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Ein Amalgam verschiedener Welten

»Wie es klingt, wenn man Verschiedenartiges zusammenbringt«: Nubya Garcia erweitert die Grenzen des Jazz

  • Jan Paersch
  • Lesedauer: 5 Min.

Nun ist ihr Debütalbum »Source« erschienen. Sie sprengen darin die Grenzen des Jazz-Genres. Wie schreiben Sie Ihre Songs?

Alles, was ich brauche, ist ein Klavier und ein Saxophon. Ich habe ein ganzes Jahr lang getourt und jede Idee, die mir kam, mit meinem Telefon festgehalten. Das hilft ungemein: Ich gehe dann durch die gespeicherten Ordner und entdecke diese Sprach-Memos wieder, an die ich mich gar nicht mehr erinnern kann.

Nubya Garcia

In Großbritannien ist Nubya Garcia derzeit die gefragteste Vertreterin ihres Instruments. Das Saxophon spielt die 1991 im Londoner Stadtteil Camden geborene Musikerin, seitdem sie zehn Jahre alt ist. Es war ein Geschenk ihres Stiefvaters gewesen. Dem Mann, der sie musikalisch so stark prägte, hat sie nun einen Song gewidmet: »Together is a Beautiful Place«, eines von neun Stücken auf ihrem Debütalbum »Source« (Concord Jazz). Darauf zu finden: »post-amerikanische Musik«. So beschrieb der britische »Guardian« den Garcia-Sound. Das kann vieles heißen, aber bedeutet wohl vor allem: Jazz wird längst nicht mehr von Männern in New Yorker Kellerclubs geprägt. Jazz ist international, Jazz ist weiblich, Jazz kann Genres sprengen. Eine grenzenlose Musik, die sich von Londoner Dubstep genauso wie von karibischer Folklore oder Cumbia-Rhythmen inspirieren lässt. Genau das hat Nubya Garcia getan: Sie ist nach Bogotá geflogen, hat sich gleichgesinnte Gäste mit ins Boot geholt und mit ihrem bewährten Quartett gejammt. Mit Jan Paersch sprach Garcia über ihre karibischen Einflüsse, das Saxophon als Stimme und die Bedeutung von London für Ihre Kunst.

Einer ihrer neuen Songs heißt »Pace« (Tempo). Ich nehme an, ihre Alltagsgeschwindigkeit hat sich in den letzten Monaten auch drastisch verändert?

Oh ja, sehr! Auf eine merkwürdige Art haben wir alle diese Veränderung gebraucht. Natürlich haben wir nicht mit einem Virus gerechnet, aber wir als Menschheit brauchten einen Weckruf. Gerade wenn man in einer Metropole wie London lebt, fehlt einem die Zeit, um einmal durchzuatmen.

Wie wird es in der Musikszene nun weitergehen?

Wer weiß schon, was passieren wird? Wie gerne würde ich wieder direkt neben jemandem in einem schwitzigen Club stehen. Aber wir müssen jetzt alles aus einer anderen Perspektive sehen. Livestreams sind halt sicherer! Auch hier gibt es jetzt Konzerte draußen, aber wer kann da sicher sein, wie es weitergeht? Was wir tun können, ist: Songs schreiben und spielen. Wir müssen kreativ bleiben.

In ihrem Song »Demerara & Caura« zählen Sie Orte in Mittel- und Südamerika auf. Welche Bedeutung haben diese für Sie?

Georgetown ist die Hauptstadt von Guyana, und Demerara ein Viertel dort. Meine Mutter kommt dort her. Caura ist die Gegend in Trinidad, aus der mein Vater stammt. Folk- und traditionelle Musik aus der Karibik und Guyana haben mich schon länger interessiert. Ich war immer neugierig.

Das hört man ihrem Album an.

Da sind so viele Einflüsse auf der Platte! Cumbia ist darauf zu finden, und ich hatte das Glück, letztes Jahr zwei Mal nach Kolumbien fliegen zu können, um dort Songs aufzunehmen. Dafür habe ich mit der Band La Perla zusammen gespielt. Die Dub-Einflüsse sind auch sehr groß, vor allem auf dem Titelsong. Und Jazz natürlich!

Welche »Source«, welche Quelle, meinen Sie mit dem Titel ihres Albums?

