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»Kino ist mehr als Filmemachen«

Der iranische Regisseur Massoud Bakhshi über seinen neuen Spielfilm »Yalda«, das Justizsystem in seiner Heimat und die Chancen der Pandemie

  • Sarah Pepin
  • Lesedauer: 6 Min.

Ein verregneter Nachmittag im Kino Moviemento in Berlin. Der iranische Regisseur Massoud Bakhshi ist in der Stadt, um seinen Spielfilm »Yalda« vorzustellen. Darin geht es um eine junge Frau, Maryam, die des Mordes ihres wesentlich älteren Ehemannes beschuldigt ist und zum Tode verurteilt wurde. In einer Live-Fernsehshow soll sie die Tochter des Toten um Vergebung bitten; wenn diese ihr verzeiht, entgeht Maryam der Todesstrafe. Ein äußerst spannungsreicher und dramatischer Film, den der gebürtige Teheraner schon im Februar im Generation-Programm der diesjährigen Berlinale vorstellte.

Herr Bakhshi, Ihr Film ist nach einem wichtigen iranischen Fest benannt. Yalda markiert den Winteranfang und somit die längste Nacht des Jahres. Was für eine Rolle spielt das für Ihre Geschichte?

Yalda ist ein wichtiges Fest für die Iraner, sie feiern es ausgiebig. Genau wie beim Norouz-Fest, das den Anfang des Frühlings markiert, gibt es eine starke Verbindung zur Natur. Yalda beinhaltet die Hoffnung, dass der Frühling kommen wird. Ich fand, dass die tragische Geschichte des Films einen guten Kontrast zum Fest darstellt.

Es gab eine solche Live-Sendung wie im Film auch tatsächlich im iranischen Fernsehen. War das Ihre Inspiration?

Ja. Ich hatte die Geschichte schon, sie war eher klassisch, mit Flashbacks. Aber nachdem ich die Show gesehen hatte, beschloss ich, sie als Rahmen für die Handlung zu nutzen. Im Iran lief diese Sendung über ein Jahrzehnt lang, das allgemeine Thema war Vergebung. Dabei ging es nicht unbedingt um Kriminalfälle, aber die interessantesten Episoden waren für mich jene, in denen ein Gast entweder Teil der Opferfamilie war oder ein Krimineller. Das iranische Publikum hat die Verbindung zwischen meiner Fiktion und dieser Sendung jedenfalls hergestellt.

Läuft die Show heute immer noch?

Nein. Kurz nachdem der Film rauskam, wurde sie eingestellt. Ich denke schon, dass »Yalda« damit etwas zu tun hatte, denn es war eine der erfolgreichsten Sendungen im iranischen Fernsehen. Darauf bin ich stolz.

Auf mich wirkt die Sendung mit ihrer öffentlichen Darstellung des Privatlebens der Opfer und Täter ausbeuterisch.

Ich fand den manipulativen Ton der Show, vor allem wenn es um das Leben und den Tod eines Menschen ging, sehr unangebracht. Es war mir peinlich, mir so etwas anzuschauen.

Glauben Sie, dass dieses Format in der iranischen Gesellschaft nun weniger akzeptabel geworden ist?

Ich denke schon. In den vielen Jahren, in denen die Sendung lief, gab es ein bisschen Kritik von Journalisten, aber nicht besonders viel. Das Problem ist, dass die iranischen Intellektuellen - genau wie die Intellektuellen anderer Länder - kein iranisches Fernsehen schauen. Ich wollte aber sehen, was diese Millionen von Zuschauern sich da eigentlich anschauen. Anderseits gibt es ähnliche Shows auf der ganzen Welt. Ich erinnere mich an meine Studienzeit in Italien Anfang der Nullerjahre: Alle Studios, die vorher meisterhaftes italienisches Kino produziert hatten, verkamen auf einmal zu Sets für Reality-Sendungen im Berlusconi-Stil. Das gefiel mir gar nicht. »Yalda« habe ich auch als Chance verstanden, meine Ideen zu den Medien und ihrem Stellenwert in der Welt zu verarbeiten.

»Yalda« begnügt sich nicht mit einfachen Antworten und Urteilen. Man kann die Protagonisten und ihre Motive nicht so genau einschätzen. Was hat es mit dieser moralischen Ambivalenz auf sich?

Ich wollte zeigen, dass es dieses klassische Gut-versus-Böse-Schema nicht gibt. Es ist wie im Leben, wir tun halt gute und schlechte Dinge. Menschen sind immer grau. Im Film erleben wir deshalb einen radikalen Sichtwechsel. Wir sind in der ersten Hälfte bei Maryam, dann bei Mona (Tochter des Toten, Anm. der Red.). Ich wollte das Publikum dazu einladen, sich auch in sie hineinzuversetzen, denn auch sie ist in dieser Situation gefangen.

