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Körper wird Grafik

Im Dokumentarfilm »Body of Truth« stellt Evelyn Schels vier Künstlerinnen der Gegenwart vor

  • Stefan Ripplinger
  • Lesedauer: 4 Min.

Die Körperkunst hat ihre beste Zeit hinter sich. Diesen Eindruck gewinnt, wer den Dokumentarfilm »Body of Truth« sieht, in dem Evelyn Schels vier bekannte Künstlerinnen präsentiert. Drei von ihnen haben künstlerisch mit ihrem Körper oder mit Körpern gearbeitet, die vierte, Katharina Sieverding, nur mit derjenigen Partie des Körpers, die von jeher als Ausweis des Menschlichen gilt, dem Gesicht.

Sieverding hat mit fotografischen Mitteln über Identität nachgedacht, sie hat ihr Ich auf das Andere durchsichtig gemacht, hat aber auch vielfältiges visuelles Material politisch hinterfragt. Damit war sie schon vor Jahrzehnten da, wo ihre drei im Film präsentierten Kolleginnen inzwischen auch angekommen sind: in der Bildbearbeitung, in der Grafik, in der Fotografie oder im Film.

Körperkunst war aber etwas ganz anderes. Sie war gerade nicht Abbildung, sondern rituelles Durchleben, sie war ein oft schmerzhaftes Auf-die-Probe-Stellen der existenziellen Grundlagen des Menschlichen, ein mutiges Aufsuchen von Grenzerfahrungen, ein Sich-Zufügen und offenherziges Vorzeigen von Wunden. In der frühen Körperkunst waren Aufzeichnungen und Wiederholungen der Aktionen verpönt. Künstler und Publikum befanden sich in einer einmaligen Situation, die, das war immer einkalkuliert, auch tödlich enden konnte.

Großmeisterin auf diesem Gebiet war und ist Marina Abramović, die zugleich abgehärtete und empfindliche Tochter jugoslawischer Kommunisten. Sie macht deshalb in Schels’ Film den Anfang. Nachdem die meisten ihrer Konkurrentinnen vor ihrer Zeit gestorben sind - Ana Mendieta mit 36, Gina Pane mit 50, Hannah Wilke mit 52, nur Carolee Schneemann wurde immerhin 79 -, bleiben weltweit nur noch die Österreicherin Valie Export und die Französin Orlan, die ähnlich spektakuläre Körperaktionen wie Abramović gewagt haben. Doch wie der Film zeigt, setzt sich sogar Abramović inzwischen lieber avancierten technischen Apparaturen aus als dem Risiko eines Kollaps (und das gilt so ähnlich auch für Export und Orlan).

Wie der Filmtitel andeutet und wie Abramović sagt, soll der Körper in der Kunst für Wahrheit stehen - »Body of Truth« heißt »Körper der Wahrheit« und klingt an »body of evidence« (Beweismittel) an -, doch wenn das nicht schon immer eine Einbildung war, ist es nun eine geworden. Einmal sieht man im Film die aus dem Iran stammende und über den Iran und seine Ikonografie arbeitende Künstlerin Shirin Neshat, wie sie gerade den Auftrag ausführt, die Kinderrechtsaktivistin Malala Yousafzai zu porträtieren. Vor der Künstlerin hängen etliche Fotografien der Malala, Neshat sagt ihrem Assistenten, die Handhaltung gefalle ihr auf einer Aufnahme, das Gesicht auf einer anderen, er möge doch beide mittels »Photoshop« kombinieren. So entsteht hoffentlich auch eine Wahrheit, aber es ist eine gestellte oder manipulierte.

Professionellen Umgang mit modernen Bildprogrammen pflegt auch die Regisseurin selbst. Die Gesichter und Körper ihrer Protagonistinnen erscheinen oft so glatt und grafisch, drehen sich mit Computerhilfe so elegant wie in der Kosmetikwerbung, und unwillkürlich erwartet der Zuschauer, dass im nächsten Moment Iris Berben vor hochauflösender Kamera Crème auf ihre makellose Haut tupft, doch wir sind im Kino, die Werbung haben wir schon hinter uns, und es bleibt gottlob bei den vier sympathischen Künstlerinnen.

Die jüngste von ihnen, Sigalit Landau, Jahrgang 1969, stammt aus Israel. Verletzungen, Morde, Selbstmorde zerreißen die Geschichte ihrer Familie, denn es ist eine von Überlebenden; Landaus Vater hat seine ersten Jahre in einem KZ durchlitten. Auslöser für ihre Kunst, die nicht nur den Betrachtern wehtut - ihre bekannteste Aktion zeigt, wie die Künstlerin einen Stacheldraht als Hula-Hoop-Reifen benutzt -, waren aber nicht diese Erinnerungen, sondern ihre eigenen traumatischen Erfahrungen in der Armee. Gerade als Lindau 1987 ihren Wehrdienst antrat, brach die erste Intifada aus. Landaus Aufgabe war es, die gewaltsamen Zusammenstöße filmisch zu dokumentieren. Sie kam dieser Aufgabe gewissenhaft nach - bis sie zusammenbrach.

Körperkunst hat den Körper als »politischen Raum« und, wie Shirin Neshat sagt, den weiblichen Körper als »Schlachtfeld der ideologischen Gefechte der Männer« gezeigt, mehr noch, sie hat, wie Marina Abramović erklärt, den Schmerz mittels des Schmerzes geheilt. Sie hat, so Abramović weiter, ein »transzendentes Leben« geschaffen, auf das ein jeder, eine jede seinen oder ihren schrecklichen »Scheiß« projizieren kann. Das waren wichtige, mit Aristoteles »kathartische« Prozesse.

Und da Gewalt und Krieg nicht aufhören, muss es weiterhin Kunst geben, die den Körper und das Existenzielle bearbeitet. Aber ob für sie tatsächlich Blut fließen muss oder ob nicht theatralische oder bildliche Methoden genügen, um uns ins Herz zu schneiden oder es zu trösten, ist eine Frage, die sich nun von selbst zu beantworten scheint. »Die eigentliche Potenz der Kunst« besteht mit Katharina Sieverding darin, »öffentlich zu werden«, und öffentlich, politisch wird die Kunst auch auf ganz unkörperliche Weise, beispielsweise im Kino.

»Body of Truth«, Deutschland/Schweiz 2019. Regie: Evelyn Schels. 96 Min.

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