieser Punkt erreicht wird, folgt dann noch das Zulassungsprozedere für die angestrebten Märkte.
Weitere Unsicherheiten erwachsen aus aktuellen Umständen: Sonst dauert es zehn bis 15 Jahre, eine neue Impfung zu entwickeln. Eine Verkürzung auf vielleicht sogar unter ein Jahr kann schnell auf Kosten der Patientensicherheit gehen, wenn Testphasen abgekürzt oder gar zusammengelegt werden und möglicherweise Nebenwirkungen, die nur selten auftreten, übersehen werden. Ein Fehlschlag, der entweder an heftigen Impfschäden zu messen wäre oder am Versagen der Impfung in der Praxis, ließe nicht nur die Börsenkurse abstürzen. Auch die Hoffnung auf eine neue Normalität ohne einschränkende Hygienemaßnahmen müsste weiter verschoben werden, mit allen Kosten.
Für die Staaten, die sich jetzt im nationalen Interesse ins Zeug werfen, ist mit den vorab gesicherten Impfstoffdosen allein das Problem nicht gelöst. Die Immunisierung muss in der Bevölkerung anerkannt sein, ein Impfzwang scheint nicht angemessen. Selbst, wenn tatsächlich die gesamte Bevölkerung erfolgreich geimpft wäre oder auch nur ein ausreichender Anteil für eine Herdenimmunität: Ein solcher nationaler Egoismus würde die internationale Zusammenarbeit nicht nur in Gesundheitsfragen zurückwerfen.
Hinzu kommt, dass massive staatliche Investitionen zu Umschichtungen auch in den Gesundheitsetats führen. Schon jetzt sinkt die Aufmerksamkeit für Menschen mit anderen Krankheiten und Gesundheitsproblemen durchgängig - ob es sich um verschobene Krebstherapien handelt oder um ausgefallene Schutzimpfungsprogramme für Kinder in Dutzenden Ländern.
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