Was ist Ihre persönliche Meinung zum Blutgeld und diesem Racheaspekt des iranischen juristischen Systems?

Während der Recherche habe ich gemerkt, wie komplex das Ganze ist. Nicht nur das Strafrecht mit seinen 80 unterschiedlichen Fällen und Verhörabläufen, auch die Inhaftierungsgesetze sind kompliziert. Maryam etwa muss trotzdem noch ein paar Jahre ins Gefängnis, auch wenn ihr vergeben wird und sie der Todesstrafe entkommt. Das Strafrecht basiert auf islamischem Recht, dazu gibt es ein Vergeltungsgesetz, Auge um Auge. Aber gleichzeitig eben auch die Festlegung, dass bei manchen unbeabsichtigten Tötungen die Opfer von Familien das Leben des Täters retten können, indem sie ihm verzeihen. Ich glaube, meine persönliche Kritik an dem Ganzen wohnt dem Film inne. Aber die Lösung findet man darin nicht. »Yalda« will Fragen anregen.

Wie könnte die gesellschaftliche Veränderung aussehen?

Eine Lösung kann nur kulturell sein. Deshalb ist es wichtig, Filme zu machen und Bücher zu schreiben, die die gesellschaftlichen Probleme behandeln. Ich habe darauf bestanden, die nötigen Filmgenehmigungen im Iran zu bekommen, denn es war mir wichtig, dort zu drehen. »Yalda« ist vor zwei Monaten in ein paar iranischen Arthouse-Kinos gestartet. Kurz darauf haben wir beschlossen, die iranischen Einnahmen dafür zu nutzen, zwei angeklagte Gefangene zu befreien und so zwei Menschenleben zu retten. Der Film ist eine Fiktion, aber er soll auch in der Realität eine soziale Leistung erbringen, um den Menschen zu zeigen, dass ein kulturelles Werk hilfreich sein kann. Wir wollten mehr als Storytelling, wir wollten es zurück an die Realität binden. Denn ohne die Realität würde es den Film ja auch nicht geben. Die Menschen haben darauf sehr positiv reagiert.

Viele Ihrer Kollegen und Kolleginnen verlassen den Iran, um im Ausland unter einfacheren Bedingungen zu arbeiten. Inwiefern ist Ihr filmisches Schaffen mit Ihren Wurzeln und Ihrer Heimat verbunden?

Kino ist für mich nicht nur Filmemachen. Es hat zahlreiche Bedeutungen. Das ist eine Art, sich auszudrücken und steht somit in einer steten Verbindung zu gesellschaftlichen Veränderungen. Im Iran ist das eine junge, dynamische Gesellschaft. Insofern ist es für mich sehr wichtig, dort zu sein, damit ich diesen Wandel erleben und darüber Filme drehen kann.

Auf Festivals trifft man zum Teil auf junge iranische Regisseure und Regisseurinnen, die in erster Linie als Filmemacher und Filmemacherinnen gesehen werden wollen, nicht als spezifisch iranische Filmschaffende, da dieses Label mit Konnotationen einhergeht. Wie sehen Sie das?

Wir werden als iranische Filmschaffende gesehen, ob wir das wollen oder nicht. Mich stört das nicht. Letztendlich ist es das Feedback des Publikums, das zählt. Auf den Festivals und nun auch beim Kinostart ist es für mich herzerwärmend, gutes Feedback zu bekommen, denn es zeigt, dass der Film das erreicht hat, was er beabsichtigte.

Die derzeitige Situation ist für die Filmindustrie sehr schwierig. Wie hat die Pandemie sich auf Ihre Arbeit ausgewirkt?

Das lag alles nicht in unserer Hand. Aber diese außergewöhnliche Situation zeigt uns allen, wie verletzlich wir sind. Und sie lehrt uns, dass wir gleich sind. Ein wichtiges Thema in »Yalda« ist die Ungleichheit zwischen Arm und Reich, ein globales Phänomen. Diese Probleme können wir uns jetzt nochmal genauer anschauen, denn so kann es nicht weitergehen. Man kann nicht nur für sich und seine Familie leben und keine Aufmerksamkeit für seine Mitmenschen aufbringen. Nur so beweist man seine eigene Menschlichkeit.

»Yalda«: Iran, Frankreich, Deutschland, Schweiz, Luxemburg, 2019. Regie: Massoud Bakhshi. Mit Sadaf Asgari, Behnaz Jafari, Babak Karimi, 89 Minuten.
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