Es geht darum, was mich und dich ernährt. Was gibt uns das zurück, was wir brauchen? Was gibt uns die Kraft, die beste Version unserer selbst zu sein? Es geht um die individuelle Kraft, aber auch um die kollektive.

Welche individuelle Kraft haben Sie?

Ich möchte präsent sein. Für mich selbst, aber auch für andere. Eine Musikerin zu sein - das hat Energie. Musik kann so viel Kraft spenden, besonders in Form eines Konzertes: das ist eine mächtige, aber auch eine meditative Kraft. Wenn man eine harte Woche hatte und müde ist, kann es einen nähren.

Ihr Produzent Kwes hat schon Platten von Bobby Womack und Solange veröffentlicht. Wie war die Arbeit mit ihm?

Ich hatte eine sehr genaue Vorstellung, welchen Sound ich für das Album wollte. Kwes hat bei den Details geholfen. Er hat mich auch dabei unterstützt, mich meinen elektronischen Einflüssen zu widmen. Der LA-Beatbastler Flying Lotus hat da eine große Rolle gespielt. Das Album ist ein Amalgam verschiedener Welten - ein Riesenspaß.

Kann man »Source« also auch als Mixtape verstehen?

Nun, mein Stammquartett spielt auf allen Tracks, also fühlt sich alles wie eins an. Es ist eine zusammenhängende Geschichte mit Anfang, Mitte und Ende. Aber es war auch schon vom Beginn an klar, dass sich nicht nur ein Stil hindurchzieht. Wenn ich selbst Musik höre, höre ich ja auch nicht nur ein Genre, also komponiere ich auch nicht so. Es interessiert mich, wie es klingt, wenn man Verschiedenartiges zusammenbringt.

Was bedeutet Ihr Instrument für Sie?

Durch mein Saxophon bin ich in der Lage zu reden. Es ist meine Stimme, denn ich singe nicht. Aber so kann ich mich ausdrücken.

Wie wichtig ist London für Sie und Ihre Kunst?

Ich bin in London geboren und aufgewachsen und habe nie länger woanders gelebt, auch wenn ich durch meine Touren viele andere Orte erlebt habe. London ist sehr divers, aber vor allem sehr busy. Niemand hält jemals an. Es ist ein Schmelztiegel der Kreativität, aber auch die Business-Hauptstadt der Welt. Man nimmt täglich unglaubliche Disparitäten wahr, der Unterschied zwischen arm und reich war schon immer enorm groß. Das ist hart. Andererseits ist die Kultur der Stadt wegen dieser Diversität unglaublich reich, und es wird immer Leute geben, die hier herziehen. Die Gentrifizierung ist ein riesiges Problem, gleichzeitig gibt es gewachsene Communitys: Gemeinschaften in Vierteln, die über Jahrzehnte aufgebaut wurden, in denen man sich gegenseitig unterstützt.

Könnten Sie auch woanders kreativ sein?

Es gibt keinen Ort, der so ist wie London. Ich sage nicht, dass es dort besser ist. Aber immer, wenn ich woanders bin, frage ich mich: Könnte ich hier leben? Und die Antwort ist: natürlich könnte ich das, aber würde ich es genießen? Würde ich, so wie in London, die Möglichkeit haben, innerhalb eines ganz normalen Tages so viele verschiedene Menschen mit so vielen verschiedenen Leben beobachten zu können? Die es fertigbringen, friedlich nebeneinander zu existieren? Es ist keine perfekte Stadt, aber es ist mein Zuhause.

Man hört ja öfter von einer London-Connection unter Musikern …

Wenn wir unterwegs sind, dann gibt es diese ganz enge Verbindung. Auf meine Tour folgte ohne Unterbrechung die Tour mit meiner Band Maisha, dann die mit Joe Armon Jones, meinem Keyboarder, der eine eigene Band leitet. Es gibt uns alle in verschiedenen Permutationen. Es gibt ständig Musiker, die ihre eigenen Projekte starten, so wächst unsere Community ganz von allein. Es gibt immer mehr Leute, die ich anrufen kann, wenn eine Tour ansteht. Wir sind eine Einheit, und die wird größer! Das ist wunderschön. Wir sind alle sehr beschäftigt. Nun, wir waren es.

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